Stiftungen sollten ihre ESG-Ziele priorisieren

Warum das Berücksichtigen von ESG-Aspekten langfristig das Rendite-Risiko-Verhältnis des Portfolios steigert

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Interview mit Dr. Philipp Finter und Daniel Sailer
Lesezeit: 5 Minuten

Hohe ESG-Qualität in einem Stiftungsportfolio gilt schon lange nicht mehr als „nice to have“, sondern zählt zu den Bestandteilen verantwortungsvollen Führungshandelns. Doch wie definiert man Qualität, erkennt sinnvolle Strategien und vor allem: stolpert nicht über Fallstricke? Im Interview mit Redaktionsleiter Stefan Preuß eröffnen mit Daniel Sailer und Philipp Finter zwei Experten von Metzler interessante Einblicke zum Thema – mit klaren Empfehlungen für Stiftungen.

stiftungenstärken.de: Hohe ESG-Qualität zählt für viele Stiftungen zu den Grundlagen ihrer Investments. Eine zeitgemäße, richtige Strategie, auch wenn 2022 für ESG-Vorreiter nicht so gut lief?

Daniel Sailer: Das vergangene Jahr war definitiv herausfordernd für ESG-Investments. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, hohe Inflation, insbesondere bei den Energiepreisen, und die Zinswende haben zu einem perfekten Sturm geführt. Viele Unternehmen aus Sektoren, die in Stiftungsportfolios meist wenig bis gar nicht vertreten sind, zählten zu den großen Gewinnern an den Märkten – die Rüstungsindustrie beispielsweise, aber auch Unternehmen, die ihr Geld mit der Förderung von fossilen Brennstoffen verdienen. Wir warnen aber, diese hohen Gewinnentwicklungen des vergangenen Jahres in die Zukunft fortzuschreiben.

Philipp Finter: Die Berücksichtigung von ESG-Aspekten bei der Kapitalanlage steigert langfristig das Rendite-Risiko-Verhältnis des Portfolios. Davon sind wir nach wie vor überzeugt. Gerade bei Stiftungen kommt aber noch ein weiterer Aspekt hinzu. Denn häufig liegt der Grund für die nachhaltige Anlage des Stiftungsvermögens im Stiftungszweck. Und eine Revision der Stiftungsziele aufgrund der jüngeren Kapitalmarktentwicklung dürfte auch nach 2022 bei den wenigsten Stiftungen auf der Agenda stehen.

Gleichzeitig warnen Sie, dass es durchaus Fallstricke gibt. Welche zum Beispiel?

Daniel Sailer: Viele ESG-Investments sind bei genauer Analyse ein Kompromiss. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir wissen alle, dass zur Erreichung der Klimaziele die Energiegewinnung aus Photovoltaik-Anlagen stark ausgebaut werden muss. Der Markt für Polysilizium, Solarzellen und Solarmodule wird allerdings dominiert von chinesischen Firmen. Die Geschäftspraktiken vieler dieser Unternehmen dürften mit einer nachhaltigen Geldanlage nur schwer in Einklang zu bringen sein. Soll ich deshalb auf europäische Solarparkbetreiber oder -projektierer im Portfolio verzichten? Als Anleger muss ich hier also im Vorfeld abwägen, um etwaige Fehltritte zu vermeiden.

Bei der Betrachtung von Solarparks wie ausgeführt geht es um den Bereich „E“ in ESG. Welche Fallstricke sehen Sie im Zusammenhang mit sozialen Themen, also dem „S“ in ESG?

Philipp Finter: Die politische Diskussion der letzten Monate zeigt exemplarisch, dass es eine große Herausforderung sein wird, die notwendige Transformation im Gebäudesektor sozialverträglich zu gestalten. Im Kleinen lässt sich das auch auf Portfolioebene beobachten: Die 50 europäischen Unternehmen mit den höchsten CO2-Emissionen weisen vergleichsweise hohe „S“-Ratings auf. Das liegt unter anderem daran, dass es sich hier um sehr große Unternehmen handelt mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Arbeitnehmerrechte und Arbeitsschutz spielen eine große Rolle. Einfach Klimasünder aus dem Portfolio auszuschließen, könnte also zu Zielkonflikten im Portfolio führen.

Zurück zur Strategie von Stiftungen: Sind Klimastrategien grundsätzlich ein guter Ansatz für Stiftungen – und falls ja: Welche Strategie für welche Stiftung?

Daniel Sailer: Definitiv! Die negativen Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels betreffen viele Stiftungsziele – direkt und indirekt. Im Einzelnen gilt es dann zu differenzieren, welche Schwerpunkte gelegt werden sollen. Am Anfang einer Klimastrategie stehen häufig kleine Schritte, wie der Portfolioausschluss besonders CO2-intensiver Unternehmen oder gezielte Investitionen in Cleantech-Firmen. Ganzheitliche Klimastrategien sehen üblicherweise vor, die gesamte Kapitalanlage an den Zielen des Pariser Klimaabkommens auszurichten. Die Herausforderungen bei der Transformation des Portfolios dürften hier allerdings für viele Stiftungen, die stark auf illiquide Anlageklassen setzen, vergleichsweise hoch sein.

Nachhaltigkeit kennt viele Ziele, einige (Beispiel Akkuproduktion) werfen neue Konflikte (Rohstoffe, Energie etc.) auf. Müssen Stiftungen am Ende eine Priorisierung der Ziele vornehmen?

Philipp Finter: Wir empfehlen zunächst das Formulieren von ESG-Basiskriterien, die bei der nachhaltigen Geldanlage berücksichtigt werden sollen. Diese Mindestanforderungen lassen sich dann um spezifische ESG-Aspekte erweitern. Bei unseren Stiftungskunden beobachten wir häufig eine Orientierung am Stiftungszweck. Am Beispiel der Solarindustrie hat Daniel Sailer sehr gut ausgeführt, dass viele ESG-Strategien bei genauer Betrachtung eine Kompromisslösung sind. An einer Priorisierung der Ziele führt daher kein Weg vorbei, Stiftungen sollten ihre ESG-Ziele priorisieren.

Daniel Sailer: Möglichst keine Kompromisse sollte man allerdings beim Risikomanagement und der Portfoliokonstruktion machen. Nicht-intendierte Länder-, Sektor- und Stilrisiken gilt es bei der ESG-Integration zu vermeiden.

Mediatheks-Tipp:
Über die Prämissen, wie Stiftungsvermögen mit Blick auf 2030 angelegt werden sollte, diskutierten wir mit 30 Stiftungsexperten beim 4. Virtuellen Tag für das Stiftungsvermögen. In der Mediathek sind allen Analysen, Stimmen und Meinungen zum Thema für Sie hinterlegt.

vtfds2023-Mediathek

Um den Erfolg/Impact einer Strategie wie Low Carbon/Net Zero oder Cleantech & Transformation zu messen, bedarf es exakter Daten zu einer Vielzahl von Steuerungsgrößen. Wie bewerten Sie die Datenlage und -qualität?

Philipp Finter: Bei den von Ihnen genannten Klimastrategien tun wir uns mit Begriffen wie „Impact“ oder „Erfolg“ zunächst einmal grundsätzlich schwer. Durch Investitionen in Aktien oder Unternehmensanleihen besonders klimafreundlicher Unternehmen erzeugen wir Nachfrage nach diesen Wertpapieren, was zu steigenden Kursen führen kann. Das wiederum kann dann zu geringeren Finanzierungskosten der Unternehmen führen. Die Auswirkungen unserer Investitionstätigkeit auf das Weltklima sind also mittelbar und nicht direkt messbar. Eine wichtige, aber eben auch keine unmittelbare Einflussmöglichkeit sind unsere Engagementaktivitäten.

Daniel Sailer: Bei den zur Steuerung der Klimastrategien benötigen Metriken verbessert sich die Situation zunehmend. Die Anzahl der berichtenden Unternehmen steigt stetig, und wir müssen weniger auf Schätzungen der ESG-Rating-Agenturen zurückgreifen.

Gibt es belastbare Zahlen zum Anlage-Erfolg für Portfolios bestimmter Strategien?

Daniel Sailer: Für Aktienanlagen ist inzwischen sehr gut dokumentiert, dass die Integration von ESG-Aspekten in den Investmentprozess Vorteile bietet. Auch bei Unternehmensanleihen kann die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei der Emittentenauswahl Drawdown-Risiken im Portfolio reduzieren. Bei dezidierten Klimastrategien wäre es aktuell verfrüht, derartige Aussagen zu treffen. Die Historie vieler Strategien ist dafür schlichtweg noch zu kurz und damit nicht aussagefähig. Bemerkenswert finde ich aber, dass Unternehmen mit einem besonders niedrigen Erwärmungspotenzial im vergangenen Jahr, das ja für nachhaltige Anlagen schwierig war, vergleichsweise gut abgeschnitten haben.

Eine Stiftung hat also geklärt, welche Nachhaltigkeitsziele über Investitionen begleitet werden sollen. Welcher Investmentansatz, z. B. Multi-Asset, klassische Mischfonds oder Dividendenstrategien, eignet sich zur Umsetzung?

Philipp Finter: Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern ist im Einzelfall abhängig von den Anlagezielen der Stiftung, ihrer Risikobereitschaft und Verlusttragfähigkeit. Auch zusätzliche Kriterien gilt es zu berücksichtigen, zum Beispiel den Bedarf nach einer regelmäßigen Ausschüttung ordentlicher Erträge. Grundsätzlich lässt sich aber konstatieren: Gerade für Stiftungen hat sich das Kapitalmarktumfeld zuletzt wieder deutlich verbessert, denn die Nullzinsphase scheint endgültig vorbei zu sein. Daher bieten sich auch wieder mehr und vor allem attraktivere Möglichkeiten der Diversifikation, die die Basis für langfristigen Anlageerfolg sind und einen zentralen Baustein in der Vermögensanlage von Stiftungen bilden sollten.

Eine nachhaltige Dividendenstrategie ist Grundlage vom Metzler European Dividend Sustainability aus unserem Club der 25. Welche ESG-Ziele verfolgen Sie innerhalb des Dividendenansatzes?

Daniel Sailer: Mit der Strategie bieten wir zunächst einmal ein Dividendenkonzept, das einer Stiftung die Partizipation an Geschäftsmodellen mit attraktiven Dividendenausschüttungen und überdurchschnittlichem Dividendenwachstum ermöglicht. Zu Beginn des Investmentprozesses schließen wir Unternehmen mit kontroversen Geschäftsaktivitäten und -praktiken vom Portfolio aus. In Europa reduziert sich dadurch die Anzahl der Unternehmen in unserem Investmentuniversum um etwa sechs Prozent. Darauf aufbauend integrieren wir Aspekte aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung systematisch in den Anlageprozess. Bei der Unternehmensauswahl greifen wir dabei auf Screenings sektorspezifischer ESG-Schlüsselindikatoren zurück. Durch Berücksichtigung der ESG-Komponenten erhalten die Portfoliomanager ein genaueres und umfassenderes Bild von den Unternehmen. Dadurch lassen sich frühzeitig Nachhaltigkeitsrisiken identifizieren und entsprechend Risiken im Portfolio kontrollieren und reduzieren. Denn Unternehmen, die Themen wie Arbeitsplatzsicherheit, Einhaltung von Menschenrechten und Reduktion von Schadstoffen konsequent in ihrer Unternehmensführung umsetzen, laufen weniger Gefahr, Reputationsschäden zu erleiden. Übergeordnetes Ziel der ESG-Integration ist somit die Steigerung des Rendite-/Risikoprofils des Fonds.

Das Interview führte Stefan Preuß, Redaktionsleiter fondsfibel.de

Zu den Interview-Partnern:
Daniel Sailer
, CESGA, ist seit 2019 bei Metzler Asset Management tätig und leitet das Sustainable Investment Office. In dieser Funktion entwickelt er die ganzheitliche ESG-Strategie von Metzler Asset Management weiter und koordiniert die Implementierung. Zudem berät Sailer institutionelle Investoren bei der Definition von maßgeschneiderten Nachhaltigkeitskonzepten und deren Umsetzung.

Dr. Philipp Finter ist seit 2022 bei Metzler Asset Management für die Integration von Environment-, Social- und Governance-Indikatoren (ESG) im Portfoliomanagement zuständig. Daneben verantwortet er die nachhaltige Investmentstrategie in den liquiden Anlageklassen und ist auf dieser Grundlage für die ESG-Research-Initiativen der Metzler Asset Management GmbH zuständig.