NACHFRAGEORIENTIERTE WIRTSCHAFTSPOLITIK AUCH IN DEUTSCHLAND AUF DEM VORMARSCH?
Doch die Bundestagswahl hätte auch mit einer anderen möglichen Regierungskonstellation enden können: rot-grün-rot. Dieses entspräche einem weltweit vielfach beobachtbaren Trend: dem Schwenk von einer seit Anfang der 80`er vorherrschenden angebotsorientierten zu einer eher nachfrageorientierten Politik, die mit mehr Staatsausgaben, einer zunehmenden Regulierung, höheren Steuern, höheren Löhne und mehr Umverteilung verbunden ist. Besonders deutlich wird dieser Kurs in den USA im Zuge der Übernahme der Präsidentschaft durch Joe Biden. Zumindest ansatzweise erkennbar ist er aber auch in vielen anderen Staaten.
KAUFZUWÄCHSE SIND LANGFRISTIG POSITIV ZU SEHEN
Vermutlich liegt dieser Entwicklung sogar ein sehr langfristig wirkender politischer Zyklus zugrunde, der einen wiederkehrenden Wechsel von eher kapitalistischen und eher sozialistisch geprägten Ansätzen zeichnet. Ray Dalio, Gründer und Inhaber des US-Asset Managers Bridgewater Associates beschreibt den Treiber dieses Zyklus ganz plakativ: Kapitalisten sind gut darin, den Kuchen im Sinne der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung, zu vergrößern, während Sozialisten ihn besser verteilen können. Und tatsächlich ist erkennbares Ziel der Politik, dass untere und mittlere Einkommen vom Nach-Corona-Aufschwung über stärker steigende Löhne stärker profitieren sollen, als es in den letzten 10 Jahren der Fall war. Weiter auseinanderklaffende Vermögens- und Einkommensscheren sollen vermieden werden. Man könnte auch sagen, dass die Zeit spätestens nach der Ära Trump und angesichts der fast allmächtigen Internet-Monopolisten einfach reif für einen Wechsel ist. Aus volkswirtschaftlicher Sicht und für die Kapitalmärkte kann sich daraus ein durchaus positives Szenario ergeben, wenn die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten steigt.
LINKSRUTSCH KÖNNTE KONSUM AUSGABEN BEFÖRDERN
Sollte es allerdings zu einem Linksrutsch ohne ein wirtschaftsliberales Korrektiv kommen, bestünde die Gefahr, dass ein vornehmlich konsumorientierter Ausgabenkurs angesteuert wird und dringend notwendige Investitionen in die Steigerung der Produktivität sowie der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und damit in die Zukunftsfähigkeit der Volkswirtschaft zu kurz kämen. Das stünde gerade den Interessen junger Wähler konträr entgegen, die auf eine moderne und den Anforderungen an eine zeitgemäße Infrastruktur sowie eine auf Innovationen und die Nutzung von Humankapital als einem der künftig wichtigsten Produktionsfaktoren basierenden Volkswirtschaft setzen müssen.
DEFLATIONÄRE EFFEKTE FEHLEN ERSTMAL
Und jetzt kommt die Inflation ins Spiel. Ohnehin ist das Erreichen der tiefen Preissteigerungsraten aus der Vorkrisenzeit in den kommenden Jahren kaum realistisch. Kurzfristig – und wohl auch noch einige Monate anhaltend – belasten erhebliche Unwuchten im Nach-Corona-Aufschwung die globalen Lieferketten und unterfüttern zusammen mit erheblichen Energiepreissteigerungen die aktuell dynamischen Inflationsraten. Mittel- und langfristig fehlen künftig die jahrzehntelang deflationär wirkenden Effekte der zunehmenden Globalisierung. Im Gegenteil bedeuten die Diversifikation von Lieferketten, die Erhöhung der Lagerhaltung oder gar die Rückholung von Produktion nach den Erfahrungen während der Pandemie tendenziell steigende Kosten. Hinzu kommen notwendige Investitionen in digitale, manuelle oder Gesundheits-Infrastruktur von staatlicher Seite sowie die Erneuerung von Anlagen, Maschinen und Fuhrparks durch Unternehmen, um Emissionen zu reduzieren.
DIGITALISIERUNG WIRD PRODUKTIVITÄTSGEWINNE BRINGEN
Demografische Effekte dürften zu einem steigenden Fachkräftemangel führen und die politisch administrierten Lohnsteigerungen weiter anschieben. Dem stehen als nennenswerte deflationär wirkende Faktoren in den kommenden Jahren vor allem die Digitalisierung und die damit voraussichtlich einhergehenden Produktivitätsgewinne gegenüber. Die Gesamtkonstellation dürfte dazu führen, dass überbordende inflationäre Entwicklungen vermieden werden können.
STAGFLATION NICHT WÜNSCHENSWERT
Da angesichts der voraussichtlichen neuen Regierungskoalition in Deutschland keine übermäßige Ausweitung der Staatsverschuldung bei gleichzeitig fehlenden produktivitätssteigernden Investitionen und ein Abwürgen privatwirtschaftlicher Investitionsanreize absehbar ist, dürfte der aktuell zunehmenden Gefahr eines Abrutschens in die Stagflation – also einer ausgeprägten Wachstumsschwäche bei gleichzeitig anhaltend sehr hoher Inflation – zumindest nicht noch weiter Vorschub geleistet werden. Basisannahme bleibt, dass die bestehenden Lieferengpässe und Kostensteigerungen im Verlauf des ersten Halbjahres 2021 sukzessive abnehmen werden und der im dritten und vierten Quartal unterbrochene globale Erholungspfad wieder aufgenommen wird.
STRUKTURELLE EFFEKTE SORGEN FÜR HÖHERES INFLATIONSNIVEAU
Trotzdem sorgen die genannten strukturellen Effekte voraussichtlich für ein höheres Inflationsniveau als vor der Krise. Gleichzeitig werden viele Notenbanken sich schwertun, ihren ultra-expansiven geldpolitischen Kurs zu beenden oder gar Leitzinserhöhungen durchzusetzen. Damit bleibt die Perspektive aus Anlegersicht ein anhaltend negatives Realzinsniveau – nicht zufällig auch der beste Weg, um die coronabedingt vielfach explodierten Staatsschuldenniveaus über lange Zeit zu relativieren.
ZUSAMMENGEFASST
Unsere Analyse lässt höhere Inflationsniveaus vermuten, und diese Inflationsniveaus dürften eher weniger temporärer denn anhaltender Natur sein. Die neue Ampel-Regierung wird dies – so die Lesart der bisherigen Verlautbarungen – akzeptieren und in ihrem Sinne zu nutzen wissen. Aus Stiftungssicht bedeutet dies, dass sich hier im Gebälk der Kapitalmärkte unter Umständen ein mittelfristiger Wechsel der Parameter für das verwalten des Stiftungsvermögens ergibt, so dass Inflation in gewisser Weise als Faktor im Stiftungsvermögen wieder mit berücksichtigt werden muss. Wenn also für die neue Koalition die Ampel nun doch auf Grün geht, so ist für das Stiftungsvermögen absehbar, dass die Ampel für eine „Weiter-so-Anlagepolitik“ allenfalls auf Gelb steht, wenn überhaupt.
HINWEIS: Die Stiftungsexperten von Donner & Reuschel sind auch in unserer Übersicht eingelistet, die Details zu den Leistungen für Stiftungen finden Sie hier.