Welt retten ist ein Knochenjob

Leadership 2.0 im Stiftungssektor – eine Spurensuche

744
Leadership
Lesezeit: 3 Minuten

Wie sollen ehrenamtlich Engagierte abends und am Wochenende die Welt retten, wenn sie unter der Woche von Milliarden Menschen hauptamtlich kaputt gemacht wird? Diese fundamentale Frage höre ich immer wieder… Oder auch in einfach: Warum tun wir uns das eigentlich an? Wir gehen auf Spurensuche zum Warum, und auch dazu, welche Rolle Leadership hierbei spielt.

Diese Frage, so simpel sie sein mag, trifft uns ins Mark. Die Sinnfrage! Ernsthaft gestellt und beantwortet, fördert sie allerdings enorm viele Erkenntnisse über das Engagement in unserem Verein bzw. in der Zivilgesellschaft zu Tage – sowie all unsere Probleme.

Nur mal kurz die Welt retten…

Von Anfang an: Viele Vereine, Stiftungen und Bewegungen werden von engagierten und zugleich bezaubernden Menschen gegründet, die gesellschaftliche Probleme entdeckt haben und sie lösen möchten. Und das ist gut so! Die Zivilgesellschaft ist eine der drei Säulen, auf denen unser Gemeinwesen gründet: Ohne bürgerschaftliches Engagement wäre unsere Demokratie nicht vorstellbar, ohne ihre Organisationen würde unser Sozialsystem nicht funktionieren, würden wir Krisen und Katastrophen schlecht bewältigen, wären Kultur und Moral leb- und haltlos, ohne ihre Visionen unser Leben seelenlos, ohne ihr Eingreifen das Überleben auf diesem Planeten verloren. Die Zivilgesellschaft, der so genannte „Dritte Sektor“, ist unverzichtbar. Das Engagement für all ihre Anliegen ist unverzichtbar!

Und all ihre Leistungen wären ohne freiwilliges Engagement (meist abends und am Wochenende) undenkbar. 

…aber so einfach ist das nicht!

In unserer Arbeit mit und in Organisationen sehen wir täglich den Impact, die gesellschaftlichen Wirkungen – wenn es gut läuft. Wir sehen und erleiden aber auch, was passiert, wenn Orientierung und Motivation fehlen. Genau hier setzen wir mit unserer Fokussierung auf gute Führung an. Wir finden, nein, wir sind uns sicher, dass durch gute Führung, mit einer starken Führungskultur nicht nur die Sinnfrage seltener (frustriert) gestellt wird. Nein, noch schärfer: Nicht ausreichend gute Führung ist das größte Hemmnis der Zivilgesellschaft; verantwortlich dafür, dass die Potenziale, die ungeheuren Kräfte, die in uns schlummern, nicht (ausreichend) geweckt und genutzt werden.

Woran liegt das?

Offensichtlich gehen alle Beteiligten davon aus, dass Führungs-Menschen, obwohl oft überraschend in Leitungspositionen berufen werden, automatisch Naturtalente der Führung seien. Ganz schön naiv – wenn man betrachtet, wie intensiv Wirtschaft und Staat in Führungsqualitäten ihrer Mitarbeiter:innen  investieren. Führung/Leadership in der Zivilgesellschaft kann man höchstens „abgucken“, aber nirgendwo lernen oder studieren. Und für Fortbildungen gibt es kaum Ressourcen. Kein Wunder also, dass Führungskräfte der Zivilgesellschaft oft überfordert sind. Sie stehen Herausforderungen gegenüber, die ausgesprochen komplex sind und für deren Lösung sie oft weder ausreichend (persönlich) gestärkt noch fachlich vorbereitet wurden. Dementsprechend stehen diese Führungskräfte unter starkem innerem und äußerem Druck. Sie brauchen – gerade angesichts der multiplen und überlappenden Krisen unserer Zeit – dringend Unterstützung, um ihre Organisationen erfolgreich in die Zukunft zu leiten.

Es scheint, als ob wir in der Zivilgesellschaft – gerade auch unsere Führungskräfte – unsere eigenen Rollen und Verantwortung zu selten reflektieren. Wir sind doch die Guten! Schwächen zeigen? Geht nicht! Eine althergebrachte, tief verwurzelte Vorstellung von Führung.

Leadership oder doch (nur) Management?

An diesem Punkt also beginnen die ersten großen Aufgaben, die wir Führungskräften, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, nahelegen möchten:

  • Versteht ihr Eure Funktion eigentlich als Leadership – oder eher als Management?²
  • Seid ihr Euch Eurer Haltung, Werte, Mission und Vision bewusst? Und: In welchem Verhältnis stehen diese zu Haltung, Werten, Mission und Vision eurer Organisation? Passt das – wenn Ihr ehrlich seid – zusammen? Und wenn: Spüren das die Menschen in der Organisation auch?
  • Seht ihr – auf dieser Basis – eure Aufgabe darin, gemeinsam mit dem Team eine Strategie zu erarbeiten? Und die Entwicklung Eurer Organisation daran und an den veränderten Rahmenbedingungen auszurichten?

Vier Dimensionen der „angemessenen“ Führung

Gute Führung fokussiert sich allerdings auf verschiedene Dimensionen der Führung: Die – hier erwähnte – Dimension der Führung der Person, zudem der Führungsrolle in der Gesellschaft, der Führung der Organisation – und nicht zuletzt des Verständnisses von Führung als einer eigenen Profession.

Ganz langsam beginnt in der Zivilgesellschaft ein Diskurs über Führung. Leider zumeist noch hinter vorgehaltener Hand – denn der Anspruch, dass – wer für das „Gute“ streitet auch automatisch ein/e Gute/r ist – ist ziemlich kontraproduktiv. Es gibt erste Weiterbildungsangebote und ein Nachdenken darüber, ob Führung in der Zivilgesellschaft nicht grundlegend anders sein müsste als woanders in der Gesellschaft – nämlich inklusiver, offener, nahbarer etc.

Bis sich in diesem Sektor ein eigenes, den Zielen und den Aufgaben angemessenes Führungsverständnis entwickelt hat, wird es noch lange dauern. Aber die Debatte darüber hat begonnen. Es wäre viel gewonnen, wenn diese offen und menschlich laufen würde – und nicht in den ansonsten üblichen, teils verborgenen Kämpfen um Macht, Einfluss und Geld.  
²Drucker, Peter F. (1974) Management. New York: Harper & Row, 1974. Print

Zusammengefasst

Dort wo der Stiftungssektor, die Welt der Vereine oder Engagierten maßgeblich herausgefordert sind, braucht es Antworten auf die Frage, wie die Aufgaben eigentlich zu schaffen sein sollen. Neben vielen anderen Disziplinen ist Leadership im Stiftungssektor bzw. übergeordnet im Social Profit-Sektor sicherlich eine, an der am stärksten gearbeitet werden muss. Gleichwohl wächst das Bewusstsein hierfür, auch Führung im Sektor neu zu denken. Denn: Auch die Gute Sache braucht Gute Führung.

Vorheriger ArtikelStiftungsvermögen und das Börsenjahr 2023
Nächster ArtikelAbsolut gesehen sind die Zinsen noch niedrig
Miriam Wagner Long
ist seit mehr als 15 Jahren im Fundraising für gemeinnützige Organisationen tätig und Geschäftsführende Gesellschafterin der in Darmstadt ansässigen Agentur Zielgenau. Zudem ist sie Mitgründerin der Stiftung Leaders of Tomorrow gUG. Über die Stiftung Leaders of Tomorrow: Die Stiftung Leaders of Tomorrow ist Auslöser:innen und Förder:innen einer Bewegung für gutes Leadership. Sie stärkt Führungskräfte der Zivilgesellschaft, damit sie Menschen und Organisationen inspirieren und Visionen realisieren – für eine lebendige Demokratie. Herzstück ist das gleichnamige Programm, „Leaders of Tomorrow“, als ein Angebot zur Lösung. Es fokussiert auf die Führungskraft selbst und ist als Lern- und Erfahrungsprozess angelegt. Der nächste Kurs startet am 26. Februar 2023 und besteht aus vier Phasen, die insgesamt etwa eineinhalb Jahre laufen. Ziel ist, die (zukünftige) Führungselite ihrer Führungsrolle bewusster und für diese stark zu machen – ihr das Rüstzeug in die Hand zu geben, diese (und ihre jeweilige) Welt zu retten, denn nichts anderes ist die Anforderung an sie. Weitere Informationen unter de.leaders.ngo.