Stiftungen sollten Vision Investing betreiben, also in ihre Vision investieren. Diese Erkenntnis nehmen wir aus den Vorträgen und Gesprächen der 6. Jahrestagung des Verbands für gemeinnütziges Stiften in Österreich mit nach Hause. Das Programm der Konferenz war gespickt mit derlei Denkanstößen, die dann auch zu intensiven am Cappuccino-Automaten anregten. Warum eine Vision so wichtig ist? Nun ja, darüber definieren Stiftungen ihren Platz in einer stetig komplexeren und derzeit hyperkomplexen Welt. In unseren drei Lehren von der Jahrestagung dreht es sich aber nicht nur um das Thema Visionen.
Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen. Dieser Satz wird von Helmut Schmidt überliefert. Das ist die eine Sichtweise zu Visionen. Die andere kann sein, dass Visionen eine Idee von einem Morgen sind, das ich heute mitzugestalten gedenke. Wenn wir also in einer Welt mit unendlich vielen Problemen leben und dazu auch jede Menge Geld verorten, das nach Engagement und sinnhaftigem Einsatz dürstet, dann ist eine Idee von einem Morgen nicht die allerschlechteste Idee. Insbesondere nicht für Stiftungen, die ja dem Gemeinwohl und damit auch dem Morgen verpflichtet sind. Wenn Gesellschaftssysteme Gründer und Disruptoren braucht, dann braucht es auch Visionen, in welche Richtung sich dieses System übergeordnet entwickeln soll, und hierbei kommt Stiftungen als relativ autarker Denk-, Probier- und Handlungsraum eine große Bedeutung zu. So jedenfalls leiten wir es aus dem Eingangsimpuls von Goran Buldiosky von der Open Society Foundation ab.
Lehre Nummer 1: In ihre Vision müssen Stiftungen investieren
Oben haben Sie bestimmt gedacht, es handelt sich um einen Schreibfehler, aber Sie haben richtig gelesen. Vision Investing, das Investieren in die übergeordnete Vision einer Stiftung, das muss künftig zum Handwerkszeug einer Stiftung gehören. Denn je klarer die Idee davon ist, wie eine Stiftung zu Zukunft und auch ihre eigene Rolle in dieser Zukunft sieht, desto deutlicher wird ihr im Hier und Jetzt das dafür notwendige Handeln skizzierbar sein. Stiftungshandeln muss womöglich spitzer werden, fokussierter, deutlicher auf einen ganz bestimmten Beitrag abgestimmt. Damit dies gelingt, braucht es Visionäre in einer Stiftung, und zwar auf allen Ebenen. In den Diskussionen kam auf der Jahrestagung schön heraus, dass sich Stiftungen auf die Suche nach den Visionären in ihrer Stiftung machen müssten. Gremien mit der Aura von „The aging men“ bräuchte niemand mehr, denn hier leitet niemand mehr eine Vision für die Zukunft ab. Ein spannender Gedanke, bei dem sich aber viele Stiftungen ertappt fühlen dürften.
Lehre Nummer 2: Kooperationen von Stiftungen scheitern oftmals an der Augenhöhe
Nicht unspannend waren auch die Denkanstöße hinsichtlich von Kooperationen im Stiftungssektor. Zugegeben, es war nicht unendlich viel Neues aus dieser Diskussion herauszuholen, aber ein zwei tolle Sätze fielen, die dann doch wieder ein neues Schlaglicht auf Kooperationen von Stiftungen warfen. So seien „Organisationen die Summe der Menschen, die sie tragen, und jeder Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen. Das sitzt mit im Raum, es gilt, sich persönlich kennenzulernen.“ Sofern es also einen Schlüssel zum Erfolg von Kooperationen gibt, kann das durchaus einer sein, die Formulierung hat auf jeden Fall etwas Bleibendes an sich. Die Frage der Augenhöhe ist dabei ein, die auch immer irgendwie im Raum steht. Aber kann es sein, dass Stiftungen hier zu viel erwarten? Keine Organisation ist wie die andere, jede ist unterschiedlich groß. Wichtig sei, sich im Dialog Wissen des anderen anzueignen, Entscheidungsstrukturen zu verstehen. Wissen ist Macht, aber es ist im Falle einer Kooperation unter Stiftungen auch Schlüssel zum Gelingen.
Lehre Nummer 3: Stiftungen können Risiken eingehen!
Einen dritten Anstoß nehmen wir mit, weil er uns schon oft begegnet ist. Die Frage nämlich, ob Stiftungen Risiken eingehen können, sollten oder gar manchmal auch müssen. Es fiel im Rahmen der 6. Jahrestagung vom Verband für gemeinnütziges Stiften in Österreich der Satz, dass Stiftungen durchaus Risiken eingehen könnten und sollten, weil im Falle eines Scheiterns der Schden gesamtgesellschaftlich gesehen im Vergleich aller Akteure am geringsten wäre. Natürlich würde die Reputation einer Stiftung im Fall der Fälle leiden, aber das sei reparierbar. Viel relevanter aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive heraus sei die Möglichkeit, aus diesem Scheitern auch lernen zu können. Scheitern gehöre zum systemtischen Re-Start dazu, und genau für dieses mögliche Scheitern könnten Stiftungen den entsprechenden Raum bieten – vielleicht auch, um sich das von der Gesellschaft eingeräumte Steuerprivileg auch dadurch „zu verdienen“. Diese Diskussion, so nehmen wir es aus Wien mit, ist aber eine europäische, und hier kommt rasch auch die Relevanz-Frage auf den Tisch.
DANKE für 5 konstruktive Jahre
Im Rahmen der 6. Jahrestagung des Verbands für gemeinnütziges Stiften in Österreich wurde es auch emotional. Die Chefin des Interessenverbandes der österreichischen gemeinnützigen Stiftungen, Ruth Williams, wird den Verband verlassen und neue Geschäftsführerin des Österreichischen Fundraisingsverbandes. Wir haben in den vergangenen 5 Jahren an vielen Stellen mit Ruth Williams zusammengearbeitet, haben etliche Themen beleuchtet und immer wieder Anknüpfungspunkte gefunden. Uns bleibt an dieser Stelle, ein herzliches Dankeschön an Ruth Williams zu richten, es ist keine Selbstverständlichkeit, mit Stiftungsverbandsverantwortlichen solch einen konstruktiven Dialog zu führen und immer wieder für Anliegen auf ein offenes Ohr zu treffen. Danke, liebe Ruth, und alles Gute für den Neustart an neuer Wirkungsstätte. Wir freuen uns schon auf den nächsten Austausch…
Zusammengefasst
Die 6. Jahrestagung des Verbands für gemeinnütziges Stiften in Österreich führte uns einmal mehr Grundsätzliches vor Augen. Stiftungen brauchen insbesondere in der heutigen Zeit eine Vision, eine klare Vorstellung davon, welchen Beitrag Stiftungen zu Bearbeiten gesellschaftlicher Herausforderungen und Probleme leisten möchte und leisten kann. Auch in Österreich wird die globale Situation als sehr komplex angesehen. Gleichzeitig müssen Stiftungen in Systemen denken und handeln, systemisch auf das „da draußen“ zu reagieren, wird für Stiftungen immer mehr zur Pflicht. Es ist dies keine Frage mehr des Wollens, sondern des Müssens. Schließlich erreichte uns auf der Konferenz die Nachricht, dass am 1.1.2024 eine Novelle des Gemeinnützigkeitsrechts in Österreich anstehen könnte. Die Stiftungsstandorte in Europa nehmen die Herausforderungen an, nicht sofort und allumfassend, aber doch Schritt für Schritt. Wir lernen: Die Vision für das stifterische Morgen ist auch in Österreich in Arbeit