Es klingt wie ein Allheilmittel: Hat eine Stiftung selbst mit einer gut diversifizierten Vermögensanlage nur 2% Rendite erzielt, obwohl sie 4% braucht, lautet der Rat oft „na dann machense doch Fundraising“. Sicher kann der Einstieg in die Bemühungen um Spenden und Fördermittel für viele gemeinnützige Stiftungen, die bislang eher im Verborgenen agierten, neue finanzielle Freiräume schaffen. Es gibt aber auch Situationen, in denen Stiftungen eher auch Fundraising verzichten sollten.
KEIN KONSENS IM STIFTUNGSFUNDRAISING
Die einen würden am liebsten sofort damit loslegen, Spendenflyer zu gestalten oder einen Förderantrag aufzusetzen. Die anderen haben große Zweifel, ob die Organisation wirklich anfangen soll, „Bettelbriefe“ zu schreiben, oder große Angst, ihren sozialen Status zu verspielen, wenn sie Geschäftspartner um Geld fragen. In so einem Fall sollten die Verantwortlichen der Stiftung zunächst Einigkeit erzielen, ob, in welcher Form und für welche Anliegen nun mit Fundraising begonnen wird und an dieser Entscheidung auch festhalten. Denn es ist zermürbend, eine Kampagne zu fahren oder einen Förderantrag zu formulieren, wenn der Entschluss zu fundraisen täglich in Frage gestellt wird.
KEINE STIFTUNGSPROJEKTE
„Spenden Sie für unsere Haushaltskonsolidierung.“ Besonders aufregend klingt dieses Anliegen nicht. Ganz besonders wenn es sich in Konkurrenz zu Frauenförderung in Subsahara-Afrika oder Menschenrechtsarbeit in Nordkorea befindet. Entsprechend wird in jeder Fortbildung schon früh gelehrt, dass Fundraising Projekte braucht. Es sei daher jeder Stiftung empfohlen, die eigenen Anliegen soweit wie möglich in Projektform zu gießen. Hier ist vieles möglich.
Ohne sich verbiegen zu müssen, können Mitarbeiterschulungen zu einem Qualifizierungsprojekt aufgewertet werden oder die bislang informelle Hilfe für benachteiligte Jugendliche zu einem Coaching- und Betreuungsprojekt. Hat eine Stiftung nichts Derartiges im Portfolio, sollte sie zunächst ihre Energie darauf verwenden, begeisternde Projekte zu entwickeln. Denn die wenigsten Spender werden mit ihren Zuwendungen Haushaltslöcher stopfen wollen.
KEIN BUDGET
So unerfreulich es klingt: Genau wie eine Existenzgründung benötigt Fundraising zunächst Investitionen. Jeder Flyer hat Produktionskosten, auch eine einmalige Spendenaktion benötigt in der Regel Material und der große Ideenworkshop am Samstagvormittag zumindest angemessene Verpflegung. Fühlen sich die zum Fundraising Auserkorenen noch sehr unwohl in ihrer Haut, kann auch das Geld für ein Wochenendseminar gut angelegt sein. Wer hier gar kein Geld übrig hat, sollte lieber auf Fundraising verzichten.
KEINE KAPAZITÄTEN
„Du bist jetzt auch für das Fundraising verantwortlich.“ Diesen Satz wird ein Stiftungsmitarbeiter[1] nicht gerne hören, insbesondere wenn er schon drei oder vier Aufgaben hat und nur für zwei bezahlt wird. Obendrein schafft dieser Satz gleich zwei Probleme: Hat Fundraising die fünfte oder sechste Priorität im Arbeitsalltag einer Stiftungsmitarbeiterin, fällt dieses wichtige Anliegen leicht unter den Tisch. Und während ein demotivierter Finanzverantwortlicher zumindest noch richtig rechnen kann, ist bei einer demotivierten Fundraiserin der Misserfolg schon fast garantiert. Der gewaltige Kraftakt wird für alle leichter, wenn hierfür genug Arbeitszeit zur Verfügung steht und es Menschen gibt, die alleine dafür ins haupt- oder ehrenamtliche Stiftungsteam kommen.
[1] Dem Autor liegt viel daran, dass das Bemühen um Gendergerechtigkeit unsere Sprache nicht verunstaltet. Er benutzt daher abwechselnd männliche und weibliche Formen.
KEINE GEDULD IN DEN STIFTUNGSGREMIEN
Auch wenn ich es manchmal nur ungern zugebe: Selbst Fundraiser können nicht Stroh zu Gold spinnen. Fundraising braucht einfach eine gewisse Anlaufzeit, bis sich die ersten Erfolge zeigen. Spendenkampagnen benötigen mehrere Vorbereitungssitzungen. Förderanträge haben in der Regel lange Bearbeitungszeiten sowie auch die ein oder andere Überarbeitungsrunde. Und bis der erste Interessent Sie in seinem Testament bedacht hat, müssen Sie viele Gespräche führen.
Leider fehlt besagte Geduld oft, wovon auch die zahlreichen befristeten Fundraiser-Stellen im gesamten Non-Profit-Sektor zeugen. Den traurigen Rekord hält hier zum Glück keine Stiftung, aber eine mitteldeutsche gemeinnützige GmbH, die von einer für ein Jahr befristet angestellten Fundraiserin erwartet, ab dem zweiten Tätigkeitsmonat Erfolge vorzuweisen und sich innerhalb von zwölf Monaten unersetzbar zu machen. Der Geschäftsführer begründet dies mit den Worten: „Ich brauche eine Fachkraft und keinen Lehrling.“
Gewonnen hat bei diesen Deals eigentlich nur einer: Der Stelleninhaber, der oft schon sechs Monate vor Auslaufen des Vertrags seinen Marktwert austestet, und dem sich mit einem wohlwollenden Zwischenzeugnis manche Einladung zum Vorstellungsgespräch bei den Mitbewerbern eröffnet.
Allen Stiftungsvorständen sei daher dringend anzuraten, die nötige Geduld mit anderen Menschen zu haben, ebenso wie mit sich selbst. Hierzu gehört auch, es als Marktgegebenheit zu akzeptieren, dass ein Nein der Normalfall im Fundraising ist. Und soll dieses in professionelle Hände gelegt werden, ist es allemal besser, eine Agentur zu konsultieren als eine auf ein Jahr befristete und auf 20 Wochenstunden begrenzte „Wir-gucken-mal-was-rauskommt“-Stelle zu schaffen.
ZUSAMMENGEFASST
Fundraising hat nicht nur gewisse Spielregeln, sondern auch gewisse Lebensrealitäten. Es braucht eben nicht nur eine Datenbank und eine tolle Story, sondern bei weitem mehr, um als Stiftung im Fundraising erfolgreich zu sein. Eine Stiftung, die sich mit diesen Realitäten nicht anfreunden kann, sollte lieber aufs Fundraising verzichten.