Bettina Model spricht mit Titus Dittmann

Bettina Model spricht mit Titus Dittmann über das Unternehmersein, die damit verbundene Verantwortung und über die notwendige Balance, die er aber auch erst nach geraumer Zeit gefunden hatte. Und natürlich ist es an Titus Dittmann, die Geschichte „seiner“ Kids auf dem Brett zu erzählen, das nicht nur für ihn die Welt bedeutet.

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Bettina Model im Gespräch - Folge 4
Lesezeit: 7 Minuten

Titus Dittman, geboren 1948 in Kirchen an der Sieg, ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten…. der Gesellschaft?… der Stiftungsszene?…der deutschen Unternehmen? Schwierig zu sagen, denn er war schon fast alles. Entrepreneur des Jahres, Rennfahrer, Skateboarder, Studienrat. Der Mann mit der Mütze, der das Skateboarden in Deutschland populär gemacht hat und bis heute mit seinem legendären Unternehmen TITUS Generationen von Kindern und Jugendliche prägt, passt in keine Schublade.

Er quittierte seinen Beamtendienst als Lehrer und baute ein Unternehmen auf. Heute ist TITUS Europas größter Anbieter von Skateboards und Streetwear. Nun nützt er seine Energie um die Kraft des Skateboardens, um weltweit mit skate-aid die Situation von Jugendlichen in Krisen-, Kriegs- und Entwicklungsgebieten zu verbessern. Ein Gespräch der besonderen Art….

Bettina Model: Sie haben ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, eigentlich zweimal aufgebaut und eine Stiftung ins Leben gerufen. Wie viel soziales Engagement sollte in Unternehmen der Zukunft stecken? Wird sich das Engagement von Unternehmen in Zukunft ändern?

Titus Dittmann: Dass Unternehmen soziale Projekte unterstützen oder sich mit Sponsoring engagieren, ist ja schon länger weit verbreitet. Leider ist Corporate Social Responsibility nicht immer aus tiefstem Herzen motiviert, sondern folgt eher gesellschaftlichem Druck. Manchmal kommt es dann zwar zu etwas aufgesetzten Geschichten, aber immerhin passiert ja so Gutes durch Unternehmen. Bemerkenswerter finde ich jedoch die Social Entrepreneurs, gerade die neue Generation in der Startup-Szene, die ihr Unternehmen gleich von Anfang an so aufstellen, dass soziale Verantwortung und soziales Handeln, z.B. das Angehen eines bestimmten sozialen Problems in der Gesellschaft, zum Geschäftszweck bzw. Business Model gemacht werden. Das wird noch weiter zunehmen, weil immer mehr jungen Menschen sich diesen Bereich aussuchen, wenn sie den Schritt in das Unternehmertum wagen.

Nach Ihrer persönlichen Geschichte im Umgang mit Erfolg, Zahlen und Vermögen. Wem oder was vertrauen sie heute am meisten? Dem Zahlenwerk, Ihrer Erfahrung oder bestimmten Menschen?

Da ich nie eine betriebswirtschaftliche Ausbildung gemacht habe, ich habe ja Sport und Geografie auf Lehramt studiert, habe ich im Business von Anfang an stumpfes Fachwissen grundsätzlich hinterfragt und überprüft. Als Unternehmer kommt es ja auch auf ganz andere Sachen an, wie man kreativ Dinge löst, ein Team motiviert etc. Das alles haben wir eigentlich damals schon als Kinder spielerisch gelernt, wenn wir unsere Nachmittage nach der Schule im Wald verbrachten.

Mit dem alles auch gerne mal hinterfragen bin ich im Leben gut gefahren. Ich habe mir immer eher Menschen gesucht, die auch wirklich Ahnung hatten und nicht solche nur ihres offiziellen Beraterstatus wegen. Denen stand ich immer misstrauisch gegenüber, allein weil sie gerne schon allein mit ihrem „Beratersprech“ alles verkomplizieren und verschlüsseln.

Heute bin ich bei einer gesunden Balance angekommen. Ich hole mir gerne fachliche Meinungen von Mitarbeitern, hinterfrage vieles aber nach wie vor, um stets die beste Lösung zu finden. Ich muss dann immer schmunzeln, wenn einige Mitarbeiter erstmal in die Defensive gehen, wenn ich das von ihnen Gesagte abklopfe, hinterher aber durchaus begeistert sind, wenn sie merken, dass wir durch diesen Diskurs am Ende sogar noch eine bessere Lösung gefunden haben.

Am Ende des Tages ist die zwischenmenschliche Ebene immer für mich die maßgebliche. Kann ich mit jemandem gut, vertraue ich ihm, hat er ein brennendes Herz für die gemeinsame Sache? Das kann mehr wert sein als ein mit 1,0 abgeschlossenes Studium.

Sie engagieren sich mit skate-aid für Kinder und Jugendliche, die aus traurigen und trüben Winkeln der Erde stammen. Was möchten Sie und Ihr Team den Kindern und Jugendlichen vermitteln? Wie kann man die Angst vor dem Scheitern überwinden?

Mit skate-aid engagieren wir uns überall da, wo wir Kinder mit der pädagogischen Kraft des Skateboardens bei der Entwicklung zu starken Persönlichkeiten fördern können. Es gibt viele „trübe und traurige Winkel“, so wie Sie es nennen, in der Welt, dort herrschen oftmals Angst und Mutlosigkeit. Angst ist die größte Handbremse im Leben und wer mit permanenter Angst aufwächst, wird es kaum schaffen, eine Perspektive für sein Leben zu entwickeln. Hier wird das Skateboarden dann zum absolut genialen pädagogischen Werkzeug, denn es lässt die Kids auf selbstbestimmte Art Einiges fürs Leben lernen, z.B. Mut, wenn man sich an einen Skateboard-Trick heranwagt, Begeisterung und Biss, wenn man ihn immer wieder probiert und Frustrationstoleranz, wenn man dabei immer wieder auf die Schnauze fliegt. Klappt es aber dann, ist dieses Erfolgserlebnis prägend. Nicht nur, dass das Belohnungszentrum im Hirn den jungen Menschen dann mit schönsten Gefühlen verwöhnt, nein er hat auch gelernt, wie er sich einer Herausforderung stellen und sie meistern kann.

Wir haben hier also eine unheimlich geniale positive Lernspirale, in der die Kids auch lernen, mit ihren Ängsten umzugehen, indem sie sich mit ihnen auseinandersetzen müssen, ganz rational: schaff ich das, springe ich so weit, bleibe ich dabei auf dem Brett? Und scheißegal, wenn ich scheitere und auf die Schnauze falle. Das ist doch das Normalste von der Welt! Und genau so normal und selbstverständlich dann, wieder aufzustehen, den Staub aus den Klamotten zu klopfen und es nochmal zu versuchen. Und nochmal, und nochmal, eben solange, bis es klappt. Das gibt dann ein ziemlich geniales und starkes Mindset, das man auf alle Lebensbereiche übertragen kann, vor allem das, „Steh immer einmal öfter auf als du hingefallen bist!“

Foto: © René Golz


Sie unterstützen Projekte in vielen Ländern der Erde. Da gibt es sicherlich viele Herausforderungen und einen straffen Zeitplan. Woher nehmen Sie Motivation und Kraft?

Ich glaube, hier ticke ich ein bisschen anders. Von straffen Plänen halte ich nicht viel, meist sind sie eh hinfällig, sobald nur ein Teil des Plans nicht klappt. Das merken wir ja gerade in unseren Auslandsprojekten immer wieder. Tja, und dann? Dann muss man sein Ziel eben auf einem anderen Weg erreichen. Das kostet natürlich Kraft, aber ein brennendes Herz für die gute Sache ist dann eine ziemlich große und nahezu unerschöpfliche Energiequelle. Und ein klares Ziel, eben Kinder stark zu machen, vor Augen zu haben, ein absoluter Power-Motivator. Die Belohnung für all diese Mühen sind die vielen unbeschwert glücklichen Kids mit ihren freudestrahlenden Gesichtern, wie sie dann auf den Brettern durch den frisch eröffneten Skatepark düsen. Hammer!

Was ist das Ziel von skate-aid? Warum Skateparks?

Das Ziel von skate-aid ist, junge Menschen bei ihrer Persönlichkeitsbildung so zu stützen, dass sie sich zu starken und selbstbestimmten Individuen entwickeln. Und damit fängt man am besten früh an, daher lautet unsere Mission auch: „Wir machen Kinder stark!“ Ich hatte ja schon zum Thema Angst geschildert, wie wir das Skateboard als geniales pädagogisches Werkzeug dazu einsetzen und wie die positiven Lernspiralen das Selbstbewusstsein und Selbstkonzept heben, sprich zu einem robusten Mindset fürs ganze Leben führen. Selbstbestimmtes Lernen und Entwickeln geht aber nur, wenn jungen Menschen Freiräume zugestanden werden. Ich habe das sehr ausführlich in meinem Buch „LERNEN MUSS NICHT SCHEISSE SEIN“ beschrieben. Diese Freiräume werden heute leider immer seltener, weil Eltern, Schule und fremdbestimmte Freizeitbeschäftigungen sie den Kindern zusehends nehmen. Ein Skatepark ist aber so ein Freiraum, „Eltern mal die Schnauze halten“ sozusagen. Physisch aus Beton und Stahl, aber auch psychisch, weil die Kids dann hier losgelöst und selbstbestimmt mit der Persönlichkeitsentwicklung loslegen können. Und um auch nochmal auf die „trüben und traurigen Winkel“ zurückzukommen, die ja meist auch ziemlich gefährlich für Kinder sind: In eigentlich allen unseren Auslandsprojekten sind sie Skateparks auch sowas wie wirklich sichere und geschützte pädagogische Sozialisierungsräume ohne Kriminalität, Drogenmissbrauch, Perspektivlosigkeit usw. Unsere Skateparks sind hier die Grundvoraussetzung, dass wir überhaupt pädagogisch arbeiten können, wenn man so will, die „safe havens“ für die Kids. 



LESETIPP: „Lernen muss nicht scheisse sein“ heißt das Buch von Titus Dittmann, im Kern geht es darum, das herauszudestillieren, was Kinder beim Skateboarden fürs Leben lernen. Aber das Buch erzählt auch die Geschichte davon, wie der Skateboardsport das Leben von Kindern grundsätzlich verändern kann. Mehr Infos zum Buch finden Sie hier. https://titus-dittmann.de/mein-neues-buch/ 


Fühlen sie sich eher als Unternehmer oder Stifter?

Ich sehe mich mittlerweile in erster Linie als Social Entrepreneur. 2009 habe ich die Titus Dittmann Stiftung ins Leben gerufen und mich seitdem auch persönlich weiterentwickelt. Ich habe gelernt, das Know-how aus beiden Welten, also dem klassischen Business und der Gemeinnützigkeit, ideal miteinander zu verzahnen, um meine Hilfsorganisation voranzubringen, auch wenn es die ein oder andere „hard lessons learned“ dabei gab. Die Kombination einer erfolgreichen Marke wie skate-aid mit den im Bereich der Gemeinnützigkeit vorherrschenden Rahmenbedingungen ist halt sehr speziell. Außerdem muss die Außenwelt dann erstmal kapieren, dass du nicht mehr als kommerzieller Vollblutunternehmer, sondern als engagierter Weltretter unterwegs bist. Durchaus schwierig.

Ist skate-aid ein Produkt?

Wenn ich selber immer gerne auf den Fachtermini aus der BWL rumhacke, werde ich natürlich hier keine Haarspalterei betreiben. Ich würde eher sagen, skate-aid ist eine „social Brand“ mit der Mission „Wir machen Kinder stark!“, also eine Marke mit einem sozialen Leistungsversprechen. Und da es viele Kinder auf der Welt gibt, die in Verhältnissen leben, die eine Entwicklung hin zu einer starken Persönlichkeit fast unmöglich machen, gibt es für so ein Leistungsversprechen natürlich auch einen Markt. Und „Kaufinteressenten“ wie Spender, Sponsoren usw.  Wie ich vorhin schon sagte, habe ich gelernt, Elemente aus dem Business und der Gemeinnützigkeit zu verbinden und mich in dieser Schnittmenge als Social Entrepreneur zu bewegen.

Die letzten Monate im Zuge der Corona Pandemie, waren sicher auch für Ihre Projekte schwierig. Konnten Sie alle Projekte weiterführen und Kontakt halten?

Ja, diese Zeit war extrem schwierig. In Deutschland musste aufgrund der Kontaktbeschränkungen alles eingestellt werden, auch im Ausland waren unsere Workshops nicht mehr durchführbar. Allein Personal zu entsenden, unmöglich. Deswegen bin jetzt auch sehr froh, dass mittlerweile wieder Leben in die Projekte zurückkehrt. Anfang Juni haben wir die Erweiterung des Skateparks im ugandischen Kampala vor Ort feiern können. Zwar nur in kleiner Zeremonie, aber endlich mal wieder glückliche Kinder zu sehen, hat schon gutgetan. Besonders leid taten mir die Kinder aus unserem Projekt „Skaten statt Ritalin!“ in der Corona-Zeit. Denen tut das gemeinsame Skaten so gut, es hilft ihnen wirklich im Leben. Zum Glück haben seit Beginn der Pandemie viele Kids das Skateboarden für sich entdeckt, es war ja eines der wenigen Dinge, die man nicht verbieten konnte. Es gab einen richtigen Run auf Rollbretter, das hat mich gefreut.

Was ist der persönliche Plan und die Vision von Titus Dittmann?

Ach, Pläne sind doch nicht wirklich was für mich, das sagte ich doch schon. Aber mit mittlerweile 72 und kurz vor Abschluss des Generationswechsels mit meinem Sohn, denke ich zusammen mit meiner Frau natürlich viel und oft darüber nach, wie wir unseren „Unruhestand“ gestalten wollen. Eins kann ich nämlich wirklich nicht leiden: Stillstand und Leerlauf, da drehe ich durch. Also, ich werde definitiv auch weiterhin sehr aktiv sein und mit skate-aid Kinder stark zu machen, wird ein Schwerpunkt meiner Aktivitäten sein.

Sie haben also noch jede Menge vor. Es hat unglaublichen Spaß gemacht mit Ihnen zu sprechen…herzlichen Dank für Ihre Zeit.