Frühjahrspflege für das Stiftungsvermögen

Corona-Krise aktuell: Ein paar Gedanken darüber, was die Frühjahrspflege eines Lavendelstrauchs mit dem Stiftungsvermögen „post-Corona“ & „Coronomics“ zu tun hat

12188
Frühjahrspflege für das Stiftungsvermögen
Lesezeit: 8 Minuten

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber mittlerweile kenne ich die Spazierwege um den Block schon ganz gut, daher habe ich mir mal unsere Blumen auf Balkonien „vorgenommen“. Es musste umgetopft, hier und da wie auf einem OP-Tisch am offenen Herzen geschnitten und natürlich auch an unzähligen alten Trieben Hand angelegt werden. Je nachdrücklicher eine Pflanze zurückgeschnitten wird, desto schöner wächst sie in der Folge. Bei meinem Lavendel ist mir das besonders aufgefallen, denn den musste ich ordentlich zurechtstutzen. Was mich auf den Gedanken brachte, eine Parallele zum Stiftungsvermögen zu suchen. Denn die gibt es.

Ein Geheimnis von erfolgreicher Kapitalanlage ist, nicht immer an allem festzuhalten sondern das Depot immer wieder zu überprüfen und auch mal alte Positionen einfach herauszunehmen. So wie ich eben beim Lavendel nach dem Winter gar nicht umhin komme, mal so richtig die Schere anzusetzen. Die alten Triebe müssen ab, der Boden muss aufgelockert werden, es muss spezieller Lavendeldünger in den Boden eingearbeitet werden, und natürlich gilt es auch, die gesamte Optik wieder in Form zu bringen. Das, was der Lavendel also aus dem Winter mitbrachte, wird nicht das sein, was ihn wieder schön und bunt und buschig strahlen lässt. Die Schönheit des Lavendels liegt dort begründet, wo man nur durch das Abschneiden der alten Triebe hingelangt, zu den jungen, frischen Austrieben, die aber eben nur dann so richtig Mut und Kraft schöpfen, wenn der holzige Ballast einmal abgeworfen wurde. Dass der Lavendel dabei Hilfe braucht, ist selbstverständlich, und hier entspinnt sich auch die Parallele zwischen der Pflege eines Lavendels und der Pflege des Stiftungsvermögens.

„CORONOMICS“ UND WAS SIE FÜR STIFTUNGEN UND IHR STIFTUNGSVERMÖGEN BEDEUTEN

Machen wir doch einmal eine Bestandsaufnahme, eben eine wie bei einem Lavendel nach dem Winter. Die Weltgesellschaft und die Weltwirtschaft agieren derzeit im Corona-Modus. Die Regierungen lavieren zwischen laxen Maßnahmen und einem harten Shutdown, wobei letzterer in der Literatur auch als die Hammer-Methode bezeichnet wird, deren Folgen deutlich positiver für Mensch und Wirtschaft einzuschätzen sind als das Bauen auf Herdenimmunität oder Ähnliches: Es sterben schlichtweg weniger Menschen, es werden mehr Menschenleben gerettet, mit allen positiven Implikationen für Gesellschaft und Wirtschaft. Damit einher geht, dass die Wirtschaft in einem Hammer-Szenario mittelfristig weit weniger leidet als in einem „Wir mogeln uns da schon irgendwie durch“-Szenario, da eine Wirtschaft in einem Hammer-Szenario schneller wieder gen Normal-Null hochgefahren werden kann. Die Wirtschaft muss nicht lavieren, sie wird ab- und angeschaltet. Ausschlaggebend hierfür sind Beobachtungen zufolge vor allem die weit geringer ausfallenden Aufräumarbeiten nach der Pandemie, und die Spielräume (=durch die staatlichen Stützungsprogramme), Investitionen und Konsum auch nachzuholen. Als Coronomics wird in einigen Jahren vielleicht ebenjener Maßnahmenkatalog bezeichnet werden, der die getroffenen Maßnahmen zum Shutdown der Wirtschaften umfasst – aber eben auch zum Wiederanlaufenlassen der Maschinerie.

Grafik „Szenarien wirtschaftlicher Entwicklungen nach Corona“
Quelle: BCG Center for Macroeconomics, Havard Business Review; eigene Darstellung

WIE STELLE ICH DAS STIFTUNGSVERMÖGEN POST-CORONA AUF?

Für Stiftungsverantwortliche sind diese und noch andere Erkenntnisse elementar, wenn es darum geht, das Stiftungsvermögen post-Corona aufzustellen. Bei unserem Lavendel haben wir die alten Triebe einfach gestutzt, im Stiftungsvermögen dürften es jetzt einige Investments, einige Anleihen, einige Aktien, einige Stiftungsfonds und einige stiftungsgeeignete Fonds nicht mehr durch den Kriterien-Parcours der Stiftungsgremien schaffen. Wenn bisher ein ordentlicher Frühjahrsputz im Stiftungsvermögen noch nicht stattgefunden hat, dann ist hierfür vielleicht gerade jetzt der rechte Zeitpunkt. Warum dürfte dem so sein? Ist die Welt nach Corona eine andere? Nun, die Welt wird in bestimmten Facetten gewiss eine andere sein, bei anderen Aspekten wird ein Umdenken stattfinden, und manches wird einfach weiterlaufen wie bisher. Für das Stiftungsvermögen leitet sich aus der Corona-Krise eine zentrale Frage ab: Was muss ich im Stiftungsvermögen anders machen, um ggf. auf solche externen Schocks besser vorbereitet zu sein und weiter ordentliche Erträge erwirtschaften zu können?

DER NULLLZINS WIRD UNS LANGE ERHALTEN BLEIBEN

Also widmen wir uns dieser Frage einmal etwas ausführlicher. Die Corona-Krise wird die Volkswirtschaften rund um den Globus belasten, eine globale Rezession zeichnet sich am Horizont ab. Gleichzeitig stemmen sich die Staaten „mit allem was sie haben“ gegen ein Abdriften in eine Depression, und werden meiner Meinung nach mit diesen Maßnahmen auch Erfolg haben. Die eine aber entscheidende Folge ist jedoch für Stiftungen eine essenzielle: Das Zinsniveau wird auf Jahre hinaus um Null herum eingefroren. Die höheren Schulden wären mit höheren Zinsen von den meisten Staaten gar nicht zu schultern, daher müssen Stiftungen davon ausgehen, dass es weiter hohe Kunst bleiben wird, mit Staatsanleihen noch Erträge in Form von auskömmlichen Kupons zu verdienen. Auf Seiten der Unternehmensanleihen, zum Ausgleich fallender Kupons bei den Staatsanleihen in den vergangenen Jahren gerne genommen, wird sich die Spreu stärker vom Weizen trennen: Stiftungen werden also stärker darauf achten müssen, nicht in Papiere von Zombie-Unternehmen zu investieren. Solche Firmen existieren häufig nur noch durch Kreditlinien, die nur durch den Nullzins überhaupt noch Sinn ergaben. Stiftungsfonds oder stiftungsgeeignete Fonds werden diesen Aspekt der Qualität noch viel stärker in ihrer Anlagepolitik verankern müssen, Stiftungen müssten ihrerseits einen genaueren Blick auf den Anleiheanteil eines Fonds werfen. Passt da die Qualität nicht, passt der Fonds nicht zur Stiftung, denn diese darf solche Risiken nicht eingehen. Eine wirtschaftliche Erholung wird hier zwar Druck vom Kessel nehmen, aber in einer Krisenphase sind solche Anleihen ein Boomerang, der sich nicht mehr fangen lässt. Hier heißt es, wie beim Lavendel durchaus etwas Kahlschlag zu betreiben oder bei den Fonds dieses Kriterium stärker bei der Auswahl des Fonds zu berücksichtigen.

AUF DER AKTIENSEITE WIRD ES GEWINNER DER CORONA-KRISE GEBEN

Womit wir auf der Aktienseite wären. Stiftungen sollten eine Aktienquote für ihr Stiftungsvermögen festgelegt haben, und an dieser Vorgehensweise sollte die Corona-Krise nichts ändern. Was sich durchaus ändern kann ist die Ausrichtung der Aktienquote, bei selbst gehaltenen Aktien oder bei der Aktienquote in einem stiftungsgeeigneten Fonds. Denn die Corona-Krise wird eines mit der Wirtschaft machen: Sie wird ein Vitamin-Cocktail sein für das maßgebliche Thema der nächsten 20 Jahre, der Globalisierung. Denn Unternehmen reagieren bereits auf das neue Umfeld, und machen es wie Unternehmen vor 100 Jahren. Nur wenige Tage nachdem die ersten Fälle der Spanischen Grippe Mitte 1918 in Zürich bekannt wurden, warb ein Reinigungsmittelhersteller damit, mit seinen Produkten die Bazillen vertreiben zu können. Heute sind zwar alle Events abgesagt, aber fast täglich poppen im E-Mail-Postfach Einladungen zu Online-Konferenzen, Telefon-Updates und Liveschalten auf. Die Wirtschaft reagiert, und wird erkennen, dass die Digitale Welt durch die Corona-Krise eine zum Anfassen geworden ist, vor allem aber eine, die Probleme löst und die Produktivität befördert. In der Folge werden hier Investitionen getätigt, Projekte aufgesetzt und Maßnahmen geplant, und fertig ist das Konjunkturprogramm samt Produktivitätsschub. Gleiches wird durch das Zurückholen von Produktionskapazitäten pharmazeutischer Produkte passieren, oder der Ausstattung des Gesundheitssystem mit medizintechnischem Material. Was nun hierin begründet liegt sind Chancen, und diese Chancen sollten in einem Stiftungsportfolio entsprechend abgebildet sein. Im Übrigen betreffen diese Chancen auch solche Unternehmen, die jetzt in einer Krise überproportional profitieren, die danach aber fast genauso gesuchte Produkte herstellen. Wer des Deutschen Passion für Toilettenpapier kennt, der weiß, in welche Richtung ich hier denke, und diese Richtung sollte auch im Stiftungsvermögen eine sein, die eingeschlagen wird. Kurzum: Solche Unternehmen im Depot zu haben, die einmal diese Krise als Chance begreifen, die diese Krise als Chance nutzen und die in dieser Krise eine Bestätigung ihrer Aktivitäten erfahren, solche Unternehmen sollten in ein Stiftungsdepot oder das Depot eines Stiftungsfonds wandern. Denn diese Unternehmen werden zu jenen gehören, die reüssieren und resultierend daraus auch verhältnismäßig mehr ordentlichen Ertrag werden produzieren können als andere.

Grafik „Prosperität in US-Städten während der Spanischen Grippe“
Quelle: BCG Center for Macroeconomics, Havard Business Review; eigene Darstellung

STIFTUNGSFONDS BRAUCHEN VERMUTLICH IMPULSE

Ein Stiftungsfonds sollte auf diese Aspekte hin abgeklopft werden, denn der Pool, aus dem sich die ordentlichen Erträge speisen, wird künftig womöglich schon ein wenig ein anderer sein als bisher. Im Übrigen kann hier auch die Ebene Systemrelevanz eingezogen werden. Welche Unternehmen sind systemrelevant, indem sie Systemrelevantes machen oder produzieren, und welche sind es nicht? Auch danach lässt sich separieren, und auch diese Denkrichtung kann in Stiftungsfonds und stiftungsgeeigneten Fonds durchaus Einzug halten. Denn was systemrelevant ist, das ist in Krisen beständiger, und was beständig ist erfüllt die Kriterien einer Stiftungseignung mit Sicherheit fast vollumfänglich. Was Stiftungen beim Punkt Beständigkeit vielleicht auch stärker in den Fokus rücken sollten, sind Investments in REITs oder Infrastruktur. Wir hatten es schon oft erwähnt und auch in der FondsFibel für Stiftungen & NPOs immer wieder thematisiert: REITs und Infrastruktur sind Bausteine, die in das Vermögen eines langfristig agierenden Investors wie selbstverständlich hineingehören, und Stiftungen gehören eindeutig in diese Kategorie. Da die Auswahl einzelner Infrastrukturaktien vermutlich an der Analysetiefe scheitert, sind Fonds für diese Segmente aus vielen Gründen heraus für Stiftungen erste Wahl. Wichtigstes Argument war und ist die Ausschüttung, die für Stiftungen nun einmal zählt. Der Corona-Crash hat gezeigt, dass diese Aktien vor einem Crash nicht gefeit sind, die Notierungen sind so tief gefallen wie die breiten Indizes, verbunden mit einem dicken ABER: Die Ausschüttungen werden weiter fließen, nur erwirbt man diese Aktien jetzt zu weit günstigeren Notierungen. Als Stiftung sichert man sich jetzt also eine noch höhere Ausschüttung als die bisher vermutlich gezahlten gut 4% p.a. Gut, einige Dividenden werden gekürzt oder ausfallen, aber auch Fondsebene dürften das Einzelfälle sein, daher empfiehlt sich gerade hier ein Fondsinvestment aus Stiftungssicht am ehesten.

STIFTUNGEN SOLLTEN ÜBER EINE SICHERER-HAFEN-STRATEGIE NACHDENKEN

Etwas weg von den einzelnen Investments, die künftig durchaus etwas anders akzentuiert sein dürften, sollten Stiftungen für sich eine Sicherer-Hafen-Strategie für die Schublade entwickeln. Solch ein Plan ist am besten in der Schublade aufgehoben – gleichzeitig gehört ein solcher Plan zum verantwortungsvollen Umgang mit dem Stiftungsvermögen. Ein solcher Sicherer-Hafen-Plan beinhaltet 1) ein Anlageuniversum (bestehend aus ganz kurzfristigen geldmarktähnlichen aber hochliquiden Anlagen, einem Anteil Gold, einem Anteil kurzlaufender Bundesanleihen, einem Anteil Cash, der bei einem Pool von solventen Banken parallel geparkt wird) für ein Crash- und ein Depressionsszenario, 2) die Definition des Zeitpunkts, wann der Plan aus der Schublade gezogen wird, 3) eine Liquiditätsübersicht mit den Angaben darüber, wann welcher Betrag für Verwaltung und Zwecksphäre gebraucht und aus dem Bestandscash wird, 4) eine Prognose, wie lange aus Bestandscash und Rücklagen heraus der Stiftungszweck weiter regulär verwirklicht werden kann und 5) die Definition des Zeitpunkts, wann wieder regulär allokiert wird. Solch eine Sicher-Hafen-Strategie reicht vielleicht auch als Gedankenspiel, und diese Gedanken lassen sich noch weiten, das ist auch klar –aber die Corona-Krise wird nicht die letzte dieser Art sein, und für den Fall der Fälle ist dann schon mal ein kleiner Entscheidungsrahmen vorhanden. Im Übrigen kann es sinnvoll sein, solch eine Sicherer-Hafen-Strategie dann auch in die externe Kommunikation einzubringen, denn das besagt ja nichts anderes, als dass man in der Krise agieren kann und nur reagieren muss. Für meinen Lavendel bzw. einige andere Balkonpflanzen habe ich solch einen Plan auch, denn die Eisheiligen sind so ein externes Ereignis, dass mir rasch die ganze Arbeit der letzten Wochen zunichtemachen kann. Dann heißt es abdecken, entfeuchten,  verrücken, so dass es Lavendel & Co. es durch den letzten Frost des Jahres schaffen. Was passieren kann, wenn der Frost nochmal kommt oder wenn ein Schädling die Pflanze heimsucht, habe ich durchgespielt, ich weiß, was zu tun ist. Der Buchsbaumzünsler jedenfalls ward bei uns nicht mehr gesehen. Solch einen Plan zu haben, eben eine Sicherer-Hafen-Strategie, ist sicher keine Versicherung für einen Corona-Crash, aber sie ist ein Handlungsrahmen, der eine gewisse Sicherheit vermittelt. Dass damit einhergeht, dass manch alter Zopf im Depot in der post-Corona-Phase weichen muss, ist normal, und auch richtig. Denn so entwickelt sich das Stiftungsvermögen, und damit auch dessen Resilienz gegenüber externen Schocks.

ZUSAMMENGEFASST

Sie sehen schon, Frühjahrspflege kann eine recht komplexe Angelegenheit sein, insbesondere wenn sich die Welt so schnell so herausgefordert sieht wie derzeit und damit einhergehend die Anforderungen an die Verwaltung des Stiftungsvermögens ganz erheblich wachsen. Ein Blick auf die Vergangenheit zeigt, dass es gut war, in solchen Krisenzeiten (und jetzt in der Corona-Krise) die Weichen für die Zukunft zu stellen: Stiftungen sollten in diesem Sinne an der Struktur der Verwaltung und des Depots an sich arbeiten. Hierzu gehört auch, Abwägungen neu zu treffen und die post-Corona-Welt auf ihre Opportunitäten hin abzuklopfen. Es kann sein, dass nicht alle aktuellen Investments dieser Prüfung standhalten und Stiftungen stärker auch Veränderungen in ihren Portfolien vornehmen müssen, indem sie alte Zöpfe anschneiden, eben Krisenpflege betreiben. So wie das bei einem Lavendelstock im Frühjahr immer eine gute Idee ist, also Zöpfe abschneiden, frischen Dünger einarbeiten und üppig angießen. Denn so gepflegt, blüht und wächst er im neuen Sommer nur umso stärker und prächtiger.