Maßanzug oder Stange?

Wie es zwischen Mustersatzungen und Stifterfreiheit um die Rechtssicherheit bestellt ist

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Fachbeitrag Fundatio
Lesezeit: 2 Minuten

Die Stiftungsrechtsreform 2023 hat einige FAQs des deutschen Stiftungsrechts geklärt, andere hat sie weiterhin offengelassen. Kernprobleme sind durch juristische Aufsätze und Kommentare überwiegend gut durchleuchtet, Argumente auf einem hohen akademischen Niveau ausgetauscht. Rechtsprechung jedoch, zumal der Ober- oder Bundesgerichte, gibt es wenig. Deshalb bewegt sich die Praxis weiter im Ungewissen darüber, welche Freiheitsgrade bei der Gestaltung von Satzungen bestehen. Empfiehlt sich etwa die Übernahme einer behördlichen Mustersatzung? Diese ist für den Standardfall häufig gut geeignet, kann aber nicht die Vielfältigkeit der Sachverhalte abbilden, die Stiftende veranlassen, dauernd und nachhaltig Gutes zu tun.

Von Erich Theodor Barzen (München, ihn legen wir als Autor an), Stefan Fritz (München) und Christoph Mecking (Berlin)

Mustersatzungen haben einen großen Wert. Sie sind eine Hilfe gerade für diejenigen, die sich nicht ständig im Stiftungsrecht bewegen. Sie beschleunigen Verfahrensabläufe bei der Anerkennung von Stiftungen und tragen damit zur Effizienzsteigerung der Behörden bei. Ihre Verbreitung verleitet jedoch bisweilen zu dem Fehlschluss, Mustersatzungen markierten die Grenzen möglicher Gestaltungen. In Einzelfällen wird sogar Stiftungen die Anerkennung mit dem Hinweis darauf versagt, die eingereichte Satzung weiche von dem behördlichen Muster ab. Für eine solche Verengung des stifterischen Gestaltungsspielraums fehlt jedoch die Rechtsgrundlage.



Praxistipp:
Dieser Fachbeitrag wurde im Handbuch „Mein Stiftungsexperte 2024“ (Erscheinungstermin März 2024, Verbreitung >20.000 Stiftungen) veröffentlicht, dem gedruckten Ableger der Stiftungsexperten-Datenbank www.meinstiftungsexperte.de.

Wider dem Konformitätsdruck

Fehlende Rechtssicherheit für individuelle Gestaltungen erzeugt einen Konformitätsdruck. Stifterautonome Entscheidungen verlangsamen das Verfahren. Deshalb verzichten viele Stiftende und Beratende auf kreative Vorgehensweisen. Sie entscheiden sich für das Modell „von der Stange“, obwohl die Stiftung „nach Maß“ wesentlich besser passen würde. Möglichkeiten bleiben ungenutzt; die Stifter- und Stiftungsfreiheit wird nicht ausgeschöpft.

Dissertationen und Monografien können das Dilemma pointiert darstellen, nicht aber lösen. Entscheidend ist die Rechtspraxis, nicht die Theorie. Vor diesem Hintergrund hat die Stifterinitiative FUNDATIO 16 Stiftungsbehörden Voranfragen zur Anerkennungsfähigkeit einer Stiftung gestellt, deren Satzung in großer Dichte Kontroversen des Stiftungsrechts thematisiert. Schlaglichter:

  • Kann die Stifterin den Rechtssitz frei wählen?
  • Hat auch diejenige Stiftung ein Lebensrecht, deren Zweck mit 10.000 Euro verwirklicht werden kann?
  • Ist ein Anlagehorizont von sieben Jahren zulässig, innerhalb dessen Werteinbußen des Grundstockvermögens hingenommen werden dürfen?
  • Kann der Stifter die künftige Zusammenlegung erleichtern?
  • Kann eine Verbrauchsstiftung in eine Dauerstiftung umgewandelt werden?

Wesentlich für die Antworten ist, inwieweit gesetzliche Regelungen als zwingend aufgefasst werden. Kann das Stiftungsgeschäft Abweichendes bestimmen?

Wie steht es wirklich um die Stifter- bzw. Stiftungsfreiheit?

Im Kern geht es um den Stellenwert von Stifter- und die Stiftungsfreiheit als Ausprägung der im Grundgesetz angelegten allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG).

Die Behörden haben die Voranfragen mit Verweis auf ihre angeblich fehlende Zuständigkeit nur äußerst selektiv beantwortet. Für FUNDATIO sind daher rechtsverbindlich Anträge auf Anerkennung als Stiftung gestellt worden, die zu bescheiden sein werden. FUNDATIO dokumentiert die Reaktionen der Behörden auf die Voranfragen und die Anträge auf Anerkennung unter www.fundatio.info. Transparenz behördlicher Entscheidungen soll Stiftenden wie Beratenden die Berufung auf die Entscheidungspraxis anderer Stiftungsbehörden erleichtern.

Gerichtliche Klärung ante portas

Soweit in behördlichen Verfahren die enge Bindung an den gesetzlichen Regelfall die Oberhand über den Gedanken der Freiheit behält, denkt FUNDATIO gerichtliche Klärungen an. Selbst dann, wenn freiheitliche Gestaltungen nicht in jedem Fall für zulässig erachtet werden sollten, wird Rechtssicherheit für Stiftende und Stiftungen ein großer Gewinn sein.

Rechtsanwalt Dr. Erich Theodor Barzen ist tätig bei der Solidaris Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, e.barzen@solidaris.de, www.solidaris.de.

Rechtsanwalt Dr. Stefan Fritz ist Geschäftsführer mehrerer kirchlicher Stiftungen und Autor der Controlling- und Compliance-Software Stiftungscockpit, kanzlei.fritz@gmail.com.

Rechtsanwalt Dr. Christoph Mecking ist Herausgeber von Stiftung&Sponsoring sowie geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Stiftungsberatung und von LEGATUR, c.mecking@kanzlei-mecking.de, www.kanzlei-mecking.de.