Es war ein kalter Märztag, an dem wir uns mit der Stiftungsspezialistin von Mercer, Caterina Ket, an der Isar zum Interview verabredeten. Aber wir redeten uns recht schnell „warm“, kamen direkt zu den Fragestellungen institutioneller Stiftungen und zogen Parallelen zwischen dem angelsächsischen und dem deutschen Anlageverhalten von Stiftungen. So viel sei gesagt: Unter ‚sicher‘ verstehen Stiftungen außerhalb Deutschlands in der Regel etwas völlig anderes.
FondsFibel: Es gibt jetzt wieder Zins. Wo hat sich das Anlageumfeld in Deinen Augen vor allem verändert?
Caterina Ket: Spannend finde ich, dass in den Jahren zuvor Fundamentaldaten von Unternehmen eher ins Hintertreffen geraten waren. Die FED- und Zinsentscheidungen waren die marktdominierenden Faktoren. Da ging es dann nur noch um relative Größen, das heißt, wenn im Markt etwas Negatives passierte, bspw. niedrigere Gewinne, hieß das nicht unbedingt, dass die Aktienkurse fallen. Es könnte auch sein, dass diese steigen, weil die Zinsen noch mehr sinken und die Zentralbanken noch mehr Liquidität zur Verfügung stellen könnten. Also gab es insgesamt eine starke Dominanz dieses Negativzins-Themas und natürlich auch dieser massiven Liquidität, die von den Zentralbanken ins System gepumpt wurde.
FondsFibel: Die ist ja jetzt mehr oder weniger weg.
Caterina Ket: Genau. Man nannte das auch den FED-Put: Egal was auf dem Markt passiert, die FED wird’s schon richten und mit weiteren Anleihekäufen die Kurse stützen. Darauf hat sich der Markt im Grunde verlassen, hat aber auch jahrelang gezittert, dass das irgendwann ein Ende hat. Und dieser Ballon ist dann letztes Jahr geplatzt, da die aufgrund von Krieg und Lieferengpässen stark gestiegene Inflation zu einer restriktiveren Geldpolitik der Notenbanken geführt hat. Das hat den Markt grundlegend verändert, wodurch auch die Kurse mit hoher Korrelation nach unten gerauscht sind, eben weil Aktien und Anleihen aus demselben Grund so stark gestiegen waren. Insofern ist wieder ein bisschen Normalisierung zu beobachten.
FondsFibel: Also sind wir jetzt wieder in normalem Terrain?
Caterina Ket: So weit sind wir denke ich noch nicht, dafür ist noch zu viel Liquidität im Markt und dafür ist die Situation mit dem geopolitischen Risiko auch noch viel zu unsicher. Natürlich ist alles, was die Zukunft betrifft, unsicher, und die Finanzmärkte nehmen Entwicklungen vorweg. Doch aufgrund der veränderten Zinssituation wird jetzt auch wieder genauer darauf geschaut, welche Unternehmen denn tatsächlich stabil sind. Welche Bilanzen beispielsweise sehen ordentlich aus? Wir sehen das ganz stark im Venture Capital Bereich, bei Startups etc. Jüngst war die Silicon Valley Bank groß in den Schlagzeilen, weshalb man sich aktuell genauer anschaut, wie die Bilanz einer Bank eigentlich aussieht und welche weiteren Banken, insbesondere kleinere, davon auch betroffen sind bzw. sein könnten.
FondsFibel: Auch bei den Technologiefirmen selbst wird wieder genauer hingeschaut, oder? Einfach nur Wachstum zu bepreisen mit irgendwelchen Faktoren ist jetzt wahrscheinlich auch vorbei?
Caterina Ket: Ja, das hat man letztes Jahr gesehen, es gab ein großes Comeback der Value-Titel – das ist für Stiftungen übrigens sehr interessant, weil man dort typischerweise Dividenden erhält. Und typischerweise wird alles, was sich am Markt überhitzt, was zu teuer ist, irgendwann auch eine ‚mean reversion‘ haben.
FondsFibel: Das heißt, mean reversion hat es schon immer gegeben, das ist ein schönes Muster?
Caterina Ket: Natürlich lässt sich mean reversion, also die Rückkehr zu einem Normalniveau, nicht auf alles anwenden. Die Nachhaltigkeitsagenda zum Beispiel bedingt es, dass manche Sektoren von großen Investoren grundsätzlich ausgeschlossen werden, weshalb diese dann eine Abwertung erfahren. Da kann man nicht sagen, dass es hier definitiv eine mean reversion geben wird, weil es nicht um reine Marktbewegungen, sondern um Regulierung geht.
FondsFibel: Wenn wir über Zinsen sprechen, dann müssen wir natürlich auch über Geschäftsmodelle sprechen, die zinssensitiv sind. Bei Immobilien oder Infrastruktur gibt es ja das eine oder andere Problem. Da kommt man automatisch zum Thema Alternativen. Ist durch den höheren Zins das Thema alternative Investments ein Stückchen unattraktiver geworden, oder muss man dieses einfach aus einer anderen Perspektive betrachten?
Caterina Ket: Es kommt darauf an, in welche Anlageklasse man investiert und wann man einsteigt. Private Debt oder Infrastrukturanlagen zum Beispiel haben oft variable Zinsmodelle oder können aufgrund ihrer Preismacht steigende Preise besser weitergeben, sind also weniger zins- und inflationssensitiv. Bei anderen Anlageklassen wie Private Equity oder Immobilien hängt es vom Einstiegszeitpunkt und dem Investitionsgrad ab. Investoren, die schon einige Jahre investiert sind, haben dieses Geld innerhalb der Fonds teilweise schon zur Investition gebracht. Da wird zunächst eine Abwertung stattfinden, das ist relativ sicher. Illiquide Märkte werden zeitverzögert bewertet, das heißt, ich habe keine so starke Volatilität wie im liquiden Markt, und es dauert prinzipiell länger, bis Preiskorrekturen in den Büchern stehen. In meinen Augen kommt dieses Spezifikum Stiftungen entgegen.
FondsFibel: Also frisst sich der höhere Zins da jetzt einfach so rein?
Caterina Ket: Genau. Wenn ich als Private Equity-Unternehmen tätig bin und ein anderes Unternehmen kaufen will, muss ich überlegen, ob ich das mit Eigen- oder Fremdkapital bewerkstelligen soll. In der Vergangenheit hat das mit Fremdkapital sehr gut funktioniert, es war nicht teuer und man hatte eine gute Marge auf seine Deals. Das verändert sich jetzt ein bisschen, was aber nicht heißt, dass man nicht mehr in illiquide Investments gehen darf. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Wenn man bisher noch keine Private Markets Allokation im Portfolio hat, ist aktuell ein interessanter Zeitpunkt, sich das genauer anzusehen.
Warum?
Caterina Ket: Es ist ja so: Bei einem Investment in einen Private Markets Fonds wird das Kapital zunächst gesammelt und dann erst wird es zur Investition gebracht, was erst in ein oder zwei Jahren der Fall sein wird. Und ich denke nicht, dass das Marktumfeld, in dem wir heute sind, in den folgenden Jahren identisch aussehen wird. Der Markt verändert sich. Daher gehen wir davon aus, dass sich da auch wieder sehr, sehr interessante Opportunitäten am Markt ergeben werden. Viele Unternehmen erfahren gerade Abschläge in den Bewertungen, das heißt, es kann sich langfristig – und wenn ich illiquide investiere, bin ich im Schnitt etwa zehn Jahre investiert – sehr positiv auf die Renditerate auswirken.
FondsFibel: Das ist jetzt ein interessanter Einblick, weil die typische Reaktion ja eine andere ist. Aber jetzt eine Mittelzusage, die zu anderen Preisen investiert wird, können daraus spannende Renditenbasen resultieren?
Caterina Ket: Vor allem auch im Private Debt Bereich, der wegen der Ausschüttungen für Stiftungen sehr interessant ist, habe ich durch diese Illiquiditätsprämie typischerweise höhere Ausschüttungen als im liquiden Bereich. Wenn ich bereit bin, das Risiko einzugehen, können sich hier spannende Opportunitäten ergeben. Bei vielen Unternehmen stellt sich jetzt die Frage, ob die Kredite zurückgezahlt werden können, wodurch sich die Abwertungen verstärken können. Da einen Manager zu haben, der die Spreu vom Weizen trennt und in die interessanten Unternehmen investiert, kann einen deutlichen Rendite-Boost bedeuten.
FondsFibel: Welche Werkzeuge braucht es aus Deiner Sicht denn heutzutage, um institutionell ausgerichtete Stiftungen in der Kapitalanlage besser zu machen?
Caterina Ket: Sehr wichtig für Stiftungen ist, das Anlageziel zu formulieren und ein vernünftiges Risikomanagement aufzusetzen. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Zinsen und Inflation sollte man überprüfen: Sind die Kapitalmarktannahmen, Modellierung und Risikobudget noch aktuell oder müssen sie angepasst werden? Das ist leichter gesagt als getan, diesbezüglich besteht unserer Erfahrung nach auch immer viel Diskussionsbedarf, aber am Ende profitiert der Anleger von der Aktualisierung der Anlagestrategie durch bessere Anlageergebnisse.
Man muss sich da ein bisschen herantasten?
Caterina Ket: Vor allem braucht es einen klaren Fahrplan. Zum einen eine robuste Anlagerichtlinie, zum anderen eine klare Struktur für die Asset Allokation. Diese beiden Eckpfeiler müssen Stiftungen in unseren Augen in der Vermögensanlage einziehen. Es muss einem bewusst sein, wie man taktisch auf Marktbewegungen reagieren will. Ebenso benötigt man eine klar definierte Ausschüttungspolitik. Auch ist wichtig, wie sich das Thema Nachhaltigkeit auswirkt. Stiftungen sind typischerweise nachhaltigkeitsorientiert, aber was bedeutet das eigentlich konkret für die Asset Allokation? Wie verändert sich zum Beispiel das Risikoprofil meines Portfolios, wenn ich bestimmte Unternehmen oder sogar komplette Sektoren ausschließe? Anhand welcher Daten soll das Monitoring der Nachhaltigkeit aufgesetzt werden? Das sind viele Faktoren, die Berücksichtigung finden müssen. Am Ende stellt sich zu guter Letzt die Frage nach dem Zeithorizont: Wie oft soll das Portfolio überprüft werden? Ab welchem Punkt besteht Handlungsbedarf? Gibt es Zustiftungen, mit denen ich jetzt planen kann? Wie sollen diese integriert werden?
Welche Rolle spielen denn die Gremien dabei? Diese müssen gegebenenfalls von einer anderen Anlagepolitik überzeugt werden. Ist das schwierig, sind Stiftungsgremien eine Hürde?
Caterina Ket: Das ist sehr stiftungsspezifisch. Unsere Aufgabe ist es nicht, in die Stiftungsorganisation reinzureden. Wir sind beratend tätig, was nicht bedeutet, dass wir der Stiftung vorgeben, was sie zu tun hat. Es obliegt ihr, wie sie mit unserem Rat umgeht. Ich erlebe es so, dass die meisten das auf einer sehr partnerschaftlichen Ebene handhaben und den Austausch schätzen. Manche gehen sehr offen in das Gespräch und sind beispielsweise grundsätzlich mit der Struktur der Asset Allokation unzufrieden. Andere haben eine genaue Vorstellung und benötigen nur minimalen Input.
Zeigt sich hier, dass die Stiftungslandschaft sehr vielfältig ist und man nie die eine Stiftung berät?
Caterina Ket: Viele große Stiftungen sind über die Jahre gewachsen, da wurde viel Vermögen aus verschiedenen Zustiftungen zusammengewürfelt. Hier stellt sich die Frage, wie man dieses ordentlich strukturiert. Manchmal ist das Vermögen aber schon sehr gut strukturiert und es geht eher darum, wie es investiert wird. Man muss sich daher immer individuell auf die Stiftung einstellen, gerade bei großen Stiftungen, die häufig aus Unternehmen entstanden und über die Zeit gewachsen sind.
FondsFibel: Wie viele angelsächsische Anlagegedanken für Stiftungen sollten sich in der Vermögensanlage einer deutschen Stiftung wiederfinden?
Caterina Ket: Wir betreuen einige angelsächsische Stiftungen, die typischerweise einen Großteil ihres Vermögens in Aktien und alternativen Anlagen wie Hedgefonds oder Private Equity anlegen, da Schwankungen und Illiquidität aufgrund des quasi unendlichen Anlagehorizonts weniger im Vordergrund stehen. Das macht grundsätzlich Sinn, ist aber in Deutschland schwierig umzusetzen, weil viele Anlagerichtlinien fordern, das Vermögen sicher anzulegen. Wenn ich jetzt zu 80% in Aktien und Wachstumstiteln investiert bin – und im Zweifel auch noch persönlich dafür hafte…
FondsFibel: …aber Anleihen sind auch nicht unbedingt sicher…
Caterina Ket: Es ist eben die Frage, wie man Sicherheit für sich definiert. Wenn ich eine Volatilität von 30% habe, ist das im Zweifel unsicherer als eine Volatilität von 2%. Genau so wird es am Ende auch gerechnet. Klar, ein Jahr wie 2022 ist extrem, auch weil – wie gesagt – durch die Liquidität die Preise verzerrt waren. Trotz allem bin ich mit einer Anleihe typischerweise weniger Schwankungen ausgesetzt als mit einer Aktie. An dieser Stelle kommen wir wieder zurück zur Anlagerichtlinie. Als Stiftung muss ich heute schon sehr genau definieren, was für mich ,,sicher“ bedeutet. Bedeutet es, dass ich nur in Anleihen investiere? Dann ist das Thema Diversifikation weg, aber ich muss mich auch nicht über den realen Wert unterhalten in Anbetracht der aktuellen Inflationsraten.
FondsFibel: Stiftungsrechtsreform und institutionelle Stiftungen – wird in Teilen schon gelebt, was jetzt vereinheitlicht wird? Ist die Business Judgement Rule in institutionellen Stiftungen inzwischen häufig gängige Praxis?
Caterina Ket: In einem Großteil der institutionellen Stiftungen ist das tatsächlich schon so, zum Beispiel wegen der großen Differenzen zwischen dem Grundstockvermögen und dem heutigen Vermögen, was ihnen deutlich mehr Spielraum gibt. Es wird sehr viel delegiert, gerade innerhalb der einzelnen Fonds der großen Stiftungen. Dort ist das Thema Business Judgement Rule schon gelebt. Wegen des größeren Risikopuffers sind auch alternative Anlagen schon gut vertreten. Es gibt aber auch manche Stiftungen, die mittelgroß begonnen haben und jetzt zu den eher großen gehören, weil sie in den letzten zehn Jahren von starken Märkten profitiert haben. Diese orientieren sich für die Weiterentwicklung ihrer Vermögensanlage auch vereinzelt an den amerikanischen Hochschulstiftungen, die teilweise bis zu 50% in alternative Anlagen gehen.
FondsFibel: Hast du noch etwas, das du den institutionellen Stiftungen oder auch der breiten Stiftungslandschaft mit auf den Weg geben willst?
Caterina Ket: Man muss vor allem schauen, wo man innerhalb der Organisation Effizienzen heben und ob man das Anlagevermögen besser strukturieren kann. Dies extern überprüfen zu lassen, kann sich lohnen. Zudem sollte man sich über aktuelle Marktentwicklungen und neue Anlageklassen informieren. Auch die Bedeutung der Nachhaltigkeit ist in den letzten zehn Jahren massiv gestiegen. Es stellt sich inzwischen die Frage nach dem Impact beim Investieren, das ist schon wieder eine ganz andere Zielsetzung. Amerikanische Manager beispielsweise haben ein anderes Verständnis von Nachhaltigkeit als europäische. Solche Dinge allein zu analysieren und aufzubereiten, ist extrem schwierig.
FondsFibel: Worin liegt denn der Unterschied zwischen dem Nachhaltigkeitsverständnis europäischer und amerikanischer Manager?
Caterina Ket: Auf der liquiden Seite kann man sagen, dass sich die Situation in Europa vor dem Hintergrund der Regulierung, etwa der Transparenzverordnung (Artikel 8 und 9), anders darstellt. Diese gibt es in den USA nicht. Nachhaltigkeit bedeutet dort oft, dass die Nachhaltigkeitsfaktoren mit Hinblick auf das Risikomanagement integriert sind, was bei uns eher als ESG Integration bezeichnet wird. Mit Ausschlusskriterien zu arbeiten, oder einen ganz spezifischen Fokus zu setzen, womit man sich auch von der Benchmark wegbewegt, ist unüblich. Insofern sagen die Amerikaner dann auch: Europa ist nicht mein Heimatmarkt, Artikel 8 und 9 sind nicht meine Themen. Wenn ich als Stiftung aber festgelegt habe, nur in Artikel 8 oder 9-Manager investieren zu wollen, bedeutet das eventuell, dass ich bestimmte Manager nicht mehr kaufen kann.
FondsFibel: Ist eine solche Festlegung sinnvoll? Werden Stiftungsverantwortliche da nicht auch in die Irre geführt?
Caterina Ket: Artikel 8 und 9 sind kein Gütesiegel für Nachhaltigkeit. Es bedeutet nur, dass der Manager seinen Nachhaltigkeitsansatz offenlegt. Wenn man sagt, dass durch Offenlegung des Nachhaltigkeitsansatzes des Managers für den Anleger verständlicher wird, wie dieser funktioniert, kann man sich durchaus auf solche Strategien fokussieren. Das ist aber vor allem auf der Private Market Seite schwierig. Artikel 8 und 9 gelten primär für europäische Manager, amerikanische Private Equity Manager achten da eher nicht drauf. Für Stiftungen heißt dies letztlich, eine eigene Haltung zum Themenkreis Nachhaltigkeit auszubilden, zu überlegen, was ihnen wichtig ist und welche Datenpunkte berücksichtigt werden sollen. Auch hier gilt, dass es die eine Wahrheit nicht gibt, wohl aber einen Weg des Herantastens. Das haben die großen Stiftungen in vielen Fällen bereits beeindruckend vorgemacht. Eine Blaupause für grünes Investieren hatte hier auch keiner.
FondsFibel: Das ist wohl wahr, Schritt für Schritt ist manchmal besser als der große Sprung. Caterina Ket, haben vielen Dank für das Gespräch.