Stiftungsexperten für das große neue Ganze

Wofür wir professionellere Stiftungsarbeit in einer Welt voller Zäsuren brauchen – ein Standpunkt

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Standpunkt Stiftungsexperten
Lesezeit: 8 Minuten

Stiftungseperten können Stiftungen unterstützen, ihnen helfen, wirkmächtiger am großen Ganzen mitzuarbeiten. Natürlich wird der Stiftungssektor nicht jedes Problem lösen können. Natürlich sind die Mittel, die dem Stiftungssektor zur Verfügung stehen, gering im Verhältnis zu den Waschkörben, die der Staat zum Fortkommen des Gemeinwohls verfügbar macht (bzw. machen könnte). Dennoch muss sich der Stiftungssektor nicht verstecken, und ich bin davon überzeugt, dass da sogar „noch mehr geht“. Stiftungsexpertinnen und Stiftungsexperten werden demgemäß künftig eine gewichtigere Rolle spielen. Das Handbuch „Mein Stiftungsexperte“ als gedruckter Ableger der Stiftungsexperten-Datenbank meinstiftungsexperte.de gehen genau an diesem Punkt in die Bütt.

Es gibt da diesen einen Song, den ich sehr mag. Sie alle dürften ihn kennen. Mich begeistert einmal das Zusammenfinden verschiedener Künstler, dazu die Hingabe und das klare Ziel der Macher, nichts weniger als einen Hit zu kreieren. Die Geschichte hinter diesem Hit ist jedoch eine traurige. Anfang der 80er Jahre litt Äthiopien unter einer Hungerkatastrophe, bekam diese nicht in den Griff. Um finanzielle Unterstützung in der Welt zu organisieren, luden Michael Jackson und Lionel Richie an die 50 Künstlerinnen und Künstler ins Studio ein. Heraus kommen sollte ein Song, der davon lebt, dass er von unendlich vielen Stimmen gesungen wird, das jedes Textzeile eine andere Färbung bekommt. Besonders ist der Song zudem, weil er quasi über Nacht entstand, und dennoch an sehr vielen musikalischen Details gefeilt wurde (bzw. werden konnte). Die Rede ist von „We are the World“, jener Hymne auf das Zusammenstehen der Menschen in der Welt.

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Die Deutsche Stiftungslandschaft wächst und gedeiht

Die Parallele zum Hier und Jetzt möchte ich nicht überstrapazieren, auch nicht jene zum Stiftungssektor. Die deutsche Stiftungslandschaft ist stark, sie wächst, sie gedeiht, sie wirkt, sie stößt an, sie öffnet Räume, sie denkt vor, sie arbeitet, sie diskutiert, sie lebt. Dennoch gibt es Themen und Tätigkeitsfelder, da können Stiftungen mehr, und da müssen sie auch mehr tun. Zentrale Engpässe dabei können bei Organisation, Personal und Vermögen ausgemacht werden. Was wir damit nicht meinen ist, dass es der Stiftungssektor bisher schlecht gemacht hat, aber er hat an manchen Stellen seine Hausaufgaben nicht so gemacht, dass alle Stiftungen bspw. Vorreiter beim digitalen Arbeiten sind, dass Stiftungen als Arbeitgeber als sexy wahrgenommen werden und sie im Stiftungsvermögen auf der Höhe der Zeit höchstprofessionell aufgestellt sind und damit das Geldausgeben als wahre Freude empfinden können.

Der wichtigste Stiftungssektor in Europa

So ist es eben genau nicht im Stiftungssektor, wobei diese Feststellung nicht nur für Deutschland sondern für andere Stiftungsstandorte auch gilt. Der deutsche Stiftungsstandort ist aber ein besonderer. Er ist nach den USA der zweitgrößte der Welt. Er ist der größte und wichtigste in Europa. Er war einst mit mehr als 100.000 Stiftungen der größte Stiftungsstandort der Welt – und hat sich qua Kriegsfinanzierung und zweier Diktaturen praktisch abgeschafft, zumindest teilweise. Aus diesem Meltdown aber wieder zu einem mehrere hundert Milliarden Euro „schweren“ Sektor heranzuwachsen und dabei gesellschaftlich stetig relevanter zu werden, ist eben auch eine Geschichte bzw. ein Kapitel der Geschichte des deutschen Stiftungssektors. Eine richtig wichtige wohlgemerkt. Denn Aufstehen ist eine Qualität, an die sich der Stiftungssektor gerade jetzt, im Jahr 2024, erinnern kann – und erinnern sollte.

Europa weiß, wann es herausgefordert ist – und was es genau dann tun muss

Wir leben in Zeiten sich auflösender Strukturen und aufweichender Grundfesten. Ordnungen in Deutschland, in Europa und in der Welt, jahrzehntelang gewachsen, lösen sich auf, akzentuieren sich neu oder verlieren komplett ihre Bedeutung. Neulich bekam ich einen Buchtipp, der Autor befasste sich hier mit Europa in den 10 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg. In dieser Dekade loderten immer noch kriegrische Konflikte auf dem Kontinent, immer wieder flammten Gefechte auf. Erst nach diesen 10 Jahren kann man sagen, dass sich die Nachkriegsordnung etablierte, die wir heute – zu Recht – als die Friedensperiode schlechthin feiern. Sie war und ist Grundlage unseres Gesellschafts-, Wirtschaftschafts- und Wohlstandsmodells und ist derzeit und vermutlich in den kommenden Jahren grundlegend herausgefordert. Nur müssen wir exakt diese Synapse in unserem kollektiven europäischen Gedächtnis wieder aktivieren.

Stiftungen zu stärken heißt an der Demokratie zu arbeiten – von unten her

Manches in Europa wird sich ändern, manches in Europa wird als Hirngespinst enden, manches in Europa wird Protest hervorbringen. Funktionale Demokratien (und wir müssen daran glauben, dass wir in einer solchen leben) werden das aber abkönnen und Veränderungen zum Besseren hervorbringen. Jene, die das nicht glauben und die Diktatur befürworten, müssen sich damit vertraut machen, dass Diktaturen implodieren und in der Regel am Schluss alle mitreißen, auch die zu Beginn größten Befürworter.

Stiftungen mit ihren Freiheitsgraden sind in meinen Augen in einer Demokratie ein deutliches Zeichen, dass es Freiheitsgrade und -räume gibt, für jeden Einzelnen, die es genau in Diktaturen nicht gibt. Aus diesem Grund sind Stiftungen und ihr Tun so wichtig für die Demokratie, genau aus diesem Grund muss der Stiftungssktor als Ganzes schlagkräftiger werden – und entsprechend jede einzelne Stiftung. Arbeiten wir daran, dass bei jeder Stiftung künftig „mehr geht“, arbeiten wir an der Zivilgesellschaft – und damit auch an unserer Demokratie. Nur aber eben von unten und nicht von oben

Handbuch Mein Stiftungsexperte als Beistandswerkzeug für Stiftungsgremien

Das Handbuch „Mein Stiftungsexperte“ als gedruckter Ableger der Stiftungsexperten-Datenbank www.meinstiftungsexperte.de fußen auf diesem Gedanken, setzen hier an. Nicht zu fragen, was der Staat oder eine andere Verwaltungseinheit von oben für den Stiftungssektor tun kann, sondern was der Stiftungssektor für die Zivilgesellschaft tun kann und was jede einzelne Stiftung in diesem Kontext tun kann. Dafür braucht es in einer zäsurnahen Welt Beistand, den Stiftungsexpertinnen und Stiftungsexperten zu leisten imstande sind.

Davon sind wir überzeugt, denn jede einzelne Stiftung zu befähigen, in der digitalen Welt Fuß zu fassen, ihre Projekte auch über/auf Jahre hinaus realisieren zu können oder aus dem Stiftungsvermögen heraus fortwährend wirtschaftlich stehfähig zu sein, das bringt den Stiftungssektor als Ganzes und ganz am Ende auch die Zivilgesellschaft als essentiellen Eckpfeiler unseres demokratischen Hauses voran. Arbeitshilfen und Werkzeuge, die Stiftungsgremien unterstützen, bessere Entscheidungen zu treffen, ihr Ermessen richtig einzusetzen, sind damit für uns notwendig und damit auf der Höhe der Zeit.

Stiftungsexperten-Handbuch

Zum Wohle der Stiftung bedeutet anders zu entscheiden

Mit Profis in einer bzw. an einer Stiftung zu arbeiten, hat aber noch zwei andere Aspekte. Einmal wird es in den kommenden 15 Jahren einen Generationswechsel geben. Neue Stiftungsvorstände, jüngere Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer werden auf den Chefsesseln in Stiftungen Platz nehmen (und wir alle wissen, dass nicht jeder Chefsessel auch wieder besetzt werden wird, Stiftungen also werden zusammengehen müssen).

Sie werden Einiges anders machen, aber sie werden in eine Experten-gestützte Struktur schneller hineinfinden. Man kann sie schneller auf „den Stand“ bringen, Diskussion um Entwicklungsschritte lassen sich direkt fortführen. Vor allem aber fallen Entscheidungen direkt in einem Umfeld, das zum Wohle der Stiftung aufgestellt ist. Womit der zweite Aspekt bereits angerissen ist. Die Stiftungsrechtsreform verlangt von Stiftungsentscheiderinnen und -entscheidern künftig sachgerechte Entscheidungen zum Wohle der Stiftung. Das sind jene Entscheidungen, die ein guter Geschäftsführer auf Basis ausreichender Informationen und umfassender Abwägung dessen trifft. „Aus dem Bauch is‘ nich‘ mehr“, möchte man hier meinen.

Fitmach-Programm für Stiftungen

Die Stiftungsrechtsreform, so könnte sie auch gelesen werden, baut für das, was im Stiftungshandeln künftig notwendig sein muss, bereits heute die Brücke. Denn zum Wohle der Stiftung ist eben nicht mehr „Das haben wir immer so gemacht“ bzw. „Da könnte ja jeder kommen.“ Diese Zeiten sind vorbei oder gehen zumindest ihrem Ende entgegen. Vieleicht werden wir in ein paar Jahren sagen, dass die Stiftungsrechtsreform eine Art Fitmach-Programm für Stiftungen war, um Stiftungen resilienter und den gesamten Stiftungssektor darüber stärker zu machen. Aber auch, um ihn selbstbwusster werden zu lassen. Denn immer noch ist Stiftung häufig negativ konnotiert. Erst jüngst riss ein deutsches Nachrichtenmagazin in der Überschrift das Stiftungsthema an, riet in der ersten Zeile vom Vermögensübergang ab, für den das Instrument einer Stiftung gewählt würde. Im ersten Absatz dann stand von Familienstiftung zu lesen. Der Löwenanteil der deutschen Stiftungen im gemeinnützigen Segment fiel somit „hinten runter“.

Von Stiftungsspezifika und Stiftungstypen

Mich hat dies irrsinnig geärgert, dass Stiftung und Familienstiftung in einen Korb geworfen und so viele Stiftungsspezifika über den Haufen geworfen wurden. Wieder wurde das Stiftungsmodell als Ganzes als negatives Beispiel herangezogen. Wieder wurde ignoriert, dass es verschiedene Stiftungstypen gibt, von denen die Familienstiftung eine ganz spezielle ist, die wiederum ihrerseits in der Regel nichts mit der gemeinnützig tätigen, rechtsfähigen Stiftung zu tun hat. In einen Bottich wurden sie trotzdem geworfen, worüber ich mich maßlos geärgert habe. Der Stiftungssektor, diese engagierte Welt der guten Tat, hat in Deutschland einfach keinen bzw. zu wenig Rückhalt, vielleicht weil sie sich selbst zu wenig nach außen traut mit ihren (wie die Stiftung Futurzwei sie nennt) „Geschichten des Gelingens“. Warum ist das so? Muss das so bleiben? Ist es Zeitgeist, einen Sektor klein zu machen zu halten, wohlwissend, dass er für viele gesellschaftlichen Probleme die Antworten bereits bereithält?

Starker Stiftungsstandort = starker Wirtschaftsstandort

Für uns muss das nicht so bleiben, und es wird auch nicht so bleiben. Denn ein Land unter Stress braucht Ruheräume, Denkräume, Sprechräume, Ausprobierräume, Konzepträume, Ideenräume – und genau diese Räume können Stiftungen, kann die Stiftungslandschaft öffnen. Stiftungen waren in Deutschland immer schon relevante Player im gesellschaftlichen Diskurs, nicht umsonst haben die beiden Diktaturen, die Deutschland gänzlich bzw. zum Teil beherrschten, Stiftungen den Mund in vielen Fällen verboten. Stiftungen haben eine Rolle im intergenerationellen Vermögensübergang, aber ihre eigentliche Bestimmung ist jene, gesellschaftlicher Akteur zu sein und an der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen zu arbeiten. Stiftungen sind so viel mehr als ein Sack voll Geld. Stiftungen gebührt es, von den Menschen positiv gesehen und wertgeschätzt zu werden, ob der Ergebnisse, die Stiftungen „produzieren“. Stiftungen sind ein USP des Standorts Deutschlands, und je stärker der Stiftungsstandort Deutschland ist, desto zukunftsträchtiger wird der Wirtschaftsstandort künftig beurteilt werden.

Wir müssen über Vermögen reden als Raum der Möglichkeiten

Ein prosperierender Stiftungsstandort Deutschland würde auch eine andere Diskussion aufs Neue befeuern und befördern: nämlich jene um das Vermögen. Was ist Vermögen eigentlich? Ist Vermögen nur eine Geldeinheit, die Basis für Steuern und Ausgangspunkt für Neid und Missgunst? Oder bedeutet Vermögen anders übersetzt auch Raum der Möglichkeiten, der für das Gemeinwohl umso besser ist, je größer dieser Raum ist? Eine Diskussion in diese Richtung würde vermutlich in einen Anreizdiskurs führen, wie wir es schaffen können, dass in Deutschland weiter Vermögen geschaffen und dann auch gemeinwohlorientiert verteilt werden kann.

Das permanente Stigmatisieren von Vermögen bzw. vermögenden Menschen und Familien (und damit auch Stiftungen) führt dazu, den Vermögensbegriff negativ zu besetzen und als Geldeinheit zu sehen, aus der sich ein Maximum an Steuern herauspressen lassen muss, um dem Staat weitere Mittel für das Verwirklichen staatlicher Aufgaben zu ermöglichen. Dass diese Aufgaben nicht nur das Gemeinwohl umfassen, sondern auch den Apparat selbst (und das in zunehmendem Maße) wird in dieser Sichtweise natürlich gerne verschwiegen. Vermögen jedoch als Raum der Möglichkeiten zu sehen, Stiftungen in diesem Kontext als Werkzeuge, diesen Raum mit Aktivität zu füllen, könnte das Vermögensbild anfangen, zu verändern – dahingehend, dass alle Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Interessen bündeln, den Vermögensstock kontinuierlich zu steigern und die dahinterstehende Wertschöpfung zu sichern und stetig aufs Neue anzureizen.

Ergänzend ist eine Lockerung manch rechtlicher Normen seitens der Legislative und auch der Stiftungsaufsichten wünschenswert, damit Projekte – wenn sie denn organisatorisch und finanziell auf sicheren Füßen stehen – nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Pragmatische Lösungen würden helfen, manches Stiftungsprojekt zum Wohle der Allgemeinheit zu realisieren.

Zusammengefasst

Für uns steht der deutsche Stiftungssektor an einem Punkt, ab dem er sich von innen heraus erneuern wird, kann oder sollte. Verschiedene Faktoren sprechen aber dafür, dass Stiftungsarbeit professioneller werden muss. Die Demografie macht auch vor dem Stiftungssektor nicht Halt, die an den Sektor formulierten Anforderungen werden eher mehr denn weniger. Stiftungen haben eine Rolle in der Gesellschaft inne, die ihnen nicht gerecht wird und die neu definiert werden muss. Stiftungsexpertise kann genau bei dieser Neubestimmung des Stiftungssektors, die auch in gewisser Weise eine Neuvermessung des Sektors ist, unterstützen, begleiten, inspirieren.

Nicht weil Stiftungen es allein nicht hinbekommen, sondern weil es statt der guten die bessere, die sehr fundierte Entscheidung braucht. Weil es keine Strategie braucht, die bloß funktioniert, sondern eine, die der Anfang von Mehr ist. Weil es keine Stiftungskommunikation braucht, die bloß erzählt, sondern mitreißt. Weil es ein Anlagekonzept braucht, das nicht bloß Rendite liefert, sondern die Stiftung auf Dauer wirtschaftlich stehfähig macht. Diese Impulse braucht es jetzt, auch von außen, etwa qua Stiftungsexperten-Datenbank und Stiftungsexperten-Handbuch, damit sich das Innere des Stiftungssektors stählt. Denn alles beim Alten zu belassen, ist für den Stiftungssektor keine Option. Das weiß der Stiftungssektor aus der eigenen Vergangenheit nur zu gut. Übrigens, Michael Jacksons Gemeinschaftswerk „We are the world“ wurde ein Hit und spielt bis heute unzählige Millionen an Spendengeldern ein.