„Das Pragmatische hilft Stiftungen, das Dogmatische nicht“

Auf eine Wanderung durch die Eifel mit Immo Gatzweiler, Ansprechpartner für Stiftungen bei AXA Investment Managers

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Immo Gatzweiler
Lesezeit: 6 Minuten

Dass es wieder Zins gibt, ist keine Neuigkeit, sondern ein Fakt. Für Immo Gatzweiler, Stiftungsexperte bei AXA Investment Managers, ist dies Segen und Fluch zugleich. Einmal können Stiftungen wieder besser für die Ausgabenseite planen, zum anderen müssen Stiftungen aber derzeit oftmals auch gegen ihren Reflex ankämpfen, im Stiftungsvermögen doch wieder alles nur auf die Karte Anleihe zu setzen. Dass Stiftungsvermögen auf mehreren Beinen stehen muss, das ist ihm ein Anliegen.

FondsFibel: Lassen Sie uns mal mit der Frage einsteigen, ob die Gemengelage an den Märkten eine andere Welt ist, oder doch nur eine Momentaufnahme. Daran scheiden sich ja so ein wenig die Geister.

Immo Gatzweiler: Was man kritisch sehen muss ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge im vergangenen Jahr verändert haben. Grundsätzlich können sich Märkte und Marktteilnehmer auf steigende Zinsen einstellen, wenn diese aber mit der Brechstange so rasch hochgezogen werden wie von den Notenbanken im letzten Jahr, dann verursacht das Probleme. Jetzt merken wir, wie falsch die Diskussion war, ob die Anleihe überhaupt ins Stiftungsportfolio gehört. Sie gehört da definitiv rein, außerdem bedeutet die Entscheidung, die Anleihe ganz aus dem Stiftungsvermögen zu eliminieren ja auch, vollständig auf die Aktie als Basisinvestment umswitchen zu müssen. Das wiederum funktioniert noch viel weniger, auch das haben wir in den letzten 3 Jahren sehr anschaulich gesehen. Die Anleihe ist ein wieder zum Leben erweckter Baustein für das Stiftungsvermögen, der planbare ordentliche Erträge liefert – und der auch am Ende der Laufzeit zuverlässig zurückbezahlt wird. Aber die Anleihe funktioniert eben auch aufgrund ihrer Eigenschaften nicht mehr als alleiniger Baustein im Stiftungsvermögen: die Aktie, die Alternative Anlage, das gehört für mich selbstverständlich im Jahr 2023 mit dazu. Eine klassische Portfolioallokation, die breit mischt, hat heute mehr denn je ihre Existenzberechtigung, der Zins gibt hier jetzt nochmal zusätzlich Rückenwind.

FondsFibel: Also müssen sich Stiftungen vor allem mit der Idee befassen, sich ein Portfolio zusammenzustellen?

Immo Gatzweiler: Ja, absolut. Vor allem dürfen sie jetzt nicht wieder in das alte Muster verfallen und die von mir aus 10%ige Aktienquote wieder auf Null zurückführen. Wer das macht, der muss auch Einblick haben, wie es mit der Inflation weitergeht. Wenn wir ehrlich sind, hat das keiner, von daher braucht es im Stiftungsvermögen die breitere Diversifikation. Am stabilsten gegenüber vielen Szenarien sind Stiftungen für mich dann aufgestellt, wenn sie breit diversifizieren, und diese so genannte Asset Allocation von Zeit zu Zeit überprüfen, anpassen, aber eben auch atmen lassen.

FondsFibel: Das Stichwort Aktienquote möchte ich noch einmal aufgreifen. Es gibt ja den Diskurs zwischen Aktienquote und Aktienkorridor. Wofür gehen Sie in die Bütt?

Immo Gatzweiler: Der klassische Fehler bei der Aktienquote ist ja immer, dass sobald die Aktie läuft, man zu schnell Gewinne mitnimmt, und sobald sie fällt, man zu schnell die Reißleine zieht. Andererseits kann es durchaus Sinn machen, gut gelaufene Aktienpositionen auch in ihrem Gewicht mal wieder auf das Ausgangsmaß zurückzustutzen. Das verschafft einem auch einen Puffer für den Fall, dass es am Aktienmarkt mal wieder reinregnet. Grundsätzlich passen starre Quoten für mich nicht mehr so recht in die Zeit, und sie passen eigentlich auch nicht zu Stiftungen bzw. Stiftungsvermögen. Stattdessen würde ich mich mit atmenden Quoten etwa für Aktien im Stiftungsvermögen wohler fühlen, weil mich das innerhalb der Aktienquote auch ein wenig freier macht.

Immo Gatzweiler

FondsFibel: Wenn wir über Quoten sprechen, müssen wir über 70 zu 30 sprechen. Passt diese Aufteilung des Stiftungsvermögens grundsätzlich noch?

Immo Gatzweiler: Im letzten Jahr haben 70 zu 30-Fonds fast genauso abgeschnitten wie ein 30 zu 70-Fonds. Für defensiv aufgestellte Anleger war das hochproblematisch, eben aufgrund dessen, dass der Rentenmarkt historisch unter Druck geraten war. Grundsätzlich würde ich 70 zu 30, also 70% in Anleihen und 30% in Aktien investieren – von der Anleihequote würde ich aber 10 oder 20% rausschneiden, um andere Assetklassen hinzunehmen zu können. Allerdings reden wir hier über Stiftungen, die eben so bereits auch allokieren. Es gibt auch etliche, die haben erkleckliche Teile ihres Stiftungsvermögens als Bargeld auf dem Konto. Diese Stiftungen haben jetzt natürlich gar nicht so schlechte Karten in der Hand. Manche denken sich bestimmt, wozu streuen, wenn es sicher 4% Zinsen gibt. Durch den Zinsanstieg können relative sichere Renditen von zwischen 3 bis 5% wieder vereinnahmt werden, da kommt der eine oder andere schon mal ins Grübeln. Beispielsweise hat sich der Renditekorridor bei Unternehmensanleihen guter Bonität in Richtung besagter 5% entwickelt, das kann dann schon wieder eine gute Idee für Stiftungen sein. Wir haben ja auch keine Verwerfungen bei Industrieanleihen gesehen, also keine hohen Ausfallraten. Bei den besseren Bonitäten ist das Bild noch besser.

FondsFibel: Zumal Stiftungen nicht das Problem haben, morgen ihr ganzes Stiftungsvermögen verfügbar zu haben.

Immo Gatzweiler: Ganz richtig, sie können diese bonitätsstarken Anleihen, die vielleicht 7 oder 10 Jahre Laufzeit haben, in aller Ruhe halten. Sie brauchen heute nur den ordentlichen Ertrag, nicht das Investment. Bei den amerikanischen Banken sehen wir ja genau das Gegenteil. Dort wurde Liquidität langfristig angelegt, plötzlich kamen die Kunden und forderten kurzfristig ihre Einlagen zurück. Schon kippt eine Bank um. Buchverluste bei Anleihen kann eine Stiftung aussitzen. Stiftungen sind da in einer privilegierten Rolle.

FondsFibel: Zumal Stiftungen nicht das Problem haben, morgen ihr ganzes Stiftungsvermögen verfügbar zu haben.

Immo Gatzweiler: Ganz richtig, sie können diese bonitätsstarken Anleihen, die vielleicht 7 oder 10 Jahre Laufzeit haben, in aller Ruhe halten. Sie brauchen heute nur den ordentlichen Ertrag, nicht das Investment. Bei den amerikanischen Banken sehen wir ja genau das Gegenteil. Dort wurde Liquidität langfristig angelegt, plötzlich kamen die Kunden und forderten kurzfristig ihre Einlagen zurück. Schon kippt eine Bank um. Buchverluste bei Anleihen kann eine Stiftung aussitzen. Stiftungen sind da in einer privilegierten Rolle.

FondsFibel: Ja, privilegiert?

Immo Gatzweiler: Stiftungen können weder vom Markt noch von anderen Kräften gedrängt werden, dieses oder jenes an aktivem Management aufzubringen, um diese oder jene Anlageentscheidung zu treffen. Sie sind frei in ihren Entscheidungen, können frei reflektieren, was es in der Anlagepolitik jetzt braucht. Wenn wir uns das Anlageregime seit 1980 mal anschauen, dann haben wir eigentlich nur fallende Zinsen gesehen, und das ist erst einmal vorbei. Das müssen Stiftungen in ihren Anlagen berücksichtigen, zumal ich schon denke, dass der Markt insgesamt bescheidener werden wird. Für eine Stiftung muss ich allerdings auch konstatieren, dass die Welt mit Zins schon wieder eine andere ist. Ob die Gesamtrendite so hoch sein wird wie in der Vergangenheit, das würde ich bezweifeln, aber die planbaren ordentlichen Erträge, die dürften ein Tacken oberhalb dessen liegen, was wir in den letzten 10 oder gar 15 Jahren gesehen haben.

vtfds2023 - 4. Virtueller Tag für das Stiftungsvermögen

FondsFibel: Manche sprechen ja davon, dass wir 2022 den Einstieg in ein Niedrig-Rendite-Umfeld gesehen haben. Hierbei spielt aber die Inflation eine gewichtige Rolle, oder?

Immo Gatzweiler: Einmal das, aber jede Stiftung hat auch eine ganz individuelle Inflationsquote. Was meine ich damit? Eine Stiftung, die beispielsweise Tierfutter für die Tierauffangstation kauft, die wird die Teuerung direkt im Einkauf spüren. Jene, die IT-Geräte zur Verfügung stellen, etwa für Kinderbetreuungseinrichtungen, werden das eher weniger wahrnehmen. Das tangiert natürlich die Liquiditätsplanung, und damit auch das Ziel für den ordentlichen Ertrag. Wenn ich also weiß, dass mich hinten Preissteigerungen treffen werden, muss ich vorne meine Anlagepolitik entsprechend anpassen. Auf keinen Fall sollte ich als Stiftung versuchen entgangene Renditen mit der Brechstange zu verdienen, das geht in der Regel schief. Und wenn ich sehe, dass es auf der Einnahmeseite schwieriger wird, dann könnte es eine Idee sein, dass die Ausgabenseite auch „mitatmet“. Das ist reputativ sicherlich schwierig, aber es stärkt langfristig den Bestand meiner Stiftung.

FondsFibel: Apropos Reputation, damit landen wir beim Thema Nachhaltigkeit. Eine Blaupause gibt es hier ja nicht, eher so ein stiftungsindividuelles Reintasten. Was würden Sie Stiftungen hier raten?

Immo Gatzweiler: In meinen Augen ist stiftungsindividuell beim Thema Nachhaltigkeit das passende Wort. Wir führen immer wieder Gespräche, wo ein Gremienmitglied mit uns diskutiert, dass dieser oder jener Einzeltitel nicht nachhaltig ist. Beispielsweise beim Thema Atomkraft gehen die Meinungen schon sehr stark auseinander. Während die Energieerzeugung in Atomkraftwerken in Frankreich fast schon als Segen in Zeiten wie diesen gesehen wird, ist Deutschland jüngst aus dieser Form der Energieerzeugung komplett ausgestiegen. Das Bild bei den Anlegern in diesen beiden Ländern differiert hier auch sehr stark. In Amerika setzen Anleger auf den Wandel der Energiebranche – und vereinnahmen in der Zwischenzeit ordentlich Dividenden. Als Stiftung gilt es in meinen Augen hier, pragmatisch an die Sache heranzugehen. Von vorn herein zu sagen, ‚wenn das in einem Fonds drin ist, dann kaufen wir den nicht‘, das hilft in der Regel wenig. Vielmehr wäre es für mich die Überlegung zu fragen, ob sich die Dinge auf dem Weg befinden. Unternehmen beispielsweise, die Filter für Kohlekraftwerke bauen, die helfen, eine dreckige Industrie sauberer zu machen. Ist das auf dem Weg? Zu dieser Meinung kann man kommen, der Filterhersteller an sich kann für sich in Anspruch nehmen, ein sehr nachhaltiges Unternehmen zu sein. Wir haben mit Nahrungsmittelherstellern gesprochen, die künftig weniger Zucker ihren Produkten zusetzen werden. Per morgen wird es aber genau nicht passieren, dass gar kein Zucker mehr verwendet wird. Die Welt wird morgen keine andere sein.

FondsFibel: Helfen denn Nachhaltigkeitsberichte an der Stelle weiter?

Immo Gatzweiler: Also das denke ich schon. Wenn ich als Stiftung so einen Nachhaltigkeitsreport zu einem Fonds lese, dann sehe ich ja, wo der Fonds sich bspw. auf dem 1,5-Grad-Pfad befindet oder wo die ESG-Kennziffern im Vergleich zu einem Vergleichsmaßstab liegen. Ich kann also herausdestillieren, an welchem Punkt ich relativ beim Thema Nachhaltigkeit mit diesem oder jenem Fonds stehe. Kirchliche Träger zum Beispiel erarbeiten mit uns anhand der Nachhaltigkeitsberichte Ideen für das Portfolio, in dem Bewusstsein, dass der Fonds bzw. das Portfolio im nächsten Jahr nicht komplett bei null CO2-Emissionen liegen wird. Aber, es ist auf dem Weg dorthin, der aber auch noch ein weiter sein wird. Diese Art von Pragmatismus hilft Stiftungen sicher auch, das Dogmatische hilft in der Regel nicht weiter. Dogmatisch anzulegen führt fast schon zwangsläufig zu sehr konzentrierten Portfolien. Hätte ich 2022 auf Energie gesetzt, die aber hierzulande aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten heraus fast schon verpönt ist, wäre ich nicht so schlecht gefahren. Bei allem gibt der Stiftungszweck Stiftungen die Richtung vor, der muss erfüllt werden und über ordentliche Erträge erfüllbar sein. Und Diversifikation lebt ja davon, dass ich in Vieles investieren kann. Genau dafür muss ich nichts bezahlen, entsprechend sollten sich dies Stiftungen zu Nutze machen.

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FondsFibel: Das Stiftungsvermögen hat dem Stiftungszweck zu dienen, genau so. Lieber Immo Gatzweiler, wir danken Ihnen sehr für Ihren Blick auf Stiftungsvermögen.