Es gibt nicht viele Steuerberatungs- und Rechtsexperten in Deutschland, mit denen sich so angeregt über stiftungsfachliche wie -praktische Fragen diskutieren lässt wie Christian Brütting. Als Partner bei audalis, einer in der westfälischen Metropole Dortmund ansässigen Rechts-, Steuer- und Wirtschaftsberatungskanzlei, ist er seit Jahren mit Stiftungsthemen befasst – und kann entsprechend das, was die am 1.7.2023 in Kraft tretende Stiftungsrechtsreform bedeutet, sehr schön aus Stiftungssicht be- und durchleuchten. Spot an!
FondsFibel: Wir steigen mal sanft ein. Wie ist die Stiftungsrechtsreform in Ihren Augen bereits im Stiftungssektor angekommen?
Christian Brütting: Also hier müssen wir uns die ersten Kommentare zur Stiftungsrechtsreform anschauen und merken sofort, dass sich das Ganze vom Nacherzählen der Änderungen und dem Kommentieren des Referentenentwurfs in der Gesetzesgrundlage entwickelt hin zu echten Einschätzungen. Es wird jetzt gesagt, was wirklich Sache ist, an manchen Stellen werden auch die Lücken zwischen der Begründung des Gesetzesentwurfs und den Leerstellen in der verabschiedeten Fassung aufgedeckt und erläutert. Was sich nun meiner Wahrnehmung nach durchsetzt in Bezug auf das Stiftungsvermögen ist das Folgende: Es zeichnet sich eine gewissermaßen enge Lesart bei den Vermögenskategorien ab. Zwischen den verschiedenen Vermögenskategorien im gemeinnützigen Bereich, also Grundstockvermögen, verbrauchbarem Vermögen oder auch nutzungsgebundenem Vermögen, sollten nicht nur betragsmäßig, sondern nach Vermögensgegenständen abgegrenzt werden. Das wiederum bedeutet, dass Ausgleiche zwischen den einzelnen Vermögenskategorien schwieriger werden. Als Folge davon wird die Anlagerichtlinie obligatorisch, weil ich eine Verantwortung habe für konkrete Vermögenskategorien, für die ich eine konkret ausgestaltete Anlagerichtlinie brauche. Denn nur wenn diese das Konkrete an sich hat, kann zwischen den Vermögenskategorien ausgeglichen werden.
FondsFibel: Aber das „es zeichnet sich eine Lesart ab“ heißt ja auch, dass sich auch noch eine weitere Interpretation durchsetzen kann?
Christian Brütting: Das ist ja genau die Frage, welche Lesart sich in den kommenden Monaten und Jahren durchsetzt. Als Stiftungspraktiker muss ich, wenn ich auf der sicheren Seite sein will, eigentlich den Vermögensgegenständen konkrete Konten zuordnen, um hinterher nicht Probleme in der Diskussion mit der Aufsicht zu bekommen. Für mich wird die Anlagerichtlinie daher gewichtiger werden, denn dort werden die Vermögenskategorien ja festgehalten. Das tangiert ja auch die Frage, welche Umschichtungsgewinne wohin gehen.
FondsFibel: Das macht die Sache mit den Umschichtungserlösen ja auch auf jeden Fall nicht einfacher.
Christian Brütting: Naja, ich muss mir darüber im Klaren sein, ob die Umschichtungserlöse in der jeweiligen Kategorie bleiben oder eben einer anderen Vermögenskategorie zugeordnet werden. Das Ganze ist letztlich eine Aufforderung zum transparenten Agieren und sich zu vergegenwärtigen, wo ich als Stiftung im Vermögen unterwegs bin. Die früher schon mal vorherrschende Ist-doch-egal-Haltung lässt sich auf Basis dessen nicht mehr durchhalten. Es ist klar der Wunsch der Politik, deutlicher in den Zuordnungen und klarer in den Abgrenzungen zu arbeiten als Stiftung, eben transparenter. Für mich wird sich dieser Compliance-orientierte Ansatz durchsetzen. Ob das noch Freiräume sind oder ob sich hier die neue Rechtsauffassung bereits final zeigt, dazu wage ich keine Aussage zu treffen zum derzeitigen Zeitpunkt.
FondsFibel: Wenn ich nun als Stiftung heute noch keine Anlagerichtlinie habe, dann brauche ich doch aber unbedingt ein, oder?
Christian Brütting: Würde ich schon so sehen, ja. Als Organträger bin ich in einer Situation ohne Anlagerichtlinie in der Verantwortung zu eruieren, ob ich überhaupt anpassungsfähig bin, ob meine Abstimmungsprozesse in den Gremien funktionieren und ob ich eine gewählte Anlagepolitik überhaupt umsetzen kann. Allerdings muss man auch sagen, dass die Stiftungsreform nicht mit einem Fallbeil verglichen werden darf. Nach dem 1.7. ist die Welt stiftungsrechtlich nicht sofort eine andere. Natürlich sollte ich dokumentieren, dass ich mich auf den Weg begeben habe, und da ist die Anlagerichtlinie definitiv ein Baustein.
FondsFibel: Auf die ich dann eine Anlagestrategie fuße, die im Kern einer strategischen Asset Allocation folgt.
Christian Brütting: Dem Grundsatz nach kann ich der Endowment-Strategie etwas abgewinnen, ich muss mir als Stiftung aber eben genau überlegen, in welcher Vermögenskategorie ich welche Risiken einnehmen darf. Gegen eine intelligente Diversifikation im Stiftungsvermögen spricht nichts, es muss allerdings auch Klarheit darüber herrschen, welche Aufgabe im Stiftungsvermögen welcher Vermögensverwalter bzw. welcher Fonds übernimmt.
FondsFibel: Unterschwellig ist damit die Zeit der Alleinanlagen, dass also eine Strategie für alle Zeiten alles abdeckt, so ein Stück weit vorbei. Sehen wir das richtig?
Christian Brütting: Würde ich schon sagen. Sie müssen das auch von den Vermögenskategorien her denken. Dort passt einfach nicht jede Strategie hinein, und das Grundstockvermögen würde ich schon anders anlagen als das sonstige Vermögen. Derlei ist ja gerade die Chance aus der Stiftungsrechtsreform, dass ich mit den Vermögenskategorien ein wenig spielen kann, wenn ich das so sagen darf, und dass dadurch vielleicht teilweise gegenläufige Effekte entstehen, die meine Stiftung dann insgesamt standfester machen. Aus dem sonstigen Vermögen einen Gewinn mitzunehmen, um dadurch dann vielleicht eine kleine Reserve im Grundstockvermögen bilden zu können, das zahlt langfristig auf die Beständigkeit der Stiftung ein.
FondsFibel: Also ganz klar die Maßgabe an der Stelle, Werkzeuge wie das sonstige Vermögen künftig zu nutzen. Was noch?
Christian Brütting: Wenn ich von der Ewigkeitsannahme bzw. von einer langen Bestandsdauer meiner Stiftung ausgehe, dann müssen Zusammenlegung oder Zulegung oder das Überführen in eine Verbrauchsstiftung als Handlungsparameter bestehen für die Handlungsträger in 30, 40 oder 50 Jahren. Enthält meine Satzung diese Regelungen heute nicht, muss ich überlegen, Anpassungen vorzunehmen, um künftig anpassungsfähig zu bleiben. Vermieden werden sollte auch, nicht zu regeln, wer welche Verantwortung hat. Die Gremien richtig zu bauen und zusammenzustellen, das wird eine Aufgabe in vielen Stiftungen werden. Exekutive und Aufsicht sind voneinander zu trennen, das würde auch den Governance-Vorgaben Rechnung tragen, die ja in die Stiftungspraxis Einzug halten werden.
FondsFibel: Überhaupt lesen wir aus dem, was wir bisher gesehen haben, heraus, dass die Zeit der Gremien, die sich wegducken, so ein wenig vorbei ist. Täuscht das?
Christian Brütting: Das sehe ich genauso. Es bildet sich ein Governance-Verständnis bei Stiftungen heraus. Durch den Gesetzesentwurf sind Stiftungsverantwortliche herausgefordert, sich einfach damit auseinanderzusetzen. Andererseits ist da noch viel Raum, dies zu interpretieren und mit Leben zu füllen, was in meinen Augen dazu führen wird, dass die Beratungsresistenz vieler Stiftungsgremien ein Stück weit überwunden wird. Denn professionellere Stiftungspraxis, darum geht es. Und sich da immer allein auf den Weg zu machen, das heißt noch nicht, dass man das Ziel auch erreicht.
FondsFibel: Also ‚Das haben wir immer so gemacht und da könnte ja jeder kommen‘ ist nicht mehr. Wir sagen Danke für das erwartbar erfrischende Gespräch.