Jede Stiftung ist ein Teil in der Kathedrale der Stiftungslandschaft

Wir blicken voraus auf die Jahrestagung von Stiftung & Sponsoring am 25.4.2023 – mit Prof. Hans Fleisch, dem Tagungsleiter der Jahrestagung

972
Interview Prof. Hans Fleisch
Lesezeit: 6 Minuten

Über die Verfasstheit des Stiftungssektors zu sprechen, das macht mit wenigen Stiftungsexperten so viel Spaß wie mit Prof. Dr. Hans Fleisch. Er weiß einmal die großen Treiber im Sektor zu identifizieren und zum anderen die sich daraus für jede einzelne Stiftung entstehenden Aufgaben herauszudestillieren. Wir sprachen mit ihm anlässlich der Jahrestagung von Stiftung & Sponsoring, bei der er als Tagungsleiter fungiert, über philanthropische Lösung für die Herausforderungen in unserem Land und eine prägnante Frage, die jede Stiftung in seinen Augen beantworten muss.

#stiftungenstärken: Die Jahrestagung Stiftung & Sponsoring 2023 steht unter dem Motto Reform und Aufbruch. Erzählen Sie uns gerne, welche Idee hinter diesem Motto steht.

Prof. Dr. Hans Fleisch: Reform und Aufbruch steht für eine neue Ära, in der wir angekommen sind, die auch für Stiftungen sehr wichtig ist und der wir uns deshalb strategisch widmen müssen. Dabei stehen nicht mehr nur die viel diskutierten Fragen über die Nachhaltigkeit der Vermögensanlage und die Wirkungsmessung im Raum. Unser Umfeld hat sich in letzter Zeit erheblich verändert, sodass wir uns in einer neuen Situation wiederfinden und uns somit auch neuen Fragen stellen müssen.

Zum einen hat ein Zeitalter der Multikrisen begonnen: es beschäftigen uns mehrere Krisen gleichzeitig, die interdependent bestehen und somit nicht unabhängig voneinander angegangen werden können. In diesem Zeitalter der Multikrisen vollziehen sich zwei großen Transformationen, welche der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen in seinem Sondergutachten zur Digitalisierung herausgearbeitet hat: Einerseits die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit, andererseits in Richtung Digitalisierung.

Neben diesen „Großen Transformationen“, steht zudem der demografische Wandel. In Deutschland zeigt sich dieser in der Überalterung der Gesellschaft, was wiederum verschiedene gravierende Auswirkungen auf sehr verschiedene Bereiche, nicht nur auf gesundheitliche Aspekte wie „Explosion“ der Demenz, hat. Zum demografischen Wandel gehört hierzulande auch die gravierende Einwanderung.  In anderen, in vielen afrikanischen Ländern beispielsweise, zeichnet sich hingegen ein weiter starkes Bevölkerungswachstum mit u.a. erheblichem Urbanisierungsschub ab. Egal ob auf nationaler, europäischer oder weltweiter Ebene – der demografische Wandel macht das Erfordernis nach Veränderung noch dringlicher. Nicht zuletzt stehen auch der freiheitliche Rechtsstaat und die freiheitliche Demokratie mehr denn je unter Druck: Seit vielen Jahren waren wir der Meinung, die marktwirtschaftliche Entwicklung von Schwellen- und Entwicklungsländern führe zu einem weltweiten Siegeszug der Demokratie. An dem Beispiel China sehen wir aber, dass dies nicht der Fall ist. Dies lässt sich auch an dem Shrinking Spaces-Phänomen verdeutlichen.


Exkurs Shrinking Spaces:
Die beiden Worte bzw. das Shrinking Spaces-Phänomen beschreiben die zunehmend eingeschränkte Handlungsfreiheit der Zivilgesellschaft. Häufig wird der Begriff dort verwandt, wo staatliche Maßnahmen dazu beitragen sollen, unliebsame Kritik den Raum für Diskussion und Reflektion zu nehmen. Ausprägungen von ‚shrinking spaces‘ können einmal gesetzliche Initiativen sein, die das Aktivitätsspektrum von Gemeinnützigen Organisationen beschränken. Zum anderen kann dies auch fehlenden bzw. wegfallenden staatlichen Schutz für ebenjene Organisationen bedeuten. Letztes staatliches Mittel können auch illegale Maßnahmen sein.

Diese vier Herausforderungen, also Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Demografie und Demokratie stellen im Kontext der Multikrisen eine Situationsveränderung dar. Der Stiftungssektor muss sich vor diesem Hintergrund fragen, welche Rolle er einnehmen wird und welche Chancen sich ergeben. In der Jahrestagung gehen wir Stiftungsthemen somit aus dieser weiten Perspektive an.

#stiftungenstärken: Lassen Sie uns gerne nochmal auf das Shrinking Spaces-Phänomen zurückkommen. Was denken Sie darüber?

Prof. Dr. Hans Fleisch: Das Phänomen der Shrinking Spaces ist kein einheitliches. Während in manchen Ländern der Zivilgesellschaft als Akteur eine immer bedeutendere Rolle zukommt, ist für Zivilgesellschaften anderer Länder das Gegenteil der Fall, wie in Russland, Ungarn oder in lateinamerikanischen Ländern beispielsweise. Auf viele Länder trifft die These der Shrinking Spaces somit zu. In Deutschland verzeichnen wir ein Wachstum zivilgesellschaftlicher Organisationen, nachdem zuvor von einem Vereinssterben die Rede war, die Situation ist hier also gut. Im weltweiten Vergleich gibt es also erhebliche Unterschiede. Fakt ist: Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen in der Gesamtschau vermehrt unter Druck. Das Shrinking Spaces-Phänomen beschreibt somit einen gefährlichen Trend in vielen Teilen der Welt.

Veranstaltungs-Tipp:
Am 25.4.2023 findet in Berlin in den Räumlichkeiten der ESV Akademie die Jahrestagung von Stiftung & Sponsoring statt, die wir sehr gerne als Plattformpartner begleiten. Das Motto in diesem Jahr lautet „Reform und Aufbruch – wie Stiftungen aus Herausforderungen Chancen machen“.

#stiftungenstärken: Wie könnte die „Rolle“ einer Stiftung im Kontext von multipolaren Krisen aussehen?

Prof. Dr. Hans Fleisch: Das ist genau eine der Fragen, die wir im Rahmen der Jahrestagung angehen werden. Es stehen mehrere Rollen zur Diskussion, die vor allem von der Größe einer jeweiligen Stiftung abhängig sind: Kleinere Stiftungen, deren Stiftungszweck sich beispielsweise auf die Förderung eines bestimmten Kindergartens beschränken, sehen sich – zur Recht – meist nicht als die Transformatoren der Gesellschaft. Der Stiftungssektor ist jedoch ein Katalysator des Fortschritts zugunsten der Sustainable Development Goals (SDGs, Anm. d. Red.), somit sollte sich jede Stiftung auch als Akteur dieser Ziele begreifen. 

Stiftungen können sich hierzu eine Besonderheit zunutze machen: Der Stiftungssektor ist nicht nur ein kleiner, schmaler Sektor, er ist ein Bereich, der thematisch und gesellschaftlich in alle anderen Sektoren hineinreicht. Das ist einzigartig: Von der katholischen Kirche, bis hin zur Partei Die Linke, von der lokalen Ebene im Bereich Kindergartenförderung bis hin zum Wissenschaftssektor und der Wirtschaft: der Stiftungssektor ist eine Art Querschnittsektor, der mit allen anderen Sektoren stark vernetzt ist. Diese Besonderheit bietet eine einzigartige Chance angesichts der Herausforderungen der Zukunft, welche nur intersektoral angegangen werden können. Auch als Think Tanks dienen Stiftungen, eine Funktion, die in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Sachverständigenrat für Migration und Integration. Solche Think Tank-Arbeit kann nicht nur von den großen Insitutionen geleistet werden, Konzepte können auch von kleineren Stiftungen entwickelt werden.

#stiftungenstärken: Könnten Sie das bitte noch etwas mit Leben füllen?

Prof. Dr. Hans Fleisch: Insbesondere die kleineren Stiftungen liefern wichtige Bausteine für das Erreichen der Sustainable Development Goals: Wenn sich eine Stiftung als Teil des großen Ganzen begreift, kommt jedem Projekt die Bedeutung eines wichtigen Bausteins für die Katalysatorrolle des Stiftungssektors zu. Dieser Perspektivwechsel kann zu einer neuen Herangehensweise führen. Eine weitere Aufgabe in unserer veränderten Welt ist die Wandelbarkeit des Stiftungswesens. Hierbei geht es nicht in erster Linie um die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern darum, den Stiftungssektor schlagkräftiger zu machen. Um ein Beispiel hierfür anzuführen: Die Stiftungsrechtsreform hat jetzt zwar die Zulegung und Zusammenlegung von Stiftungen geklärt. Wäre es jedoch nicht unsere Aufgabe, das Thema „notleidende Stiftung“ konkret anzugehen, z.B. durch Unterstützung von konsolidierenden Zulegungsdynamiken?

Und eine weitere Sache beschäftigt mich bei der Frage nach der Stärkung des Stiftungssektors: In Deutschland gibt es immer mehr, auch jüngere, Vermögende. Es ist unsere Aufgabe, sie für philanthropische Lösungen zu gewinnen. Wir müssen den Stiftungssektor also einerseits von innen heraus stärken, indem wir Lösungen für notleidende Stiftungen finden und diese dann effektiver umsetzen. Andererseits müssen wir dafür sorgen, dass mehr Schwungmasse in den Stiftungssektor kommt. Seit gut 30 Jahren bin ich in der Stiftungswelt tätig. Seit den letzten zwei, drei Jahren lässt sich eine Veränderung unserer Aufgabe wahrnehmen: Weg von der angstvollen Beschäftigung mit Themen wie Niedrigzinsphase müssen wir, statt aus der Defensive heraus zu agieren, jetzt unsere spezifischen Potenziale sowie die Chancen, die sich aus Transformationsprozessen wie der Digitalisierung ergeben, besser und vor allem proaktiver nutzen. Im Anbetracht der Herausforderungen unserer Zeit heißt dies u.a., kooperative Lösungen voranzubringen und zu skalieren, Impulse zu geben und unsere intersektorale Katalysatorrolle wahrzunehmen.


Lese-Tipp:
In unserer Interviewreihe zur Jahrestagung von Stiftung & Sponsoring sprachen wir auch mit Karenina Schröder von Wider Sende, Dr. Christoph Mecking (Kanzlei Dr. Mecking) und Michael Beier, dem Chef der Heinz Sielmann Stiftung. (hier bitte jeweils auf die Interviews verlinken)

#stiftungenstärken: Wo müssen Stiftungen hierfür am ehesten ansetzen, wenn sich der Stifterwille in Stiftungszweck, Stiftungsorganisation und Stiftungsvermögen ausdrückt?

Prof. Dr. Hans Fleisch: Stiftungen müssten zunächst für sich die Frage beantworten, wer sie sein sollen, um anschließend zu entscheiden, wo sie zur Verwirklichung ihrer Zwecke ansetzen wollen. Wenn geklärt ist, worauf der strategische Fokus künftig zu richten ist, gilt es zu prüfen, inwiefern Veränderungen vorzunehmen sind. Also wie sich die Stiftung organisatorisch und personell neu aufzustellen hat und ob die Kooperationsstrategie weiterzuentwickeln ist usw..

#stiftungenstärken: Interessant, die Frage, wer wir sein wollen, haben wir uns als Plattform bei der Gründung auch gestellt.

Prof. Dr. Hans Fleisch: Stiftungen sollten sich als Dienstleistungsunternehmen verstehen, wenn sie sich weiterentwickeln wollen. Natürlich nicht im Sinne profitorientierter Unternehmen, letztendlich ist eine Stiftung aber eine Unternehmung und die Fragen, die sich ein Dienstleistungsunternehmen stellt, sind nicht so weit von denen einer Stiftung entfernt.

Dabei sollte eine Stiftung auch immer das große Ganze im Auge behalten und mit dem Einnehmen einer Teilrolle zum Wirken und Stärken des Stiftungssektors beitragen. Für Letzteres reicht bereits ein kleiner Beitrag aus. Beispiel: Die Heinz-Trox-Stiftung, welcher ich vorsitze, hat neben dem Schwerpunkt Wissenschaftsförderung eine Reihe weitere Zwecke. Bei letzterem agieren somit sehr lokal an den TROX Produktionsstandorten. Was mit überschaubaren Beträgen scheinbar Gießkannen- oder Tröpfchenbewässerung ist, führt – und das ist das Ziel – dazu, dass wir einen tatsächlichen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft vor Ort insgesamt leisten. Dass wir lokal zur Resilienz der lokalen Zivilgesellschaft beitrugen, hat insbesondere in der Corona-Zeit sehr positive Wirkung gezeigt. Dabei kooperieren wir auch eng mit lokaler Politik und Verwaltung.

#stiftungenstärken: Diese Herangehensweise könnte vor allem auch für kleinere Stiftungen interessant sein. Haben Sie Ideen, wie dies an kleinere Stiftungen herangeführt werden könnte? Braucht es hierzu Lobbyarbeit oder Kampagnen?

Prof. Dr. Hans Fleisch: Von Kampagnen halte ich nicht so viel. Ich glaube, es braucht gute Beispiele für eine solche Stiftungsstrategie, welche natürlich auch kommuniziert werden müssen. Nach solchen Exempeln lassen sich erfolgreiche Stiftungsstrategien dann einfacher abkupfern. Ähnlich verfahre ich auch in meiner beratenden Rolle gegenüber Stiftungen, indem ich ihnen die Strategiemöglichkeiten an dem Beispiel anderer Stiftungen näherbringe. Dieser Vergleich ist gerade für kleinere Stiftungen sehr anregend. Durch entsprechende strategische Veränderung werden sie somit ein wichtiger, wenn auch kleiner, Teil das Mitbauens der gesamten Kathedrale in der Stiftungslandschaft.

vtfds2023 Save the Date

#stiftungenstärken: Ein schönes Bild, das wir gerne in die Stiftungswelt und darüber hinaus tragen werden. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Jahrestagung am 25.4., und freuen uns bereits auf das nächste Gespräch mit Ihnen.