Als ich eines Abends bei meinen Schwiegereltern in spe gefragt wurde, ob ich den Telekommander mal rüberreichen könne, war ich recht unvorbereitet. Nicht, weil mir das Schwäbische dazwischenfunkte, sondern weil ich einfach nicht wusste, was ein „Telekommander“ ist. Dabei konnte ich mir schon denken, was gemeint war – nämlich die Fernbedienung, die schräg vor mir lag und an die ich am einfachsten von allen rankam – ich wusste nur nicht, dass diese irgendwann einmal als „Telekommander“ bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung musste aus einer Zeit stammen, als wir noch Robotron-Geräte bedienten und die Antenne mit Alufolie umwickelten. Hier mussten sich zwei Welten finden – und das müssen der Stiftungssektor und die Digitale Welt heute auch.
Als ich neulich den Aufruf praktisch des gesamten Dritten Sektors an die Politik las, man möge ihn unter anderem bei Digitalisierungsmaßnahmen unterstützen, wusste ich zunächst nicht, was ich von diesem offenen Brief halten sollte. Die eine Seite der Medaille ist ja, dass der Sektor durch die Corona-Krise vor allem durch ausbleibende Spenden und Probleme auf der Kapitalanlageseite, also bei beiden zentralen Säulen auf der Einnahmeseite, derart unter Druck geraten ist, dass externe Hilfe praktisch unerlässlich ist. Die andere Seite der Medaille ist allerdings auch, dass auf Seiten der Kapitalanlage bis zuletzt durchaus mit der Devise „das haben wir immer schon so gemacht“ argumentiert wurde. Gleichzeitig wurde beim Fundraising einfach zu wenig Aufwand betrieben, um die neuen Instrumente, die die digitale Welt bietet, auch wirklich ausgiebig zu nutzen. Ganz abgesehen davon, dass viele Stiftungen ihre Prozesse immer noch nicht dahingehend analysiert haben, ob sie vielleicht durch digitale Werkzeuge deutlich schlanker gemacht werden können. Dadurch würden Stiftungen aus sich heraus ja auch an Schlagkraft gewinnen – nur wurden Schritte der Digitalisierung immer auch als Aufwand gesehen und weniger als Chance oder gar als Investment in die Zukunft.
KRITIK AM DRITTEN SEKTOR FÄLLT SCHWER
Natürlich tut man sich schwer, und da nehme ich mich nicht aus, den Dritten Sektor bzw. das zivilgesellschaftliche Engagement dafür zu kritisieren, sich nicht früher um digitale Tools für die tägliche Praxis gekümmert zu haben. Es ließe sich leicht argumentieren, dass es vor zehn Jahren erste Schritte einer digitalen Kommunikationsstrategie einer Stiftung gebraucht hätte, vor fünf Jahren hätte man spätestens in das Aufrüsten der Prozesse investieren müssen, und hier hätte ausdrücklich auch das Schaffen von Kapazitäten für ein professionelleres Vorgehen auf der Einnahmeseite, sprich: der Verwaltung des Stiftungsvermögens und des Fundraisings, dazu gehört. Es wäre ein Leichtes, den Sektor dafür zu kritisieren, dass er heute eher nette Details in die tägliche Stiftungspraxis integriert statt sich Gedanken zu machen, welche Aufgabenstellung 2030 oder 2040 relevant sein wird und die Prozesse und Werkzeuge danach auszurichten bzw. auszuwählen. Wie gesagt, es wäre leicht, hier den Kritikbüttel hinzuwerfen.
CORONA IST NICHT AN ALLEM SCHULD
In diesem Kontext stellte sich dann die Frage, ob der Sektor wirklich finanzielle Hilfe oder ob er nicht eigentlich andere Kapazitäten braucht – und ob es schicklich ist, die eigenen Versäumnisse als krisenbedingt hinzustellen und dafür dann um Hilfe des Staates zu ersuchen. Man könnte dem Sektor dieses Ansinnen als Flucht vor dem eigenen Versagen auslegen: Denn dass plötzlich die ordentlichen Erträge aus der Kapitalanlage heraus alles andere als visibel sind, ist kein Versäumnis der letzten drei Monate, sondern der letzten 20 Jahre, in denen sich einfach zu viele Stiftungen zu wenig in finanziellen Belangen präpariert haben. Auf der Seite der Digitalisierung ließe sich Ähnliches sagen. Es ist nicht die Schuld der Corona-Krise, dass Digitalisierungsschritte nicht unternommen wurden, sondern die des Sektors, der einfach etwas bräsig agiert und sich zu lange darauf ausgeruht hat, dass die Welt sich womöglich doch nicht so schnell drehen wird und dass Abwarten erstmal der beste aller möglichen strategischen Ansätze ist.
ZWEI WELTEN MÜSSEN SICH GEGENSEITIG VERSTEHEN
Wie gesagt, so ließe sich dem Sektor durchaus der Spiegel vorhalten, aber das möchte ich an dieser Stelle ganz bewusst nicht tun. Mir ginge es eher darum, dafür zu werben, dass Stiftungswelt (und damit ist nicht die Publikation des Bundesverbands gemeint) und Digitale Welt zueinander finden – und zwar nicht nur auf die Art, dass ein Dritter der Stiftungswelt Geld gibt, um die Erfordernisse der Digitalen Welt bezahlen zu können. Mir ginge es eher um ein gegenseitiges Verständnis dafür, was die eine Welt braucht und was die andere Welt liefern kann. Doch auch hier ist Kommunikation alles. Mir kam neulich ein Softwareunternehmen unter, das mir eine Demoversion seines Stiftungstools zeigen wollte, was scheinbar tolle Features hat mit topics to drop, Cloud-Zeugs und Gedöns, für Stiftungen selbstverständlich auch passend. Doch hier hat ein Anbieter digitaler Tools nicht verstanden, wer ihm gegenüber sitzt, auf welcher Entwicklungsstufe viele Stiftungen stehen und was dann die ersten Schritte sein könnten, um der Stiftung aus dem digitalen Dornröschenschlaf zu helfen.
GIBT ES EIGENTLICH EINE SEKTORÜBERGREIFENDE PROJEKTE-APP?
Vielleicht wäre es eine Idee gewesen, oder vielleicht kommt das noch in einem zweiten Schritt: Dass der Stiftungssektor nicht um Geld, sondern um Know-how bittet, in einem offenen Brief an Stiftungsexperten und Lösungslieferanten für Stiftungen, und dass sie gleichzeitig ihre Anforderungen formulieren, was sie brauchen und wie das Modell aussehen könnte, so dass beide Seiten Freude an einer Zusammenarbeit haben. Denn wüsste die eine Seite, was die andere Seite braucht, dann würden beiden Seiten nicht im Nebel aneinander vorbeireden, sondern sie würden miteinander reden – mit dem Ziel, den Stiftungssektor im Digitalen voranzubringen und ihn damit schlagkräftiger für das zu machen, was da auf uns zukommt. Denn ein schlagkräftiger Stiftungssektor ist einer, der seine Belange mit klarer Sprache und in sämtlichen digitalen Kanälen vorträgt, der seine Projekte beispielsweise via App zugänglich macht, oder in dem es eine Projekte-App gibt, in der alle Stiftungsprojekte nach bestimmten Kriterien vergleichbar gemacht werden können.
STIFTUNGEN SIND RELEVANT, UND SOLLTEN SO AUCH IN DER DIGITALEN WELT AUFTRETEN
Wäre so etwas Realität, und würde darüber gesprochen, der Stiftungssektor wäre in meinen Augen auf einem ganz anderen Relevanzlevel unterwegs als eben auf Ebene derer, die jetzt um Hilfe bitten. Und diese Liste ist lang in Zeiten der Corona-Krise und dahinsiechender wirtschaftlicher Aktivität. Genau um diese Relevanz sollte es aber Stiftungen doch auch gehen: Denn wenn Deutschland eines hat, dann ist es eine starke Zivilgesellschaft, und diese Zivilgesellschaft löst soziale Probleme und stößt gesellschaftliche Debatten an. Damit das so bleibt, sollte sie eher progressiv und selbstbewusst definieren und formulieren, was es bräuchte, um schnell und zielgerichtet Anschluss an die digitale Welt zu finden und wie die ersten fünf Schritte des Sektors als solches und auch herunter gebrochen auf die Stiftungen nach ihrer digitalen Reife aussehen könnten. So könnte ein Aufruf aus dem Sektor heraus auch aussehen, und so würde Digitale Welt und Stiftungswelt eher zueinander finden. Und „eher“ bedeutet angesichts des offensichtlichen Rückstands digitale Prozesse und Werkzeuge „so schnell wie möglich“.
ZUSAMMENGEFASST
Die Digitale und die Stiftungswelt sind zwei Welten, die sich noch nicht so richtig gefunden haben. Klar, es gibt Stiftungen, die digitale Tools im Fundraising einsetzen, die Instagram-Accounts bespielen, schicke Website befüllen oder Newsletter zu Netzwerkpflege einsetzen. Diese Tätigkeiten bleiben aber oft relativ oberflächlich: Selten steckt eine Strategie dahinter, selten ist das Vorgehen abgestimmt, und selten sind Stiftungen mit ihrem Vorgehen hier „state-of-the-art“, wie es so schön heißt, also auf der Höhe der Zeit. Sie erinnern sich an den eingangs zitierten Telekommander? Irgendwann wusste ich, was gemeint war und konnte diesen anreichen. Nicht selten ergeben sich Missverständnisse zwischen einer „alten“ und „neuen“ Welt aufgrund von unterschiedlichen Terminologien, gemeint ist aber jeweils das Gleiche. Der einzige Weg, das aufzulösen, geht über Kommunikation, und plötzlich sind die Unterschiede und Gräben gar nicht mehr so groß. Und dann bieten sich ganz leicht Möglichkeiten, gemeinsam weiter zu denken: Als meine bessere Hälfte und ich an jenem besagten Abend den Streaming-Dienst auspackten und diesen über das Smartphone am Fernseher bedienten, waren der Telekommander und lineares Fernsehen plötzlich passé. Aber so was von.