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Im Stiftungsvermögen wird die Renaissance der Anleihe deutliche Spuren hinterlassen. Denn Renditen von um die 4% für bonitätsstarke Schuldpapiere verändern die Statik der Ausschüttungsströme in einer Stiftung. Dort wo aus Anleihekupons zuletzt stetig weniger ordentlicher Ertrag herausfloss – Stichwort: Colorado River-Effekt – sind heute wieder erkleckliche Auskehrungen zu erzielen. Für Stiftungen heißt das: Die Anleihe als stiftungsgeeignetes Investment hat noch nicht ausgedient. Die Idee, das Stiftungsvermögen breiter zu diversifizieren, aber eben auch noch nicht. Derlei nahmen wir jüngst als Gedankenanstoß von einem Investment-Frühstück mit.
Georg Eichelsberger von Kepler-Fonds begrüßte mich nahe Augsburg, ich war ein wenig zu spät dran. Er hatte schon zum Vortrag angehoben. Ohne dass er stiftungsspezifische Inhalte zum Thema hatte, hielt der Inhalt viel Stiftungsspezifik bereit. Denn Georg Eichelsberger, Ansprechpartner für Stiftungen bei Kepler-Fonds, referierte über die Renaissance der Anleihe – und kreierte dabei ein sehr schönes Bild, das wir gerne auf Stiftungsverantwortliche übertragen. Für ihn gilt es zudem, das was in 2022 an den Zins- und Kapitalmärkten passiert ist, einmal einzuordnen. Der Zinsanstieg (und damit der Kursverfall bei Anleihen), auch und vor allem in dem Tempo, hat so seit den 70er Jahren nicht stattgefunden. Zudem sei die Inversion der Zinskurve so groß wie seit den 50er Jahren nicht mehr. Er blickte also einmal in den Rückspiegel, wohlwissend, dass dieser nicht die (einzige) Maßgabe für das Agieren im Morgen sein kann.
Mediatheks-Tipp:
Über die Prämissen, wie Stiftungsvermögen mit Blick auf 2030 angelegt werden sollte, diskutierten wir mit 30 Stiftungsexperten beim 4. Virtuellen Tag für das Stiftungsvermögen. In der Mediathek sind allen Analysen, Stimmen und Meinungen zum Thema für Sie hinterlegt.

Lehre Nummer 1: Der Blick in den Rückspiegel…
…ist im Stiftungsvermögen ein guter Diener, jedoch ein schlechter Herr. Wer immer nur in den Rückspiegel schaut, der schaut nicht voraus und sieht demgemäß nicht, was nach der nächsten Kurve kommt. Wenn er denn die Kurve überhaupt sieht. Dieses Bild von Georg Eichelsberger passt exakt zur Stiftungspraxis. Wir hören immer noch zu oft den Satz „Das haben wir immer so gemacht“ gepaart mit „Das sitzen wir aus“, aber genau diese beiden Sätze fußen auf der Maßgabe, dass die Vergangenheit zeigt, wie es in der Zukunft weitergeht. Die Denke dahinter ist eine lineare. Die Welt heute jedoch ist eine andere als vor 10, 15 oder 20 Jahren, der Blick in den Rückspiegel hilft wenig, um Ableitungen für das Morgen bzw. für das Stiftungsvermögen zu treffen. Erkennt der Blick in den Rückspiegel zum Beispiel, dass die Kerninflation sich in Richtung 2,5% bewegt und der Lieferketten-Index der FED of New York keinerlei Verspannungen mehr anzeigt? Eben.
Lehre Nummer 2: Anleihezins = Dividendenrendite
Eine zweites Aha aus dem Vortrag von Georg Eichelsberger nehmen wir mit, dass vielerorts die Zinsrenditen sich wieder auf Höhe der Dividendenrenditen bewegen. Das macht Dividendenaktien einerseits unattraktiver gegenüber Anleihen, zum anderen gibt es Stiftungen aber eben auch ein größeres Universum an die Hand, um den Strom an ordentlichen Erträgen wieder zu fluten, ihn zu konservieren. Das Schwierige ist hierbei der Blick auf das was morgen auf uns zukommt. Da die Inflationserwartungen sinken, könnten auch die Zinsen wieder sinken. Da die wirtschaftliche Prosperität in den USA und Asien durchaus als robust bezeichnet werden kann, spricht dies wiederum für starke Dividendensaisons.
Es wäre, so unser Destillat, zu früh, wieder aus Aktien auszusteigen und einzusteigen in die Anleihe, der Reflex wäre ein Fehler. Nicht zuletzt, weil das kein Anlagekonzept ist, sondern ein Agieren nach Marktlage. Genau das aber müssen sich Stiftungen abschminken, denn qua Stiftungsrechtsreform wird von ihnen künftig etwas anderes verlangt: ein stimmiges, in gewisser Weise marktautarkes und vor allem langfristiges Anlagekonzept. Hier gehören dann Zins- und Dividendenbausteine hinein, im Mindesten. Bei 4% Nominalzins lässt sich dem Colorado-River-Effekt im Stiftungsvermögen damit schon ganz ordentlich beikommen.
Lehre Nummer 3: Jahre wie 2022 passierten seit 1871 nur viermal
Schließlich war da noch der Hinweis von Georg Eichelsberger, den ich mir dick unterstrichen hatte. So ein Anlagejahr wie 2022 hatte es seit 1871, als Aufzeichnungen zu Kapitalmärkten aufgenommen wurden, nur ganze viermal gegeben. Das Jahr 2022 war also ein absolutes Ausnahmejahr. Wenn dem so ist, dann ist nicht einzusehen, dass Entscheidungen, die 2021 und in den Jahren davor richtig waren, jetzt doch falsch sein sollten. In den Jahren vor 2022 hat sich für das Stiftungsvermögen herauskristallisiert, dass eine breitere Streuung Stiftungsvermögen resilienter macht, dass eben genau dadurch Marktzäsuren leichter weggesteckt werden können. Davon abzurücken würde bedeuten, 2022 zum langfristigen Anlagemaßstab zu machen, und genau hier widerspricht die Statistik. Ausnahmejahre sind das was sie sind, aber sie dürfen kein Maßstab sein. Sie testen was ich als Stiftungsvorstand aushalte, aber sie sollten mir nicht meine Anlagepolitik diktieren.
Zusammengefasst
Wir waren auf Einladung von Kepler-Fonds und AB AllianceBernstein in Augsburg, lernten die Denkweise der beiden Häuser beim Investmentfrühstück noch einmal besser kennen. Etwa jene, die AB AllanceBernstein hinsichtlich der Bedeutsamkeit des Gesundheitssektors für die Gesellschaft aber eben auch als Investment-Schwerpunkt herausarbeitete. Georg Eichelsberger wiederum, der Ansprechpartner für Stiftungen bei Kepler-Fonds, spannte den großen Schirm auf und regte uns zum Nach-vorne-Schauen an. Denn Stiftungsvermögen cum Rückspiegel zu investieren, das ist nicht auf der Höhe der Zeit, insbesondere wenn die Jahre so besonders sind wie 2022. Die Renaissance der Anleihe, sie ist Realität, und sie eröffnet definitiv Chancen. Dass sie andererseits aber auch wieder Teil einer Illusion, darüber müssen wir an anderer Stelle noch einmal nachdenken. Ohne Rückspiegel.