„Wir wollen, dass dem Stifterwillen eine hohe praktische Handlungsfähigkeit folgt“

Am Runden Tisch mit Dr. Erich Theodor Barzen (Solidaris), Dr. Stefan Fritz (Stiftungsgeschäftsführer) und Dr. Christoph Mecking (Institut für Stiftungsberatung)

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FUNDATIO
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Die Stiftungsrechtsreform verändert die Stiftungslandschaft, und das wird mit ihrem Inkrafttreten am 1.7.2023 weitergehen. Die drei bekannten Stiftungsrechtler Dr. Erich Theodor Barzen, Dr. Stefan Fritz und Dr. Christoph Mecking sehen das ähnlich, aber sie geben sich mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden. Wie die drei Musketiere kämpfen sie gemeinsam für eine einheitliche Auslegung der neuen stiftungsrechtlichen Regelungen, ihr Degen ist die Stiftung FUNDATIO, über die sie Präzedenzfälle schaffen wollen, auf die sich andere Stiftungen und Stiftungsgründer berufen können. Am Runden Tisch erläutern sie, warum genau das notwendig ist.

Musketier-Cartoon

FondsFibel: Wir wollen über die Stiftung FUNDATIO sprechen. Diese ist in Gründung befindlich und wird – so unsere Lesart – den Stiftungsstandort Deutschland voranbringen. Was war der Auslöser, die Stiftung FUNDATIO gemeinsam mit ihren beiden Mitstreitern zu gründen?
Dr. Erich Theodor Barzen: Die Gründungen von Stiftungen haben heute einen Hang zu Konformität und zu den Mustersatzungen. Eine Mustersatzung beschleunigt das Errichten einer Stiftung, und häufig wird dann auf das individuelle Ausgestalten verzichtet. Auch, weil Stiftungsgründer keine Lust auf Streit mit der Aufsicht haben. Die Rückkoppelung entsteht aber dann, wenn später in der Stiftung etwas gemacht wird, was nicht der Satzung entspricht, was aber Wille des Stifters ist. In dem Moment, in dem die Stiftung gegründet wird, nimmt sich der Stifter nicht alle Freiheiten, um schnell durch das Verfahren zu kommen, und genau das wird zum Bumerang. Genau diese Situation wollen wir aufbrechen. Wir wollen, dass dem Stifterwillen eine hohe praktische Handlungsfähigkeit folgt, dass das, was der Stifter will, flexibel in der Stiftung auch umgesetzt werden kann. Die Stiftungsrechtsreform lässt zu viele Fragen offen.
Dr. Christoph Mecking: Ich habe bei Neugründungen und Satzungsänderungen in der Praxis zahlreiche Wünsche auf dem Tisch gehabt, wo ein Stifter gesagt hat, er habe etwas anders machen wollen in der Stiftung, sei aber an den Vorgaben der Stiftungsaufsicht gescheitert, die ihm einst gemacht wurden. Was häufig vorkommt, ist beispielsweise, dass die Aufsicht verbindlich in der Satzung verortet haben möchte, dass eine Jahresabschlussprüfung vom Wirtschaftsprüfer auf Kosten der Stiftung vorzunehmen ist. Das entlastet die Aufsichten. Selbst bei vielen Stiftungen, die buchhalterisch eigentlich gar nicht kompliziert sind, wird dann solch ein Passus in die Satzung aufgenommen. Wenn dann aber die Mittel mangels Zinsen schwinden, müssen trotzdem Prüfungskosten bezahlt werden, die dann den Verwaltungskostenetat erhöhen. Will die Stiftung dann die Satzung ändern, beruft sich die Aufsicht darauf, dass doch eben jene Prüfungsanordnung explizit Wille des Stifters gewesen sei. Einer Änderung könne daher die Aufsicht nicht zustimmen, und die finanziellen Probleme setzen sich fort.

Dr. Christoph Mecking

FondsFibel: Also Finger weg von der Mustersatzung?
Dr. Christoph Mecking: Hier gilt der Blick denen, die Einfluss auf die Gestaltung der Satzung haben oder gehabt haben. Soll nur die Arbeit der Aufsicht vereinfacht werden, dann birgt das in manchen Fällen Konfliktpotential. Genau solche Problemlagen trieben uns um bei der Beschäftigung mit FUNDATIO. Durch die Stiftungsrechtsreform wurde vorgesehen, dass auch die Landesstiftungsgesetze vereinfacht und vereinheitlicht werden sollen. Ein Standard wurde aber nicht vereinbart. Wir sehen jetzt durch das neue Stiftungsrecht die Chance, das Recht ernst zu nehmen und mit einer Satzungsgestaltung zu verbinden, die neue Wege geht und die versucht, Bedenken, die zum neuen Stiftungsrecht bestehen, zu diskutieren und idealerweise auszuräumen. Denn den bekannten administrativen Dreiklang aus ‚Das haben wir immer so gemacht – Da könnte ja jeder kommen – Das wäre ja noch schöner‘, den wollen wir mit FUNDATIO in einem geänderten Rechtsrahmen durchbrechen.

FondsFibel: Was meinen Sie mit ‚das Recht ernst nehmen‘?
Dr. Christoph Mecking: Der Gesetzgeber hat sich vorgenommen, der Zersplitterung im materiellen Stiftungsrecht zu begegnen. Bundeseinheitliche Regelungen im BGB sind nun sehr detailliert geraten, aber wie belastbar sie sind, das hat noch keiner auf die Probe gestellt. In der Stiftungssatzung werden Zweck, Vermögen und Gremien geregelt, im Stiftungsgeschäft aber zusätzlich auch. Unser Ansatz ist etwa, das Stiftungsgeschäft zu reduzieren und nur auf Basis des zwingenden rechtlichen Rahmens eine Stiftung zu gründen, also den neu bestimmten und nicht einen herkömmlichen rechtlichen Rahmen als Handlungsrahmen heranzuziehen. Wir nehmen damit das Recht ernst.
Dr. Stefan Fritz: Die Frage ist, warum wir eine Stiftung gründen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Anders als im Steuerrecht gibt es im Stiftungsrecht keine übergeordnete Instanz, die dafür sorgt, dass die Vorschriften als Verwaltungsakte in den einzelnen Stiftungsaufsichten auch umgesetzt werden. Im Stiftungssektor nährt das die Sorge, dass die Vereinheitlichung des Rechts und seiner Anwendung überhaupt nicht unten, also bei den Stiftungen und Stiftungsgründern, ankommen. Aufsätze und Kommentare können hier ein Weg sein, der Vereinheitlichung in den Sattel zu helfen, aber viel verbindlicher sind Präzedenzfälle, die sich vorlegen lassen. Oder auch Verwaltungsgerichtsurteile, die sich zitieren lassen. Gerade wenn es für ein Gesetz noch keine Anwendungsfälle gibt, ist es umso wichtiger, so früh wie möglich eben jene zu schaffen. Denn genau daraus entsteht eine einheitliche, oder zumindest einheitlichere Auslegung bei den Behörden.

FondsFibel: Das ist natürlich spannend, Sie fahren also mit der Stiftung FUNDATIO schon die große Kapelle auf und bereiten der Rechtsvereinheitlichung den Weg.
Dr. Stefan Fritz: Schon, ja, das ist unser Ziel. Die Voranfrage für die Stiftungsgründung ist in den 16 Ländern eingegangen, wir möchten von Beginn an den Rechtsvergleich schaffen, wie es mit der Rechtsauffassung in den einzelnen Bundesländern aussieht. Bislang gab es einen ersten Rücklauf dahingehend, dass alle Aufsichtsbehörden überlastet sind. Anhand der inhaltlichen Reaktionen entscheiden wir dann, wo wir weitere Schritte gehen, denn unser Vorgehen setzt schon voraus, dass sich die Aufsichten mit dem Stiftungsrecht in dem konkreten Fall auseinandersetzen wollen.

Dr. Stefan Fritz

FondsFibel: Also ein bisschen wie ein Casting – und dort, wo Ihre Ansichten am ehesten geteilt werden, wird dann die Stiftung FUNDATIO errichtet?
Dr. Christoph Mecking: Ein Beauty Contest ist ein schöner Vergleich. Die Stiftung soll da errichtet werden, wo der Stifterwille am besten umgesetzt werden kann. Wenn wir FUNDATIO an einem Ort errichten wollen und die Behörde die Anerkennung verweigert, können wir dies mit einer verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage zu erzwingen versuchen. Und vielleicht führen wir damit zu bestimmten Punkten eine höchstrichterliche Entscheidung herbei, eben den Präzedenzfall.
Dr. Erich Theodor Barzen: Fundatio demonstriert für Stifterfreiheit dort, wo vermeintlich rechtliche Hürden im Wege stehen. Der Weg ist hier das Ziel, und dort wo wir Diskussionen auslösen, sind wir schon einen Schritt weiter. Wir möchten die Stifterfreiheit kolorieren im Grau der Konvention.

FondsFibel: Was kommt denn jetzt aus dem Grau der Konvention an Feedback?
Dr. Erich Theodor Barzen: Lassen Sie es mich mal plastisch machen. Wir haben beispielsweise die Frage eingewoben, ob man eine Verbrauchsstiftung in eine Dauerstiftung wandeln kann. Eine andere ist jene nach der Freiheit der Stiftungsgremien, insbesondere bei Satzungsänderungen. Bei der Zusammenlegung von Stiftungen gibt es Anforderungen, die nicht zwingend sind, die aber als zwingend ausgelegt werden. Die Satzungsstrenge ist aus dem neuen Gesetz rausgefallen, für uns heißt das: Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. In unseren Anfragen stellen wir uns auf die Seite der freiheitlichen Auslegung des Gesetzes, und mit diesen Themen spicken wir auch unsere Satzung. Darf man also einer Stiftung in der Satzung erlauben, sich mit einer anderen Stiftung zusammentun, ohne die umfangreichen Bedingungen, die den gesetzlichen Regelfall darstellen? Das ist so ein Beispiel, wo es Klärung braucht, und zwar auf der Höhe der Zeit.

Dr. Erich Theodor Barzen

FondsFibel: Wie viele Ihrer ‚Kostbarkeiten‘ werden Sie denn bei den Aufsichten durchbringen?
Dr. Christoph Mecking: Einiges von dem, was wir in unsere Satzung aufgenommen haben, wird kritisch gesehen. Das haben wir auch so erwartet. In unserer Vorbereitung aber haben wir diese Kostbarkeiten auch entsprechend begründet, und setzen klar zunächst auf den Dialog mit den Aufsichten, der dann zu konstruktiven Lösungen führen soll. Wir werden uns guten Argumenten nicht verwehren, nur das Argument‚ das haben wir früher aber anders gemacht‘, das wollen halt nicht gelten lassen.
Dr. Stefan Fritz: Wir schaffen mit unserer Initiative einen Raum für Klarheit!
Dr. Erich Theodor Barzen: Unsere Tonalität lautet: Warum eigentlich nicht?

FondsFibel: Was ja für die Aufsichten auch eine Chance sein kann …
Dr. Stefan Fritz: Ganz genau. Die Fragestellungen sind ungewohnt, und die Konstellation unserer Satzung regt bestimmt zum Nachdenken an, eröffnet vielleicht neue Perspektiven für die tägliche Praxis.
Dr. Christoph Mecking: Eine Behörde rief uns zurück, reagierte sehr konstruktiv. Das zeigt eine gedankliche Offenheit, andere Reaktionen aber zeigen auch einen Abwehrreflex. Hier und da wird unsere Ernsthaftigkeit hinterfragt, eine Position, hinter der natürlich der Wunsch steht, sich nicht in einen Standortwettbewerb hineinziehen zu lassen.

FondsFibel: Aber ist der Wettbewerb nicht vielleicht das, was Stifterland Deutschland ganz gut bekäme?
Dr. Christoph Mecking: Die Praxis stellt ja schon die Frage, wo man eine Stiftung errichtet. Der Stifter möchte wissen, mit welcher Stiftungsaufsicht welche Erfahrungswerte bestehen, und demgemäß entscheidet er sich dann. Gibt es hier mehr Transparenz zu den Verfahren der einzelnen Aufsichten, hilft ihm das.

FondsFibel: Was haben jetzt Bestandsstiftungen von Ihrer Initiative?
Dr. Erich Theodor Barzen: In der Praxis verschwimmen die Dinge ja im Laufe der Zeit. Der Stifter wird in unseren Augen immer unterstellt haben, dass seine Stiftung handlungsfähig bleibt. Bleibt sie das, wenn sie ihre Statuten nie ändert? Wenn die Stiftung in ihren Regularien immer alles so belässt wie bei der Errichtung? Wohl kaum. Hier setzen wir an, einer neuen Stiftungskultur Vorschub zu leisten.

vtfds2023 - 4. Virtueller Tag für das Stiftungsvermögen

FondsFibel: Stiftungen müssen handlungsfähig bleiben, in allen Zeiten. Damit sie das bleiben, müssen sie sich anpassen können.
Dr. Stefan Fritz: Also Handlungsfähigkeit ist schon so ein zentrales Wort. Das Klischee von der zu starren Stiftung gilt es aufzubrechen. Diese Starrheit resultiert ja hier und da auch aus einer gewissen Verwaltungspraxis heraus und ist ein Problem. An diesem müssen wir arbeiten, auch aus Sicht des Stiftungsstandorts Deutschlands als solchem. Ich denke, diesen Bogen müssen wir auch spannen, schauen wir auf Liechtenstein, Österreich oder die Schweiz. Der Stiftungsstandort Deutschland muss im internationalen Vergleich stärker werden, und er kann es auch, wenn Stiftungen stets handlungsfähig bleiben, wofür Anpassungsfähigkeit die Voraussetzung ist.
Dr. Christoph Mecking: Schauen wir in die Niederlande, dort kann eine Stichting mit einem Euro errichtet werden. Stiften ist damit quasi barrierefrei möglich.
Dr. Erich Theodor Barzen: Womit wir bei einer ganz zentralen Frage sind. Sind nur solche Zwecke legitim, die nur aus größerem Vermögen heraus verwirklicht werden können? Und wie hoch hat es zu sein? Es gibt in diesem Punkt keine höchstrichterliche Entscheidung. Solange es aber keine Entscheidung dazu gibt, ist es legitim, dass, solange das Vermögen reicht, um den Stiftungszweck zu realisieren, das Errichten einer Stiftung zulässig ist.
Dr. Christoph Mecking: Es existiert weithin die Vorstellung von einer soliden vermögensbasierten Organisation. Nur hat der Gesetzgeber das nicht zur Grundlage gemacht. Stattdessen muss auf der Vermögensbasis im Wege einer Prognoseentscheidung festgestellt werden, dass der Stiftungszweck für die Lebensdauer der Stiftung erfüllt werden kann. Bei unserer Stiftung FUNDATIO handelt es sich anfangs um eine Verbrauchsstiftung, unser Kapitalbedarfsplan zeigt aber, dass wir den Zweck dauerhaft erfüllen können. Im Ergebnis könnte stehen, dass die Stiftung nicht nur ein Instrument für sehr wohlhabende Kreise ist, sondern ein einfaches Vehikel, das praktisch jeder aufsetzen kann. Das wäre neben den Bürgerstiftungen ein weiterer Baustein der Demokratisierung der Stiftungsidee.
Dr. Erich Theodor Barzen: Warum auch soll eine Stiftung eine so hürdenreiche Rechtsform sein? So ein Instrument sollten wir noch viel breitenwirksamer zugänglich machen. Es ist doch die Zivilgesellschaft, die sich über Verein, Stiftung, Ehrenamt verwirklicht, und dem wollen wir einen Schub geben.

FondsFibel: Und der Wirtschaftsstandort Deutschland profitierte auch, oder nicht?
Dr. Stefan Fritz: Also Unternehmerinnen und Unternehmer hören immer noch zu oft, dass eine Stiftung ein zu starres Instrument sei. Standortwettbewerb im internationalen Vergleich bedeutet aber eben auch, die Stiftung als Instrument zu stärken, denn wir reden auch über die Generationenfrage, wenn wir über Unternehmen sprechen, und wie wichtig der deutsche Mittelstand für Deutschland und auch Europa ist, das weiß jeder.
Dr. Christoph Mecking: Die reine Lehre spricht von Lebensfähigkeit, die Praxis verlangt nach handlungsfähigen Gremien und einer anpassungsfähigen, dynamischen Organisation. Diese beiden Pole zusammenzuführen, das liegt uns am Herzen.
Dr. Erich Theodor Barzen: Anpassungsfähigkeit heißt Flexibilität, und von der brauchen wir im Stiftungssektor mehr.
Dr. Christoph Mecking: Eine Stiftung gehört nicht als marmoriertes Bild auf den Altar, sie gehört als vitaler Player in die Mitte der Gesellschaft.

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FondsFibel: Ein tolles wie passendes Schlusswort. Zivilgesellschaft wandelt sich, also müssen sich Stiftungen auch wandeln bzw. dem anpassen können. Wir danken Ihnen für die tollen Einblicke in Ihre Gedankenwelt rund um Ihre Stiftung FUNDATIO. Bitte halten Sie uns auf dem Laufenden, was die Rückantworten seitens der Behörden anbelangt.