„Erreichen Hebelwirkung, da Gelder rollierend eingesetzt werden“

Ein Gespräch mit dem Stifter der Social Business Stiftung über Schach in Hamburg und Hilfe in Afrika

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Interview mit Gerhard Bissinger
Lesezeit: 5 Minuten

Die Social Business Stiftung aus Hamburg setzt ihre Mittel nach der Lehre des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus ein. Auch bei der Geldanlage beschreitet die Stiftung neue Wege. Im Interview erläutert Stifter und Vorstand Gerhard Bissinger, wie das Engagement in Afrika organisiert ist, wie es zu den Schachbretttulpen hierzulande kam und wie sich die Hilfe in Afrika mit Schachunterricht in Hamburger Schulen verbinden lässt.

Herr Bissinger, Sie sind Vorstand der „Social Business Stiftung“. Der Name ist Programm, wie genau definieren Sie Social Business?

Bissinger: Social Business bezeichnet ein Unternehmen, das soziale oder ökologische Herausforderungen auf wirtschaftliche Weise löst. Die Gewinne werden nicht an Anteilseigner ausschüttet. Diese werden reinvestiert oder dienen dazu, neue Projekte zu entwickeln. Somit lebt in der Bezeichnung „Social Business“ die Idee, dass die Wirtschaft den Menschen dienen sollte. Wenn wir soziale Herausforderungen mit wirtschaftlichen Mitteln lösen, könnten einige Probleme der Menschheit effizienter gelöst werden. Karitative oder humanitäre Initiativen beinhalten oft keine Hilfe zur Selbsthilfe. Wir binden die Innovationskraft und das Kapital in die regionale Wirtschaft ein und stärken die Menschen vor Ort. Social Business ermöglicht die Nutzung der Wirtschaftskraft zur Lösung einiger Herausforderung unserer Zeit.

Sie folgen dabei also den Ideen von Nobelpreisträger Muhammad Yunus?

Bissinger: Nach Muhammad Yunus, dem Initiator des Social Business-Gedankens, ist der Zweck des Social Business die Lösung von gesellschaftlichen Problemen, wie Armut oder mangelnde Bildung. Das Erwirtschaften von Gewinnen für die Anteilseigner ist kein angestrebtes Ziel. Social Businesses arbeiten meistens wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig. Die erwirtschafteten Gewinne werden reinvestiert. Die Mitarbeiter erhalten angemessene und marktgerechte Gehälter.

Social-Business Stiftung Ishinde
Die Social Business Stiftung ist in Tansania mit einem Kindergarten-Projekt aktiv, stiftungsmarktplatz.eu unterstützt das Projekt mit einer Dauerspende. Quelle: Social Business Stiftung

Die Mittel Ihrer Stiftung werden in Afrika entsprechend mit Impact eingesetzt: Wie machen Sie das genau, welche Hebelwirkung erzielen Sie?

Bissinger: Durch die Vergabe von Darlehen erreichen wir eine Hebelwirkung, da die Gelder rollierend und mehrfach eingesetzt werden, um den Menschen, z.B. durch Mikrokredite den Aufbau einer eigenen Existenz zu ermöglichen. Dieses Vorgehen unterscheidet  sich von karitativen Einmalzuwendungen. Im Idealfall wird ein einmaliger Kredit zu einen Perpetuum Mobile, das unendlich wirkt. Konkret heißt das: Statt einer Zuwendung an eine Person in Afrika über 100 Euro, wird ein Darlehen gegeben, das die Person in kleinen Schritten zurückzahlt und dann den Nächsten gegeben wird, die z.B. einen kleinen Holzhandel oder einen Marktstand damit finanzieren möchten. Dieser Ansatz kann entweder direkt (Aufbau eines Mikrofinanzinstituts als eigenes operatives Projekt) oder indirekt durch Investition in die großen Player der Mikrofinanz mit ihren zum Teil börsennotierten Investmentfonds erreicht werden. Dabei ist zu beachten, dass die Investition in die Investmentfonds sehr sicher ist, während eigene kleine operative Projekte naturgemäß viel riskanter sind.

Daneben investieren Sie auch in Anleihen von Sportvereinen, die auf entsprechenden Plattformen angeboten werden. Wie funktioniert das?

Bissinger: Wir investieren in nachrangige meist kurzlaufende Darlehen. Das Einsammeln der Anlagegelder erfolgt über eine Plattform, die die Kapitalnehmer vorher mit einer Art „Due Diligence“ prüft, sodass die Ausfallwahrscheinlichkeit gering ist. Die Zinssätze bewegen sich im Moment bei 1-2% p.a. Meist geht es nur um Volumina von unter 100.000 Euro Gesamtanlage, wovon dann Teile gezeichnet werden können. Sobald 100% gezeichnet sind, werden die Darlehensverträge abgeschlossen und der Kredit an den Sportverein ausgezahlt. Die Tilgung erfolgt meist in einer Summe, die Zinsen fließen jährlich. Die Vereine tilgen meist mit Mitteln aus dem laufenden Etat oder Zuschüssen, die der Verein von den Kommunen oder dem Land zum Ende der Laufzeit erhält. Also für den Kreditgeber eine Art „Vorfinanzierung“ und zusätzliche Sicherheit. Weiterhin machen wir das auch mit eigener „Due Diligence“ an Vereine, die wir lange kennen und wo die handelnden Personen über Jahre erfolgreiches Finanzmanagement bewiesen haben.

Versteht und akzeptiert das die Stiftungsaufsicht auf Anhieb – oder müssen Sie da Überzeugungsarbeit leisten?

Bissinger: Mit der Stiftungsaufsicht haben wir uns vor einigen Jahren ausgetauscht und diese in einem direkten Gespräch überzeugt. In unserem Fall handelt es sich um „Mission Investing“, das heißt, wir vergeben die Darlehen dort, wo gemäß unserer Satzung (Völkerverständigung, Sport und entwicklungspolitische Arbeit), sowieso unser Stiftungsschwerpunkt liegt. Ansonsten ist die Vergabe von nachrangigen Darlehen natürlich immer schwierig. Insgesamt sieht sich die Aufsicht die finanzielle Gesamtsituation der Stiftung an. Bei ausreichend Rücklagen und Streuung der Kapitalanlage und geringem Anteil der nachrangigen Darlehen sollte eine Investition immer – auch wenn es kein Mission Investing ist – möglich sein.

Sie bearbeiten inzwischen ein zweites Feld: Schach für Grundschulkinder und mit den Schachbretttulpen speziell für Frauen. Wie kam es dazu, was genau bieten Sie an?

Bissinger: Als langjähriger Schachspieler wurde ich von einer Schule vor acht Jahren als Trainer für Schachunterricht angefragt. Dann habe ich mich in das Thema eingearbeitet und mit dem Unterricht begonnen. Inzwischen lernen an unserer Grundschule im Hamburger Westen 180 begeisterte Kinder das Schachspielen! Im letzten Halbjahr hatten wir 20 Schachkurse mit sieben Trainern. Die Erfolge unserer Schachteams auf Hamburger und nationaler Ebene zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

…und die Schachbretttulpen?

Bissinger: Nach einigen Jahren zeigte sich, dass der Anteil der Mädchen doch sehr gering war (5%). Zunächst ging die Initiative von meiner Frau, Silke Schwartau, unserer 2.Vorsitzenden, aus. Sie suchte Wege für Frauenschach außerhalb eines strengen und männlich geprägten Vereinskonzeptes, das mehr in die moderne Zeit passt. Die „Schachbretttulpen“ sind eine lockere Verbindung von ca. 15 Frauen, die sich zum Schachspielen treffen. Es gibt keinen Verein, keine Beiträge und keinen Formalismus: Frau trifft sich in Restaurants, Hotels oder Lokalen. Dabei wird sich ausgetauscht, lecker gegessen und gerne auch mal ein gutes Glas Wein getrunken. Und anschließend Schach gespielt und trainiert. Zielgruppe sind vor allem Anfängerinnen und Fortgeschrittene, die nicht in einen Verein möchten und die Stimmung und die lockere Verbindung zur Gruppe sehr schätzen. Die Schachbretttulpen sehen sich nicht als Konkurrenz zu den Vereinen, sondern als neue Form einer Gruppierung, die neben und mit den Vereinen agiert.

Nach diesen Erfahrungen hat sich Silke Schwartau der Mädchenproblematik in den Schachkursen angenommen und mit einem Lehrer der Schule das Konzept der zunächst reinen Mädchenschachkurse entwickelt. Das hatte einen enormen Zulauf zur Folge, sodass wir jetzt  45% (!) Mädchen (80 an der Zahl) im Grundschulalter haben. Bei der Umsetzung fiel auf, dass die Lehrmaterialien, die für Kinder auf dem Markt sind, doch sehr „jungensorientiert“ sind und Mädchen kaum ansprechen. Veraltete Rollenmuster,  in dem die Mädchen  „schwach, ängstlich, ohne Kenntnisse und Selbstvertrauen“, dargestellt werden, waren besonders ärgerlich und nicht mehr zeitgemäß. Daher haben wir ein eigenes Anfängerinnen-Schachlernheft „Jetzt sind wir Mädels am Zug!“ speziell für Mädchen entwickelt, das in der Schach-Szene zunehmend Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Ergeben sich durch diese zwei ganz unterschiedlichen Bereiche Möglichkeiten für die Ansprache potenzieller Spender, also zum Beispiel die Vorstellung der Projekte in Afrika bei den Eltern der Schachschüler?

Bissinger: Ja, dieser Synergieeffekt ist durchaus gegeben! Besonders bei kleinen Stiftungen wie der unseren zählt ja die persönliche Spenderbindung über den direkten Kontakt zur Spenderin und zum Spender. Vor allem verlieren wir die einmal gewonnenen Spender aus diesem Grund kaum wieder. In diesem Jahr haben wir speziell für unseren Kindergarten in Ishinde (Tansania) die Schacheltern angeschrieben und um Spenden gebeten. Das war sehr erfolgreich. Ich denke unsere erfolgreiche Arbeit mit den Schachkursen hat dann auch Rückkopplung auf die Spendenbereitschaft für unsere Projekte.

Ganz generell: Sehen Sie Möglichkeiten für andere Stiftungen, grundsätzlich mehr Mittel als bislang direkter mit sozialer Rendite zu investieren? Welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?

Bissinger: Als die wichtigsten drei Voraussetzungen sehe ich:

  • Mission Investing: also die Übereinstimmung der Satzungsziele zum Geschäftsfeld der Kreditnehmer, damit auch nachrangige Darlehen ohne große aufsichtsrechtliche Probleme gegeben werden können.
  • Due Diligence: Sinn macht es, wenn eine  kleine Stiftung die „Due Diligence“ ehrenamtlich machen kann und finanztechnische Erfahrungen hat. Ansonsten ist es möglich, auf die Angebote der Plattformen zurückgreifen. So ist es durchführbar, auch kleine Darlehen zu geben, die eine Streuung des Stiftungskapitals ermöglichen
  • persönlichen Kontakt halten: vor allem für kleinere Stiftungen kann das eine Möglichkeit sein, wenn die Kreditnehmer in ihrem Umfeld tätig sind (z.B. Kindergarten, Hospiz, Verein,)

Sehr geehrter Herr Bissinger, vielen Dank für das interessante Gespräch.