Sich mit Dr. Christoph Mecking über die Stiftungsrechtsreform zu unterhalten, ist immer wieder eine richtige Freude. Nicht nur, dass er einen sehr reflektierten Blick auf die novellierten stiftungsrechtlichen Regeln mitbringt, er übersetzt diese auch sehr trefflich und anschaulich in bzw. für die tägliche Stiftungspraxis. Im Vorfeld der Jahrestagung von Stiftung & Sponsoring am 25.4.2023 sprachen wir mit ihm über das Wesen der Stiftungsrechtsreform, was sie den Stiftungen wo bringt und an welchen Stellen es vielleicht vom Gesetzgeber noch mehr Mut und vor allem Weitsicht gebraucht hätte.
#stiftungenstärken: Herr Mecking, lassen Sie uns gleich zu Anfang schon auf die Stiftungsrechtsreform zu sprechen kommen: Inwieweit besteht noch Nachbesserungsbedarf für Stiftungen bezüglich der gesetzlichen Neuerungen der Reform?
Dr. Christoph Mecking: Zur Beantwortung dieser Frage müsste man sich zuerst die Vorteile der Stiftungsrechtsreform vor Auge führen. Sie unternimmt es, die bislang bestehenden Regelungen auf landesgesetzlicher Ebene im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) auf der Bundesebene zu vereinheitlichen. Dies dient der Planbarkeit, Rechtssicherheit, aber auch der Rechtsfortbildung. Aufgrund der Reform kann die Rechtsprechung nunmehr auf einen einheitlichen Normenstand zurückgreifen. Zuvor waren die im Detail sehr unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen nur als Referenzrahmen hinzuziehen. Die Neuregelung hat aber auch einen sehr bürokratischen Normenbestand hervorgebracht, welcher viele Fragen aufwerfen wird.
Die Beratungspraxis, die Haltung der Aufsichtsbehörden und die späteren Entscheidungen der Gerichte werden zeigen, wie die Vorschriften zu interpretieren sind. Es ist, und das sollte hervorgehoben werden, bei einer Offenheit der Gestaltung geblieben. Das war im Entstehungsprozess des Gesetzes nicht selbstverständlich: Der Regierungsentwurf hatte eine Satzungsstrenge vorgesehen, wonach von den gesetzlichen Vorgaben nicht oder nur unter engen Bedingungen abgewichen werden durfte. Diese Vorgaben, die der Attraktivität des Stiftungswesens sehr geschadet hätten, sind dann im weiteren Gesetzgebungsverfahren glücklicherweise weggefallen und das reformierte Gesetz hat Gestaltungsmöglichkeiten aufrechterhalten. Aber zu vielen stiftungsrechtlichen Themen wird es noch Diskussionsbedarf über Inhalt und Grenzen geben.
#stiftungenstärken: Wo genau?
Dr. Christoph Mecking: Bei der Frage, ob der Stifter auch abweichend der gesetzlichen Vorgaben zu Auflösung und Aufhebung sowie der Zusammenlegung einer Stiftung die Voraussetzungen bestimmen darf; hierzu ist misslich, dass in der Gesetzesbegründung der an sich entfallene Grundsatz der Satzungsstrenge erhalten geblieben ist, möglicherweise wegen eines Redaktionsversehens. Das reformierte Gesetz differenziert auch ausdrücklich zwischen Dauer- und Verbrauchsstiftung und sieht sie als unterschiedliche Arten von Stiftungen. Es bedarf der Klärung, in welchem Verhältnis beide zueinanderstehen.
Die bisher geltende Regelung dagegen war meines Erachtens viel einfacher: Es wurde lediglich vorgesehen, dass eine Stiftung für mindestens zehn Jahre zu bestehen hat. Ob die Stiftung hinterher ihr Vermögen aufbraucht oder nicht, war dagegen eine Gestaltungsfrage. Dass sich nach der neuen Fassung der Stifter sich bereits bei Errichtung zwischen Dauer- und Verbrauchsstiftung entscheiden soll, erscheint praxisfern, denn nicht selten möchte er sich anfangs schon festlegen. Die erzwungene Festlegung ist auch diskriminierend, denn eine Verbrauchsstiftung muss zukünftig einen entsprechenden Zusatz nach ihrem Namen führen wird somit als Stiftung „zweiter Klasse“ erscheinen, als Auslaufmodell, obwohl Verbrauchsstiftungen doch gleich leistungsstark wie Dauerstiftungen sein können. Auch die Verhinderung einer „Stiftung auf Zeit“, also einer Stiftung, welche beispielsweise für zwanzig Jahre bestehen soll und deren Vermögen mit Ablauf dieser Zeit wieder zurückfällt, müsste meines Erachtens nochmal überdacht werden.
Veranstaltungs-Tipp:
Am 25.4.2023 findet in Berlin in den Räumlichkeiten der ESV Akademie die Jahrestagung von Stiftung & Sponsoring statt, die wir sehr gerne als Plattformpartner begleiten. Das Motto in diesem Jahr lautet „Reform und Aufbruch – wie Stiftungen aus Herausforderungen Chancen machen“.
#stiftungenstärken: Verstehe. In Bezug auf die Stiftungsrechtsreform hört man auch immer wieder, dass diese mehr Flexibilität für Stiftungen schaffen würde. Würden Sie dieser Auffassung zustimmen und was bedeutet Flexibilität in der alltäglichen Stiftungspraxis für Sie?
Dr. Christoph Mecking: Dass die Reform mit mehr Flexibilität einhergeht, sehe ich nicht ganz so. Schauen wir uns hierzu nur einmal die Neufassung des § 85 BGB an, welcher die Voraussetzungen für eine Satzungsänderung vorgibt. Die Vorschrift unterstellt, dass die Art und Weise der Zweckerfüllung in der Satzung ein prägendes Merkmal für die Stiftung sei und dies deswegen nur erschwert unter bestimmten Voraussetzungen abänderbar ist. In der Praxis sieht dies jedoch anders aus: Die Art und Weise der Zweckerfüllung wird in der Satzung vor allem als Nachweis für die Fördermöglichkeiten insbesondere gegenüber dem Finanzamt eingebaut. Die späteren Förderungen weichen dann in der Praxis meist von diesen Verwirklichungsbeispielen ab.
Eine weitere Vorschrift sieht vor, dass bei Abweichungen von dem gesetzlichen Konzept der Satzungsänderung Inhalt und Ausmaß der Änderungsermächtigung vom Stifter hinreichend bestimmt festzulegen sind. Auch hier wird sich in der Praxis zeigen müssen, welche Anforderungen konkret an die Änderungsermächtigung gestellt werden. Auch das Verfahren der Zusammenlegung von Stiftungen ist kompliziert ausgestaltet. Immerhin gibt es jetzt zwar Regelungen, um die in der Praxis bereits bestehenden Prozeduren zu kodifizieren, diese erscheinen mir jedoch etwas aufgebläht.
#stiftungenstärken: Hätte man die Reform also schlanker halten müssen?
Dr. Christoph Mecking: Unbedingt. Das fängt schon damit an, dass durch das Gesetz der frühere Zusammenhang zwischen Stiftungs- und Vereinsrecht zerrissen worden ist. Früher hat das Stiftungsrecht vielfach auf die vereinsrechtlichen Regelungen verwiesen, deshalb kam das Stiftungsrecht im BGB auch mit nur neun Paragrafen aus, jetzt sind es 36 und für das Stiftungsregister bestehen noch weitere Regelungen. Dabei bilden Vereine und Stiftungen verwandte Rechtsformen im Non-Profit-Bereich. Es hätte nahegelegen, diesen Zusammenhang auch im Gesetz beizubehalten.
#stiftungenstärken: Stichwort Business Judgement Rule: Für viele Stiftungen war die Business Judgement Rule schon vor der Reform gelebte Praxis. Was ändert sich jetzt durch die Reform auch für alle anderen Stiftungen?
Dr. Christoph Mecking: Letztlich modifiziert die Business Judgement Rule den Haftungsmaßstab für Stiftungen. Den Verantwortlichen einer Stiftung ist danach keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, soweit sie zum Wohle der Stiftung handelt, etwa in der Vermögensverwaltung die Anlagen sorgfältig prüfen, ausreichende Informationen hierzu einholen und die satzungsmäßigen und gesetzlichen Vorgaben beachten sowie ihre Entscheidungen dokumentieren. Abzuwarten bleibt jedoch auch hier, wie weit der Haftungsmaßstab auszulegen ist.
Podcast-Tipp:
Zur Business Judgement Rule und welche Rolle sie in der täglichen Stiftungspraxis spielen kann, sprachen wir im #FreitagsPodcast auch Benjamin Weber von den Deutschen Stiftungsanwälten.
#stiftungenstärken: Kommen wir zu dem Thema Stiftungsvermögen: Welche Möglichkeiten eröffnen sich hier für Stiftungen? Ich vermute mal, dass die Reform diesbezüglich mehr Flexibilität zulässt.
Dr. Christoph Mecking: Hier gilt es zu differenzieren. Zum einen gibt es das gewidmete Vermögen, wozu zunächst das Grundstockvermögen gehört. Zum anderen gibt es sonstiges Vermögen, was insbesondere aus Verbrauchsvermögen besteht. Eine Verbrauchsstiftung verfügt nur über Verbrauchsvermögen. Hingegen muss eine Dauerstiftung jedenfalls Grundstockvermögen haben, aus dessen Erträgen regelmäßig der Stiftungszweck erfüllt wird. Diese Klarstellung, wonach das neue Gesetz diese Differenzierung von gewidmetem und sonstigem Vermögen vornimmt, ist zu begrüßen.
Übrigens empfehle ich Stiftungen bei ihrer Gründung schon seit Jahren, neben dem Grundstockvermögen auch sonstiges Vermögen einzubringen, um direkt mit der Tätigkeit beginnen und notwendige Ausgaben tragen zu können. Falls das sonstige Vermögen zur Aufgabenerfüllung nicht gebraucht wird, kann der Vorstand – wie bei einer Freien Rückklage – beschließen, es in Grundstockvermögen umzuwidmen.
Diese Unterscheidung zwischen gewidmetem und sonstigem Vermögen ist insbesondere im Steuerrecht relevant: Zuwendungen in das sonstige, verbrauchbare Vermögen sind mit dem normalen Sonderausgabenabzug von 20% verbunden, während Grundstockvermögen vom Stifter zusätzlich über 10 Jahre bis zu einer Million Euro absetzbar ist.
Der Stiftung, die diesen steuerlichen Vorteil nicht vermitteln muss, ist zu raten, sich mit dem sonstigen Vermögen flexibel aufzustellen. Dies gilt insbesondere bei Zuwendungen von Todes wegen. Wenn diese ins sonstige Vermögen eingebracht werden, wirken sie wie eine Kapitalrücklage.
#stiftungenstärken: Das könnte auch mehr Spielräume für die Anlage mit sich bringen, ich denke da an thesaurierende Gestaltungen von Fondsprodukten oder Umschichtungserlöse, die daraus generiert werden können.
Dr. Christoph Mecking: Ganz genau. In der Anlage sind ja auch die stiftungs- und gemeinnützigkeitssteuerrechtlichen Vorgaben zu beachten. Es ist jetzt ausdrücklich geregelt, dass Umschichtungsgewinne auch ausgegeben werden können. Bislang war dies mit entsprechender Begründung zwar auch möglich, soweit ein solches Vorgehen durch die Satzung nicht ausgeschlossen und die Erhaltung des Grundstockvermögens gewährleistet ist. Nach dem unglücklichen ursprünglichen Regierungsentwurf hätte die Verwendung von Umschichtungsgewinnen für die Zweckerfüllung dagegen in der Satzung ausdrücklich zugelassen werden müssen. Dies entsprach der früheren Vorstellung, dass alle Umschichtungen das Grundstockvermögen verändern. Aber für den Stifter und die Stiftung muss immer die Erfüllung des Stiftungszwecks im Vordergrund stehen; das wird jetzt nachvollzogen. Der Gesetzgeber hat allerdings keine Regelungen über Umschichtungsrücklagen getroffen, die eine Saldierung von Gewinn und Verlust im Grundstockvermögen und somit einen Flexibilitätspuffer in der Rechnungslegung der Stiftungen darstellen.
#stiftungenstärken: Wird es durch das neue Stiftungsrecht in Zukunft einfacher, eine Stiftung anpassungsfähiger für sich verändernde Bedingungen zu machen, beispielsweise durch Satzungsänderungen?
Dr. Christoph Mecking: Entscheidend kommt es hierbei auf die ursprüngliche Ausgestaltung der Stiftung an: Der Stifter kann bereits bei der Gründung der Stiftung bestimmen, inwieweit die Stiftung flexibel sein soll. Diesen Gestaltungsspielraum gab es jedoch auch schon vor der Reform. Die neuen Vorschriften geben jetzt vor, dass der Stifter hierüber eine Entscheidung treffen muss. Es wird sich zeigen, wie diese Vorschrift in der Praxis gelebt werden wird. Meine Befürchtung ist, dass insbesondere die Aufsichtsbehörden noch entsprechend ihrer gewohnten Einstellungen verfahren werden. Erst kürzlich hatte ich eine Diskussion über eine Satzungsänderung, bei der die neue rechtliche Situation überhaupt noch nicht bedacht werden sollte, obwohl sie bereits seit geraumer Zeit Gesetz ist und insoweit Vorwirkung haben muss.
#stiftungenstärken: Beim diesjährigen Stiftungsrechtstag in Bochum wurde die Wichtigkeit der Anpassungsfähigkeit betont. Insbesondere würden Stiftungen durch die Stiftungsaufsichtsbehörden hingewiesen, in welchen Punkten noch Nachbesserungsbedarf in der Satzung bestehe, damit Stiftungen dynamisch bleiben. Es scheint also Aufsichten zu geben, die dieses Problem sehen und Stiftungen aktiv darauf aufmerksam machen.
Dr. Christoph Mecking: Ja, das ist auch gut so. Letztendlich ist es jedoch die Entscheidung des Stifters, wie flexibel und dynamisch die Stiftung ausgestaltet sein soll und ob den Entscheidungsorganen ein entsprechender Auftrag gegeben und Vertrauensvorschuss gewährt wird. Es bleibt bedauerlich, dass der Stifter kein Recht erhalten hat, für eine gewisse Zeit nach Gründung noch selbst die Stiftungssatzung ändern zu dürfen. Ich gehe davon aus, dass diese und andere Forderungen aus den Praxiserfahrungen heraus in die schon jetzt geplante Evaluation und Anpassung des Gesetzes Berücksichtigung finden.
#stiftungenstärken: Auch was einmal ins Gesetz gegossen wurde, darf eben dennoch nicht sakrosankt sein. Wir danken Ihnen sehr, dass Sie den Themenkomplex Stiftungsrechtsreform für uns noch einmal eingeordnet haben, und sicher sprechen wir drüber am 25.4.2023 in Berlin.
Das Gespräch führten Hanna Günther (h.guenther@stiftungsmarktplatz.eu) & Tobias Karow (t.karow@stiftungsmarktplatz.eu)