Stiftungsvermögen und das Börsenjahr 2023

Welche Thesen Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege für die deutschsprachigen Länder bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt, aufstellt

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2023 Thesen Tilmann Galler
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Wie wird das Börsenjahr 2023 für das Stiftungsvermögen? Entlang dieser Frage folgten wir Anfang Dezember des vergangenen Jahres den Thesen, die Tilmann Galler für 2023 aufstellte. Die Analysen von Tilmann Galler, der seit 2007 für die US-Bank J.P. Morgan arbeitet, sind in Fachkreisen hochgeschätzt. Er ist Teil des globalen „Market Insights“ Teams, das auf Basis von umfangreichem Research für institutionelle und Retail-Kunden Informationen rund um die globalen Volkswirtschaften und Kapitalmärkte erstellt, analysiert und Implikationen für die Investmentstrategien ableitet. Wir ziehen aus seinen 2023 Thesen drei Lehren aus Stiftungssicht.

Zu Beginn wurden die 10 Thesen vor einem Jahr in Erinnerung gerufen, und es wurde „abgerechnet“: Welche Voraussagen haben sich bewahrheitet, welche nicht. Ein erstaunlich gutes Ergebnis: 7 „grüne Häkchen“ und nur 2 Voraussagen, die am Ende des Jahres einen roten Punkt bekommen haben. Mit diesen Thesen lag Galler falsch:  Es war 2022 (noch) nicht soweit: „Comeback Asiens“ und „Preisantrieb verliert Schärfe“. Bei so einer guten Treffquote schauen wir besonders gespannt auf die aktuellen Thesen für 2023 von Tilmann Galler.

Lehre Nr. 1: 2023 wird ein schlechtes Jahr für die Wirtschaft, aber ein besseres für die Märkte sein

Das Börsenjahr 2022 bezeichnete Galler als „hart aber fair“. Das kommende Jahr wird nicht weniger herausfordernd, allerdings mit mehreren positiven Lichtblicken. Die Märkte feiern jetzt schon das Ende der Zinserhöhungen, das 2023 kommen sollte. Die Inflation geht in den USA etwas deutlicher als in Europa zurück, aber auch bei uns dürfte die Spitze erreicht sein. Die Inflation wird sich laut Tilmann Galler bis Ende 2023 in den USA und dem Euroraum halbieren. Dies wäre ein deutlicher Rückgang! Die Angebotsengpässe werden weniger, bei Rohöl gibt es aktuell schon einen Angebotsüberschuss. Diese Entwicklung gibt den Zentralbanken mehr Spielraum; nach dem 1. Quartal 2023 dürften sie „pausieren“, anders formuliert: der Zinserhöhungszyklus endet nächstes Jahr.

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Das globale Wachstum schwächt sich ab, in einigen Ländern droht eine Rezession (v.a. in Europa, aber sie ist auch in den USA möglich). Die bevorstehende Rezession in Europa sollte aber eher moderat ausfallen. Andere Länder, wie z.B. Japan oder die Schweiz, dürften robuster bleiben. „Der Konsument (in den USA) hat schlechte Laune, verfügt aber noch über Reserven“. Die Lage ist also noch nicht dramatisch. Die chinesische Führung beendet die strikte Zero-COVID-Politik und wird das Land wieder öffnen müssen, wegen der Wirtschaft. Der für das Land so wichtiger Immobilienmarkt weist jetzt schon einen Rückgang von 8%.

Lehre Nr. 2: Emerging Markets erfolgreicher als Industrieländer?

In diesem Umfeld wird das Gewinnwachstum der Unternehmen zurückgehen und die Margen fallen. Hochverschuldete Firmen (viele aus Wachstumssegmenten) werden größere Probleme haben um die Kredite zu bedienen und/oder weitere Kredite zur Expansion zu bekommen.

Diversifikation im Stiftungsvermögen das oberste Gebot

Diversifikation ist in jeder Konjunkturlage ein oberstes Gebot. Auch bei der geographischen Aufteilung des Vermögens. 2023 gilt umso mehr: Nicht schwerpunktmäßig auf den Heimatmarkt oder nur auf Europa setzen, sondern z.B. neben den USA auch aussichtsreiche Schwellenländer berücksichtigen. Diese sind aktuell auch günstig zu kaufen (außer Indien). Eine der Thesen von Galler für 2023: Die Aktien der Schwellenländer werden besser performen als die der Industrieländer!

2023 dürfte jedoch ein schwieriges Jahr für den Immobilienmarkt – aber ein unkontrollierter Crash ist nicht zu erwarten. Die Zinsen und Nebenkosten wirken sich negativ aus, auch die Banken werden restriktiver bei der Kreditvergabe agieren. Andererseits gibt es auf dem Häusermarkt keine Überkapazitäten. Für das Rohstoffsegment zeichnete sich ein recht klares Bild: In einer Rezession sinkt der Bedarf nach Rohstoffen. Andererseits hat der Markt diese Entwicklung schon eingepreist. Positiver Nebeneffekt: Rohstoffe sind „ein gutes Hedge gegen die Inflation“.

Lehre Nr. 3: Allokation: Value zulasten von Growth? Schlagen Investment Grade Anleihen sogar Aktien?

Was sollten Stiftungsmanager bei der Allokation des Stiftungsvermögens beachten? Und auf welche Branchen soll der Fokus gerichtet sein? Da der „Value-Ansatz“ gegenüber „Growth“ (also unterbewertete, eher klassische Branchen gegenüber Wachstumstitel) nächstes Jahr im Vorteil werden/bleiben sollte, kommen Finanztitel, Industriewerte oder Versorger bevorzugt in Frage. IT- und zyklische Konsumgüter sollten eher untergewichtet werden. Nicht nur der Value-Stil, auch dividendenstarke Fonds werden wahrscheinlich zu den Gewinnern des neuen Jahres gehören.

Nicht zu vergessen werden sollte 2023 der Anleihebereich. Nach langer Durststrecke werden festverzinsliche Anlagen wieder attraktiv. Die Anleiherenditen fallen. Investment Grade – Anleihen, also Wertpapiere hoher Bonität, entwickeln sich in einer Rezession stabiler als High Yield-Anleihen. Tilmann Galler riskiert sogar die Aussage, wonach Anleihen Aktien outperformen könnten, wenn das Gewinnwachstum und die Margen der Unternehmen stärker einbrechen.

vtfds2023 Save the Date

Zusammengefasst

„Abebben der politischen Risiken wäre ein starker Katalysator“ – so umriss Tilmann Galler einen Rahmen für ein wieder positiveres Börsenumfeld. Das Ende des Krieges in der Ukraine wünschen wir alle, unabhängig von dessen Auswirkungen auf die Märkte. Chinas Wirtschaftserholung wäre ein weiterer wichtiger positiver Effekt auf die Konjunktur weltweit. In dem aktuellen schwierigen geopolitischen Umfeld sollten auch Stiftungslenker die Auswirkungen auf die Märkte kennen und bei ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen. Insofern helfen die Thesen eines so erfahrenen Kapitalmarktstrategen, wie Tilmann Galler einer ist. Sie orientieren. Und Orientierung braucht Stiftungsvermögen, für 2023, und darüber hinaus.

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Erika Axelsson
Erika Axelsson ist Diplomökonom und arbeitete lange Jahre als Filialleiterin des Fonds Laden in Regensburg. Sie wurde 2015 – zusammen mit ihrem damaligen Geschäftsführer Peter Brandstaeter – als „Vermögensverwalter des Jahres 2015“ des Finanzen Verlags ausgezeichnet. Bis heute betreut sie Kunden in der Auswahl passender Fonds. Ihre Expertise in der Analyse und Allokation von Fonds brachte sie unter anderem in die #fondsfibel-Ausschüttungsdatenbank mit ein, die sie mit aufbaute und bis heute kontinuierlich betreut. Ebenso konzipierte sie die #fondsfibel-Musterdepots. Für Fragen erreichen Sie Erika Axelsson unter e.axelsson@stiftungsmarktplatz.eu.