„Mit der Business Judgement Rule wird das Agieren vieler Stiftungsgremien flexibler werden können“

Auf einen Cappuccino mit Natalie Weng und Volker Malcharek vom Deutschen Stiftungszentrum (DSZ)

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Natalie Weng und Volker Malcharek
Lesezeit: 6 Minuten

Sie sind die Experten für Vermögensthemen und -management im Deutschen Stiftungszentrum und sprechen daher viel mit Stiftungen über deren Vermögen. Wir wollten von Natalie Weng und Volker Malcharek wissen, warum das Mindset vieler Stiftungen nicht so recht zum aktuellen Anlageumfeld passt, weshalb ‚mündelsicher‘ keine Maßgabe mehr für Stiftungen sein kann und wie das Deutsche Stiftungszentrum im Hier und Jetzt in der Vermögensanlage agiert. Um es vorwegzunehmen: Aus dem einen Cappuccino wurden zwei.

FondsFibel: Lassen Sie uns zu Beginn gerne über die Herausforderungen eines Dienstleisters sprechen, der viele hundert Stiftungen betreut. Geben Sie uns doch mal ein Gefühl dafür, mit welchen Fragen Sie derzeit von den Stiftungen unter Ihrem Dach konfrontiert werden.

Volker Malcharek: Das Deutsche Stiftungszentrum (DSZ) im Stifterverband betreut rund 670 Stiftungen mit einem Stiftungsvermögen von über drei Milliarden Euro (Stichtag 31.12.2022). Das dominierende Thema für die von uns betreuten Stiftungen ist, auskömmliche Erträge aus dem Kapitalstock zu erzielen, die für die Förderzwecke benötigt werden. Die lange anhaltende Niedrig- und Negativzinsphase ist glücklicherweise vorüber und festverzinsliche Wertpapiere liefern endlich wieder Kupons, die nicht mit erhöhten Risiken einhergehen. Das derzeitige Zinsniveau trifft die Erwartungen der Stiftungen, mitunter wird allerdings zu wenig
beachtet, dass real kein positives Ergebnis erzielt wird.
Das zweite Thema, Investments in Sachwerte, war und ist unverändert sehr wichtig. Die Notwendigkeit, das Stiftungsvermögen breit gestreut über Anlageklassen und -regionen anzulegen und verstärkt in Sachwerte zu investieren, betonen wir immer wieder. Hier haben wir noch Überzeugungsarbeit zu leisten – in diesem Kontext ist es erforderlich, die entsprechende Fachkompetenz aufzubauen. Auch hat die Frage nach der Haftung viele Stiftungsgremien gehemmt. Mit der Business Judgement Rule wird das Agieren vieler Stiftungsgremien in meinen Augen nun flexibler werden können.

FondsFibel: Angst nehmen ist hier also das Stichwort. Aber investiert werden muss das Stiftungsvermögen dann noch immer. Was heißt für Sie in diesem Kontext zeitgemäß?

Natalie Weng: Zeitgemäßes Anlegen von Stiftungsvermögen bedeutet für uns, das Stiftungsvermögen möglichst breit zu diversifizieren und immer wieder zu hinterfragen, wie die optimale Zusammensetzung der Vermögensanlage aussehen sollte. Stiftungen und Stiftungsgremien sind hier immer mehr gefordert, die Flexibilität in ihrer Vermögensanlage zu erhöhen. Früher galt ja die Anleihe als die ertragreiche und sichere Anlage, um den Stiftungszweck bestmöglich erfüllen zu können. Mit der Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre hat sich dieses Bild gewandelt und spätestens mit dem Rentencrash im Jahr 2022 musste jeder konservative Anleger erkennen, dass diese Einschätzung nicht einfach für die Zukunft fortgeschrieben werden kann. Ein „Zurück auf Los“ wird es in unseren Augen nicht geben. Deshalb sollten neben Sachwertanlagen, Aktien und Immobilien auch weitere Alternative Investments berücksichtigt werden, das macht Stiftungsvermögen resilienter. Deshalb darf die Kapitalanlage für Stiftungen auch kein Randthema sein, denn es ist ein ganz wesentlicher Baustein für die Verwirklichung des Stifterwillens. Kurz ergänzend: Es gibt für viele Stiftungen vertraute Anlageklassen, vor allem die Anleihe, die vielfach als sicher gilt. Allerdings ist das eher eine Scheinsicherheit, denn selbst bei gestiegenen Zinsen ist der reale Kapitalerhalt derzeit, angesichts der Inflationszahlen, nicht möglich. Nur auf Anleihen oder generell auf ein Investment zu setzen, passt nicht mehr in die Zeit.

FondsFibel: Was antworten Sie Stiftungen, die Sie heute noch nach einer mündelsicheren Kapitalanlage fragen?

Volker Malcharek: Hier gilt es zweierlei zu klären: Ist Mündelsicherheit eine Vorgabe, die es zu beachten gilt? Und wären mit dieser Vorgabe die Ziele und Erwartungen der Stiftung erreichbar? Das Gebot einer mündelsicheren Anlage für Stiftungen wird immer wieder thematisiert und in diesem Zusammenhang auf Stiftungsaufsichtsbehörden verwiesen. Fakt ist, dass das Gebot in allen Bundesländern abgeschafft wurde, zuletzt 1995 in Bayern. Stiftungsvermögen, die auf Mündelsicherheit abstellen, können unseres Erachtens ihre Ziele bezüglich Ertrag und Kapitalerhalt langfristig nicht erreichen. Dabei wächst das Spektrum der Anlagemöglichkeiten für Stiftungen ständig. Die Anlagemöglichkeiten von Stiftungen sind im Gegensatz zu Versicherungen und Pensionskassen nicht reguliert, die Landesstiftungsrechte enthalten nur vage Formulierungen, wie „sicher und wirtschaftlich“ und „ungeschmälert zu erhalten“. Unseres Erachtens ist entscheidend, dass Anlageprodukte für Stiftungen geeignet sind. Das heißt, die Vermögensanlage muss deren Risikotoleranz und Anlagerichtlinien Rechnung tragen und Stiftungsgremien sollten nur kaufen, was sie auch nachvollziehen können.

Natalie Weng: Stiftungen können sich an diesem Punkt nicht mehr auf die Stiftungsaufsicht berufen – die Erwartungen an Gremien sind eindeutig gestiegen.

Volker Malcharek

FondsFibel: Sie hatten Alternative Anlagen bereits erwähnt. Inwiefern öffnet sich das Deutsche Stiftungszentrum in der Verwaltung von Stiftungsvermögen auch für Private Markets & Co.?

Volker Malcharek: Das DSZ ist der Meinung, dass Alternative Anlagen auch für Stiftungen aus Renditeaspekten interessant sind, weil die Illiquidität dieser Anlageklasse durch einen Zinsaufschlag gegenüber festverzinslichen Wertpapieren ausgeglichen wird. Das Angebot ist groß und vielfältig, aber nicht unbedingt für die breite Stiftungslandschaft geeignet (Stichwort „Komplexität“) bzw. investierbar (Stichwort „Losgrößen“). Die Attraktivität und Notwendigkeit, in Alternative Anlagen zu investieren, ist durch den Zinsanstieg tendenziell gesunken. Das Ziel des DSZ war und ist, dass Alternative Anlagen neben Immobilien ein Bestandteil ausgewählter Spezialfonds sind. Diesen Ansatz haben wir bisher in einem Spezialfonds-Mandat umgesetzt. Darüber hinaus hat das DSZ im Stifterverband bereits große Stiftungen bei der Umsetzung von Alternativen Anlagen begleitet.

FondsFibel: Was müssen wir zu den vom DSZ eigens aufgelegten Spezialfonds wissen?

Volker Malcharek: Der Stifterverband hat bereits in den 1960er Jahren erste Dienstleistungen für Stiftungen angeboten. Schnell stellte sich heraus, dass die betreuten Stiftungen auch Expertise in der Vermögensanlage nachfragten. Aus dem Netzwerk des Stifterverbandes bildete sich ein unabhängiger Anlagebeirat, der Empfehlungen zur Anlage von Stiftungsvermögen aussprach. Das Gremium steht dem Präsidium des Stifterverbandes auch heute noch beratend zur Seite. Mitglieder sind Vorstände von großen Industrie- und Finanzinstituten, die ehrenamtlich agieren. Der erste Spezialfonds des Stifterverbandes wurde im Oktober 1972 aufgelegt. Aktuell können Stiftungen aus einer Angebotspalette von acht offenen Spezialfonds ihre passende Rendite-/Risikostruktur wählen.

FondsFibel: Worauf achten Sie in der Anlagepolitik dieser Fonds? Gibt es da eine Klammer?

Natalie Weng: Naja, eigentlich sind es vier Klammern. Zunächst ist die Anlegerstruktur in jedem Fonds homogen, es investieren hier also ausschließlich Stiftungen bzw. steuerbefreite Körperschaften. Das hat natürlich auch steuerliche Vorteile zur Folge. Dann ist uns eine bankenunabhängige Anlagepolitik wichtig. Wir achten zudem streng auf die Kosten, die bei einem Spezialfonds günstiger sind als bei einem Publikumsfonds. Ausgabeaufschläge oder Rücknahmegebühren, das gibt es bei unseren Fonds nicht. Fondsstrukturen bieten schließlich den grundsätzlichen Vorteil, dass der buchhalterische Aufwand geringer ist, außerdem werden Stiftungen von vielen administrativen und regulatorischen Aufgaben entlastet.

Volker Malcharek: Wir haben bei unseren Spezialfonds gegenüber Publikumsfonds einen weiteren, für Stiftungen ganz wichtigen Vorteil die Ausschüttungspolitik betreffend. Viele Publikumsfonds schütten häufig einen sehr hohen Anteil an außerordentlichen Erträgen – vielfach zu Lasten der Substanz – aus. Wir können maßgeblichen Einfluss im Sinne unserer Stiftungen auf das Verhältnis von ordentlichen zu außerordentlichen Erträgen nehmen. So enthält die Ausschüttung unserer Spezialfonds größtenteils ordentliche Erträge.

FondsFibel: Wie verhält es sich in Ihren Spezialfonds damit, dass es wieder Zinsen gibt?

Natalie Weng: Solange auskömmliche Zinsen gezahlt werden, macht es unsere Aufgabe auf den ersten Blick einfacher. Erträge können wieder mit klassischen, den Stiftungen vertrauten Anlagen, wie bspw. Festgeldern, Geldmarktfonds und festverzinslichen Wertpapieren, generiert werden. Unsere Wertsicherungs-Mandate haben wir bereits „zukunftssicherer“ aufgestellt.

FondsFibel: Was bedeutet zukunftssicherer?

Volker Malcharek: Hier kommen wir zum Risikobudget. Die Idee hinter dem Risikobudget ist zu berechnen, welche Aktienquote ich im Bestand halten kann. Möchte ich höhere Aktienquoten halten, dann brauche ich höhere Risikobudgets, aber die muss ich auch aushalten. In den Krisenjahren wurden die Risikobudgets erhöht, der gestiegene Zins liefert dem Fondsmanagement mehr Handlungsspielräume. Wertsicherungs-Mandate bleiben für uns eine Option für die Anlage von Stiftungsvermögen.

Natalie Weng: Um aber noch einmal auf den Zins zurückzukommen: Auf den zweiten Blick erschwert er unsere Situation. Stiftungen fragen sich, warum sie in illiquide und komplexe Anlageklassen investieren sollen, wenn relativ schnell und einfach Erträge mit bspw. festverzinslichen Wertpapieren generiert werden können. Die Niedrigzinsphase hat allerdings gezeigt, dass der Zins vergänglich sein kann. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Stiftungen für eine breitere Vermögensstruktur sensibilisiert. In vielen Anlagerichtlinien findet man noch eine sehr starke Fokussierung auf die klassischen Anlageklassen mit Schwerpunkt in Europa und den Euro, hier wäre in einem ersten Schritt eine globale Ausrichtung wichtig. Darüber hinaus sollten Investments in beispielsweise Alternativen Anlagen, Rohstoffen und Edelmetallen nicht unbeachtet bleiben.

vtfds2023 - 4. Virtueller Tag für das Stiftungsvermögen

FondsFibel: Wenn wir den Blick auf 2030 werfen, was legen Sie Stiftungsgremien ans Herz?
Natalie Weng: Mit Blick auf 2030 wünschen wir uns, dass Stiftungen bzw. deren Gremien die Kapitalanlage ergebnisoffen denken, zumal die Stiftungsgesetzgebung keine expliziten Anlagenklassen vorschreibt oder ausschließt. Es gilt das auszuschöpfen, was die Anlagerichtlinie hergibt. Stiftungen sind in der Regel für die Ewigkeit mit Stiftungskapital ausgestattet worden und dieses gilt es langfristig zu bewahren. Unsere Empfehlung lautet, das Stiftungsvermögen widerstandsfähiger gegen sich ständig verändernde Kapitalmarktgegebenheiten auszurichten. Eine Anlagestrategie, breit gestreut über Anlageklassen und -regionen, hat in der Vergangenheit gute Ergebnisse bei geringeren Schwankungen erzielt.

Volker Malcharek: Wir müssen mit Stiftungen viel mehr über Möglichkeiten sprechen, mehr über das Machbare – das eröffnet neue Wege in der Vermögensanlage.

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FondsFibel: Wir sagen Danke für diese tiefen Einblicke in Ihre tägliche Arbeit.