Stiftungsfonds zwischen Transformation und Transition

Über die normative Kraft des faktischen Investierens

4085
Stiftungsfonds zwischen Transformation und Transition
Lesezeit: 5 Minuten

BlackRock-CEO Larry Fink hat seinen jährlichen Brief an die Unternehmenschefs weltweit versandt. Viele seiner Anregungen und Forderungen decken sich mit gemeinnütziger Gedankenwelt. Warum sich Stiftungen bestätigt sehen dürfen – und wie sie die Situation nutzen können.

In den vergangenen Jahren ähnelten Finks Briefe eher pastoralen Schriftsätzen, weswegen sich Kommentatoren bisweilen an eine Bergpredigt des Kapitalismus erinnert fühlten. Dieses Jahr gibt es eine wesentlich nüchternere Grundaussage: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern Schlüssel zur Lösung. Wie auch immer: BlackRock verwaltet mehr als 10 Billionen US-Dollar, und allein diese schiere Marktmacht macht es schwierig, gegen Finks Vorstellungen zu wetten. Doch das müssen Stiftungen zum Glück nicht. Vielmehr favorisiert der Vater aller Kapitalisten Dinge, die Stiftungen ohnehin seit Jahren verfolgen.

Nachhaltigkeit: Ja, aber nicht bedingungslos

Der Chef des weltgrößten Investmenthauses befindet sich weiter auf dem Nachhaltigkeitstrip, mahnt die Wirtschaftsbosse öffentlich Stellung zu beziehen, kündigt mehr Einmischung nicht nur auf Hauptversammlungen, sondern das ganze Jahr über an, und misst einer qualifizierten Human Resources-Politik die Rolle als ein Haupttreiber erfolgreicher Unternehmen zu. Das alles hört sich einigermaßen politisch an, weswegen Fink sich beeilt zu betonen, dass seine Überlegungen rein auf die Optimierung der Investments abzielen: „Beim Stakeholder-Kapitalismus geht es nicht um Politik. Auch nicht um eine soziale oder ideologische Agenda. Er ist auch nicht „woke“.“ In einer global vernetzten Welt müsse ein Unternehmen für alle seine Stakeholder Werte schaffen und gleichzeitig deren Wertschätzung erhalten. „Ein wirksamer Stakeholder-Kapitalismus ermöglicht eine optimale Kapitalverwendung, dauerhaft rentable Unternehmen sowie eine langfristige Schaffung von Werten und deren Erhalt.“

Damit können Stiftungen gut leben: Besinnung auf Werte

In dieser Dialektik müssen Unternehmen und deren Lenker Position beziehen, befindet Fink: „Nie war es für CEOs von größerer Relevanz, Position zu beziehen und einen klar definierten Unternehmenszweck, eine kohärente Geschäftsstrategie sowie eine langfristige Perspektive zu haben.“ Das bedeute nicht, zu jedem Tagesthema seinen Senf dazuzugeben. Aber Stakeholder müssten wissen, welchen Standpunkt Unternehmen mit Blick auf wichtige gesellschaftliche Fragen vertreten, die wesentlich für den langfristigen Erfolg der Unternehmen sind.

LESETIPP: Jeder Fonds im #fondsfibel-Club der 25 wird auch dessen ESG-Güte hin untersucht, je authentischer das Nachhaltigkeitskonzept desto besser.

Sehr prominent geht Fink das Thema Human Resources in seinem Brief an.

In den USA und Großbritannien sei die Kündigungsrate auf einem neuen Höchststand. Zudem steigen die Löhne in den Vereinigten Staaten derzeit so rasant wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dass Arbeitnehmer neue Chancen ergreifen, sei gut, denn es zeige, dass sie Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung haben. Rund um den Globus erwarten Beschäftigte heute mehr von ihren Arbeitgebern analysiert der BlackRock CEO – darunter mehr Flexibilität und eine Sinn stiftendere Tätigkeit. Seine Einschätzung zur herkömmlichen nine-to-five-Arbeitswelt: „Diese Welt ist Geschichte.“

Im Sinne von Stiftungen: Wertschätzung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Analysen würden zeigen, dass Firmen mit einer starken Mitarbeiterbindung während der Pandemie von geringerer Fluktuation und höherer Rentabilität profitiert haben. Fluktuation treibt die Kosten in die Höhe und schmälert die Produktivität. Sie untergräbt die Unternehmenskultur und das Bewahren von Firmenwissen. CEOs müssen sich fragen, ob sie ein Betriebsumfeld schaffen, das im Wettbewerb um Talente hilfreich ist. Was können Stiftungen daraus lernen? In jedem Fall wird das „G“ in ESG, also die gute Governance, die gute Unternehmensführung, bei der Investitionsanalyse stärkeres   Gewicht erhalten. Fink gibt konkrete Fragestellungen an die Hand: Was tun Sie, um die Bindung zu Ihren Mitarbeitern zu stärken? Wie gewährleisten Sie, dass sich Ihre Beschäftigten unabhängig von ihrem Hintergrund in Ihrem Unternehmen sicher genug fühlen, um ihre Kreativität, Innovationsfähigkeit und Produktivität voll auszuschöpfen? Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Aufsichtsgremium diese wichtigen Themen im Blick hat? Wie passt sich Ihre Firmenkultur an diese neue Arbeitswelt an? Das sind die Fragen, die auch Fonds, in die Stiftungen investieren, an ihre Portfoliounternehmen stellen sollten.

Kapitalismus und Nachhaltigkeit

Auch zum „E“ in ESG hat Fink eine klare Analyse: „Kaum etwas wird mehr Einfluss auf die Kapitalallokation haben – und damit den langfristigen Wert Ihres Unternehmens – als die Frage, wie gut Sie die Herausforderungen der weltweiten Energiewende in den nächsten Jahren meistern werden“ schreibt er an die CEOs. Binnen zwei Jahren sei es zu einer fundamentalen Umverteilung von Kapital gekommen. Nachhaltige Anlagen haben inzwischen die Schwelle von vier Billionen US-Dollar erreicht. Die Anstrengungen zur Dekarbonisierung wurden in diesen zwei Jahren intensiviert und die Ziele höhergesteckt. Aber: „Das ist erst der Anfang. Die tektonische Kapitalverschiebung hin zu nachhaltigen Anlagen nimmt weiter an Fahrt auf. Ob es sich um Kapital für innovative Vorhaben im Energiesektor handelt oder um Vermögen, das aus traditionellen Indexprodukten in maßgeschneiderte Portfolios und Produkte umgeschichtet wird: Immer mehr Geld wird in Bewegung kommen.“ Hier dürfen sich Stiftungen fast schon in einer Pole Position fühlen: Kaum eine andere Anlegergruppe hast so früh und durchgreifend nachhaltige Investments umgesetzt. Das spiegelt sich ganz deutlich in unserem Club der 25 führenden Stiftungsfonds wider: In allen Fonds wird Nachhaltigkeit großgeschrieben. Bei einigen wenigen steht das noch nicht mit den drei Großbuchstaben im Titel, wird aber durchaus erfolgreich umgesetzt.

Anlagechancen durch nachhaltige Technologien

Fink nennt E-Mobilität als ein Beispiel, dies sei aber nur die Speerspitze, „denn neue, nachhaltige Technologien werden auch alle anderen Branchen von Grund auf verändern.“ Er zeigt sich überzeugt, „dass mit der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft die größte Anlagechance unserer Zeit einhergeht. Zugleich wird diese Entwicklung jene Unternehmen zurücklassen, die sich nicht anpassen, ganz gleich, in welcher Branche sie tätig sind.“ Die Investmentchancen ergeben sich vor allem bereits im vorbörslichen Bereich: „Die nächsten 1.000 „Einhörner“ werden weder Suchmaschinen noch Social-Media-Unternehmen sein, sondern nachhaltige, anpassungsfähige Innovatoren: Start-ups, die Lösungen für den Verzicht auf fossile Brennstoffe entwickeln und die Energiewende für alle erschwinglich machen.“

„Transitioner“ nicht aus dem Anlageuniversum verbannen

Also schnell und möglichst bedingungslos raus aus allen fossilen Firmen? Nein, warnt Fink: Nicht nur junge, innovative Unternehmen können und werden ganze Branchen auf den Kopf stellen, sondern auch herkömmliche Unternehmen mit dem Mut zur Veränderung, denn „tatsächlich verfügen viele etablierte internationale Firmen über einen Vorteil, wenn es um das für die bevorstehenden Umwälzungen benötigte Kapital, Marktwissen und technische Know-how geht. Unsere Frage an diese Unternehmen lautet daher: Was tun Sie für bahnbrechende Neuerungen in Ihrem Geschäft? Wie bereiten Sie sich auf den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft vor und welchen Beitrag leisten Sie? Was bedeuten die grundlegenden Veränderungen, die die Energiewende für Ihre Branche mit sich bringt, für Ihr Unternehmen?“ Heißt im Klartext für Stiftungen: In ein wirklich gut ausbalanciertes Gesamt-Portfolio gehören nicht nur die Teslas, Orstedts und First Solars dieser Welt, sondern auch Unternehmen, die sich glaubhaft auf den Weg machen, statt eines Problems Teil der Lösung zu werden. Deshalb ist es gut und o.k., dass sich Werte wie BP, Shell, EON oder auch die bekannten deutschen Autohersteller in den Depots einiger Fonds im Club der 25 finden. Aus zwei Gründen: Die Transformation eröffnet Kurspotenziale – und trotz Transformationskosten sind solche Unternehmen hervorragende Dividendenzahler.

Die Nachvollziehbarkeit der Anstrengungen wird sich verbessern

BlackRock habe Nachhaltigkeit nicht ins Zentrum des Handelns gerückt „weil wir Umweltschützer, sondern weil wir Kapitalisten“ sind, so Fink.  Er fordert Unternehmen unter anderem dazu auf, sich kurz-, mittel- und langfristige Ziele für die Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen zu setzen. „Aus diesem Grund bitten wir Sie auch, Berichte gemäß den Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) zu erstellen: Sie sind unseres Erachtens wichtige Instrumente, um beurteilen zu können, ob ein Unternehmen zukunftsfähig ist.“ Das ist höflich formuliert, in der Sache aber knallhart: Unternehmen, die nicht einschlägig berichten, werden es künftig kaum mehr als eine shortlist für einen BlackRock-Fonds schaffen.

Zusammengefasst

Es dürfte schon deshalb eine gute Idee für Stiftungen sein, den Anteil nachhaltiger Unternehmen, die nachweislich zur Dekarbonisierung beitragen, im Portfolio zu erhöhen, einfach weil namhafte Mittelzuflüsse in diesen Bereich Preise steigen lässt. Besonders interessant an Finks Brief ist in diesem Jahr aber die Betonung guter Governance. Das mag zu einem gewissen Teil als Nachwehen der Verwerfungen der Trump-Ära sehr USA-bezogen sein. Aber generell dürfte ein Screening der Governance-Qualität eines Unternehmens – Stichworte equal pay, Diversität, executive remuneration mit ESG-Komponente, Incentives und viele weitere – ein lohnender Ansatz im Selektionsprozess sein.