Dank der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus erlebt die Welt derzeit die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, hinzu gesellen sich Strukturbrüche wie das Zurückdrehen der Globalisierung und Verhaltensänderungen der Menschen, etwa in Form einer verminderten Reisetätigkeit. Trotz dieser für die Unternehmensgewinne größtenteils negativen Fakten notieren die Aktienmärkte (fast) genauso hoch wie vor dem Beginn der Coronakrise – und damals im Februar galten die Aktienmärkte schon vielen als teuer. Wie kann das sein? Für Stiftungen gilt es jetzt, an der Aktienquote zu schrauben – und diese zu erhöhen.
Die Frage, die sich stellt, ist relativ trivial: Steigen die Aktienkurse, weil erwartet wird, dass die Gewinne schnell wieder auf oder über das alte Niveau steigen? Die Antwort dazu ist auch denkbar einfach: Wohl kaum. Ist der Anstieg von dem Märztief um 45% also nichts anderes als eine bald platzende Blase? Oder gibt es andere Gründe, die den Anstieg rechtfertigen und vielleicht sogar für weiter steigende Kurse sprechen? Was können Stiftungen und Stiftungsfonds tun? Diese und andere Fragen treiben Stiftungsverantwortliche sicherlich vermehrt um, denn um die Zwecke zu verwirklichen, braucht es ordentliche Erträge, und wenn schon der Zins schwächelt, dann muss es eben neben anderen Ertragsquellen vor allem die Dividende richten. Doch so einfach diese Logik, so schwer tun sich viele Stiftungen damit, ihre Aktienquoten zu erhöhen. Aber drehen wir noch kurz eine Runde im Grundsätzlichen.
AKTIENKURSE HÄNGEN VON UNTERNEHMENSGEWINNEN UND ZINSEN AB
Wenn es nicht die Gewinne sind, die einen Anstieg rechtfertigen, dann müssen es wohl die Zinsen sein. Denn wie an anderer Stelle beschrieben ist die Höhe der Zinsen neben den Gewinnen der entscheidende Faktor für die Aktienbewertung. Zinsen beeinflussen direkt die „Flows“, d.h. ob mehr Geld in den Aktienmarkt strömt oder nicht. Denn Aktien sind Alternativen zu anderen Anlagen wie z.B. Anleihen. Erhalten Stiftungen und andere Anleger nun für festverzinsliche Anleihen keine Zinsen mehr, werden sie vermehrt nach Alternativen Ausschau halten. Neben Immobilien sind dies vor allem Aktien. Bleibt das Angebot konstant führt die steigende Nachfrage direkt zu höheren Kursen. Ein einfacher Zusammenhang, der jetzt vom außen nochmals einen Impuls erfuhr.
DIE CORONAKRISE IST EIN GAME CHANGER: DER ZINS IST TOT.
Mit Ausnahme von den USA war der risikolose Zins aller OECD-Länder seit der Finanzkrise bei null. Durch die Coronakrise ist nun auch der Zins in den USA – dem größten Kapitalmarkt der Welt – auf null gesunken. Dies, und die Erkenntnis, dass die Corona bedingte Staatsverschuldung überall so hoch sein wird, dass die Zentralbanken auf Jahrzehnte hin keinen Zinsanstieg ermöglichen werden, führt zu einem Paradigmenwechsel. Während die Erkenntnis, dass der „Zins tot ist“, nach der Finanzkrise noch nicht von allen Marktteilnehmern geglaubt wurde, ist die Coronakrise ein „Game Changer“. Die überwiegende Mehrheit aller Anleger akzeptieren nun, dass mit risikolosen Staatsanleihen für die nächsten Jahrzehnte keine Rendite mehr zu erzielen ist. Nicht nur strukturelle ökonomische Gründe, wie zu hohes Sparvolumen, führen zu dauerhaft niedrigen oder sogar negativen Zinsen. Nun kommen auch noch unmittelbar einsichtige politische Gründe hinzu. Die stark verschuldeten Staaten können sich einen Zinsanstieg nicht leisten, da dieser die Zinslast untragbar machen würde. Der Zins ist tot. Diese Erkenntnis dürfte auch das Anlageverhalten von Stiftungen nachhaltig tangieren, in der näheren und ferneren Zukunft. So wie der Paradigmenwechsel diesseits und jenseits des Atlantiks zu einer strukturellen Änderung von Vermögensanlagen führt.
AKTIENANLAGE WERDEN STARKE NACHFRAGE ERFAHREN
Die Erkenntnis, dass es auf Jahrzehnte hin zu keiner signifikanten Zinserhöhung kommt, führt bei den unterschiedlichsten Anlagegruppen zu Verhaltensänderungen und damit verbundenen Umschichtungen. Zum einen werden die letzten verbleibenden Anleger, die nicht durch Regularien an risikolose Anleihen gebunden sind, diese zugunsten risikobehafteter Anleihen und anderer renditetragender Vermögensanlagen wie Aktien umschichten. Zum anderen werden sich die Spekulanten auf höhere Zinsen neu orientieren: Der Satz „Wir warten einfach bis die Zinsen steigen“ wird nicht mehr akzeptiert. Kurzfristig agierende Spekulanten aber auch vorsichtige Stiftungen und andere konservative Anleger müssen sich nach Alternativen zu Geldmarktanlagen umschauen.
Die Neuorientierung dieser zwei Anlegergruppen – ohne feststehende Verpflichtung – führt zum ersten strukturellen Geldstrom, der sukzessive in die Aktienmärkte fließt. Ein zweiter, eher kurzfristig wirkender Anlagestrom kommt von Anlegern, die auf der Passivseite Verpflichtungen haben. Interessanterweise könnte sogar ein erwarteter struktureller Rückgang der Unternehmensgewinne jene Anleger veranlassen, mehr in Aktien zu investieren. Dieser „Rebound Effekt“ – rückläufige Gewinne führen zu mehr Aktienkäufen – lässt sich folgendermaßen begründen: Was werden wohl die Asset Liability-Modelle, welche die strukturelle Vermögensallokation der Anleger ermitteln, „ausspucken“, wenn der erwartete Ertrag statt 6% nur noch 3% beträgt? Richtig: eine Verdopplung der Aktienquote, da ansonsten das Renditeziel nicht erreicht werden kann. Anleger werden also gezwungen sein, in Aktien zu investieren, um ihre festen (Pensions-) Verpflichtungen einzuhalten.
Die Umschichtung dürfte insbesondere bei US-amerikanischen Anleger schnell vonstatten gehen, da die USA zum einen als letzte die Zinssenkung vollzogen hat und es zum anderen keine Berührungsängste zu Aktien gibt.
DER AKTIENMARKT STEIGT AUF EIN NEUES BEWERTUNGSNIVEAU
Aber laufen wir dann nicht in eine Blase hinein? Diese Gefahr bestünde, wenn die Käufe der neuen Anlegergruppen die Aktienmärkte nur vorübergehend in neue Höhen bringen würde. Davon ist allerdings nicht auszugehen, solange die Zinsen nicht über ein Niveau von 3% steigen. Siehe dazu auch https://www.wettlauffer.ch/media/keine_angst_vor_steigenden_zinsen_wettlauffer_sus_6-2017_1.pdf. Stattdessen wird der Aktienmarkt auf ein neues, dauerhaft erhöhtes Bewertungsniveau steigen. Dieses ist durch strukturell niedrigere Gewinnrenditen gekennzeichnet. Statt der gewohnten 6% dürften es nur noch rund 3% sein. Dies ist eine Größenordnung, die auch von „rationalen“ Analysten als neuer Diskontierungsfaktor zur Berechnung des Wertes des Aktienmarktes verwendet wird. Denn die 3% entsprechen der historisch erzielten langfristigen Risikoprämie der Aktien über dem risikolosen Zins. Damit könnten zukünftig nicht mehr Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 16 die Marktnorm sein, sondern KGVs von 33. Wer nicht glaubt, dass sich Anleger mit so einer niedrigen Risikoprämie zufriedengeben, sollte mal die Käufer von Immobilien in München fragen, die jetzt schon Mietrenditen von 2% akzeptieren. Spekulieren die alle auf Wertsteigerungen oder sind sie mit 2% Rendite zufrieden? Eine vergleichsweise sichere Nestlé Aktie mit 3% Rendite erscheint dagegen richtig attraktiv.
Insbesondere Wachstumsaktien und risikoarme Aktien mit hohen KGVs sollten besonders stark steigen. Ein um 1% niedrigerer Diskontierungsfaktor beim einem KGV von 20 führt zu einem neuen KGV von 25, d.h. 25% Kurszuwachs, während die 1%ige Zinssenkung ein KGV von 10 nur auf 11,1 ansteigen lässt, sprich nur einen Kursgewinn von 11,1% auslöst.
KAUFEN BEVOR ES ZU SPÄT IST!
Für Stiftungen bedeutet dies nun: Wenn der Aktienmarkt aufgrund der dauerhaft niedrigen Zinsen ein neues Bewertungsniveau erreichen wird, dann erklärt sich dadurch nicht nur der gegenwärtige Anstieg der Aktien trotz Rezession. Vielmehr sind verantwortungsbewusste Stiftungen gefordert, möglichst schnell in Aktien zu investieren, solange die Gewinnrenditen noch attraktiv sind. Für die meisten Stiftungen dürften in der Umsetzung preiswerte ausschüttungsorientierte Aktienfonds oder gemischte Fonds mit einer höheren Aktienquote die erste Wahl sein, insbesondere da hier auch sehr schön Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden können. Dabei sollten sie sich auch nicht von einem eventuellen Rückschlag abschrecken lassen, da dieser nur temporär und dank des unendlichen Anlagehorizonts von Stiftungen gut aussitzbar ist. Im Gegenteil: Nutzen Sie die Coronakrise als Chance!.
ZUSAMMENGEFASST
Stiftungen und ihre liebe Not mit der Aktienquote. Es ist irgendwie immer das gleiche Lied, aber jetzt, post-Corona, wird es anders interpretiert. Stiftungen kommen aus den mannigfaltigsten Gründen heraus an Aktien als Basisinvestment kaum mehr vorbei. Einmal sind es säkuläre Entwicklungen, die Aktieninvestments nahelegen, dazu kommt die strukturelle Unterinvestition vieler Stiftungen im Aktienbereich. Umgesetzt werden sollte die Erhöhung der Aktienquote von wenig oder gar nicht kapitalmarkt-erfahrenen Stiftungslenkerinnen und -lenkern über Fonds, die von vorn herein ausschüttend ausgelegt sind, die Bedürfnisse von Stiftungen also auf jeden Fall im Blick haben.