Gemeinsinn, Gelingen und Genuss ist ein Dreiklang, der das Jahrestreffen des Vereins der Europäischen Stiftungsweingüter sehr schön auf einen kompakten Nenner bringt. Denn Stiftungen stehen für das Wirken für das Gemeinwohl, sie stehen dafür, Leuchttürme des Gelingens zu sein. Wenn sich dann Stiftungen wie eben die Stiftsweingüter einmal im Jahr treffen, dann bildet der Genuss den Rahmen für besondere Gespräche, die in formaler Atmosphäre so nicht stattfinden würden. Von meiner Jahrestreffen-Premiere habe ich drei Erkenntnisse mitgebracht, die mich auch noch eine Weile umtreiben werden. Weinsprachlich wäre es eine Nachlese.
Die Anreise nach Konstanz am Bodensee ist einerseits malerisch, aber sie ist auch nicht ganz einfach. Denn man muss kurz hinter der Autobahn und einem Stück Landstraße ab Mersburg eine Autofähre nutzen. Aus dem Auto ausgestiegen, ist das schon der erste Moment der Entschleunigung, der auch einen Blick auf das Drumherum am Bodensee erlaubt. So eine Fähre rast ja nicht gerade, sie setzt sich gemächlich in Bewegung, sie geht ganz leicht mit dem Wellengang mit, sie ermöglicht es damit, die ersten Bilder von den umliegenden Weinberghängen aufzunehmen. Die Hänge ab Mersburg liegen am Vormittag in der Sonne, in Konstanz angekommen fährt es sich dann vom Hafen leicht bergauf in Richtung Stadtmitte. Zum Auftakt traf sich die Jahrestreffen-Gruppe in einer Stiftskeller-Lokalität direkt an einem Wasserarm des Bodensees.

Die Stiftungslandschaft ist ein Kraftzentrum unseres Gemeinwesens
Tag 2 hielt unter anderem Stadtführungen, Mitgliederversammlung und die Fahrt mit einer historischen Fähre zum Rebgut Haltnau bereit, auf dem Hinweg mussten wir jedoch Sturm-bedingt auf den Bus ausweichen. Zurück zu zeigte sich der Bodensee wieder von seiner ruhig-beschaulichen, wenig bedrohlichen und auch romantischen Seite. Es waren dies gut gewählte Programmpunkte, denn so kam es genau zu jenen Gesprächen, auf die ich als Novize so gespannt war. „Und wer bist Du jetzt?“ war jene Frage, die ich am öftesten beantworten musste. Dann entwickelte sich recht rasch ein Gespräch, das für mich Erkenntnisse zutage förderte, die ich hier gerne kompakt teilen möchte. Denn die Stiftungslandschaft ist kein Planet, der für sich vor sich hin wurschtelt, sondern sie ist ein Kraftzentrum, das für unser aller Gemeinwohl mehr leistet als uns vermutlich bewusst ist.
Erkenntnis No. 1: Maßlosigkeit ist für Stiftungen genau das richtige Maß.
Am zweiten Abend kam Lothar Böhler zu mir, der einst den Verein der Europäischen Stiftungsweingüter mit aus der Taufe gehoben hatte. Wir unterhielten uns darüber, warum es so wichtig ist, dass es Stiftungen gibt. Er zitierte Kaiser Justinian, der im 5ten Jahrhundert sein „Maßlosigkeit ist für Stiftungen genau das richtige Maß“ formulierte, und dabei auf das Maximum an Möglichkeiten, für das Gemeinwohl Gutes zu tun, abstellte. Für mich war dieses Zitat so ein wenig das Zitat des Tages, denn es holte mich bei den Gedanken ab, die ich mir momentan rund um die Stiftungslandschaft mache. Stiftungen horten einen Pool von Möglichkeiten, für unser aller Gemeinwohl etwas im Positiven zu bewirken, und diesen Pool gilt es zu hegen und zu pflegen, im jeweiligen zeitlichen Kontext. Dieser Gedanke steckt in vielen der Stiftsweingut-Stiftungen, denn mussten sich diese nicht schon oft neu erfinden? Wer heute auf sie schaut wird genau das erkennen.
Erkenntnis No. 2: Die gemeinnützige Szene wird jünger, aber sie darf sie muss auf den Erfahrungen der „Alten“ aufbauen.
Es war für mich interessant zu sehen, dass der neue Vorstand vom Verein der Europäischen Stiftungsweingüter jetzt von Tobias Reiland, dem kaufmännischen Direktor der Vereinigten Hospitien in Trier. Von ihm wird frischer Wind erwartet, und ich vernahm, dass dieser sich auch bereits ankündigt – und mit ihm ein gewisser Aufbruch auch bei den Stiftungsweingütern.
Warum zum Beispiel sind viele von ihnen noch über Fachkreise hinaus relativ unbekannt? Einerseits wollen und brauchen sie Bekanntheit, andererseits entdecken sie erst jetzt jene Räume des Machbaren, die die digitale Welt auch ihnen öffnet. Es war für mich spannend zu hören und zu sehen, dass sich die Diskurse in den Stiftungsweingütern künftig auch dahingehend verändern werden, sichtbarer nach draußen zu sein, sichtbarer im Regionalen zu sein, sichtbarer als regionales Kraftzentrum zu sein. Die Mannschaft dafür wird jünger werden, und das wird sie auch bereits, aber sie wird auf Erfahrungen aufbauen können und müssen. Warum? Weil „neu“ im Stiftungssektor und insbesondere bei den Stiftungsweingütern nicht Revolution, sondern Evolution heißen muss.

Erkenntnis No. 3: Wir wissen alle viel zu wenig, was die Europäischen Stiftungsweingüter alles leisten.
Klosterkellerei Muri-Gries, Stiftung Schönau, Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist, Erzabtei Pannohalmo, Juliusspital Weingut Würzburg, Spitalstiftung Konstanz, Vereinigte Hospitien Trier – so las sich die Liste der Weingüter, die die Weinbegleitung beim großen Abendessen bereitgestellt haben. Nicht ohne einen Vertreter zu entsenden, der zum jeweiligen Wein ein paar erläuternde Worte über Rebsorte, Charakter, Ausbau und Abgang an uns Gäste zu richten. Die Geschichte hinter den Weinen ist aber in der Regel noch weit beeindruckender. Tamas (wir duzten uns direkt von der ersten Minute an) zum Beispiel von der Pannohalmo Erzabtei in Ungarn berichtete, wie er zum Weinprofi wurde, wie er den Einstieg fand und welche Bedingungen er heute vorfindet. Es ist kein leichtes Unterfangen, heute Wein auf diesem Niveau zu produzieren, Logistik- und Personalfragen sind solche, die Tamas umtreiben, aber eben auch jene des Vermarktens der Weine, und zur Zukunft des Weinguts. Überhaupt, die Zukunft.
Weingüter funktionieren mit Menschen, mit Erfahrung, mit persönlichen Begegnungen, mit einer Vision, die im Fass Wirklichkeit wird. Weinbetriebe sind Arbeitgeber, Weingutstiftungen sind auch – so habe ich sie jetzt kennenlernen dürfen – Innovatoren, Weingüter sind Orte der Verständigung und des lebendigen Austauschs, Weingutstiftungen haben es leicht, Fans zu finden. Weingüter stehen im Regionalen aber eben auch für Beständigkeit, insbesondere in einer Welt die sich für viele Menschen zu schnell wandelt, und diese Beständigkeit verleiht ihnen eine ganz besondere Aura – ja die fasziniert und auch anzieht. Denken wir dies weiter, dann sind Weingutstiftungen mit dieser Aura für den Zusammenhalt eines regionalen Gemeinwesens künftig vielleicht umso wichtiger, je mehr der Wunsch nach „Verstehen von Veränderung“ besteht. Weingüter mussten sich nicht nur einmal neu erfinden, und tun das meiner Beobachtung der drei Tage in Konstanz nach gerade wieder.

Zusammengefasst
Drei Tage Konstanz, drei Tage Jahrestreffen der Europäischen Stiftungsweingüter – es war dies ein Erlebnis der besonderen Art. Ich durfte in eine Welt eintauchen, die für mich eine neue war, sie hat mich aber auch eintauchen lassen und mir Einblicke gewährt. Einblicke ins Hier und Jetzt, und Einblicke in das was kommt. Stiftungsweingüter sind eine besondere Gruppe von Stiftungen, weil hier eine besondere Gruppe von Menschen zusammenkommt. Weinbegeisterte, natürlich, aber eben auch Gemeinwohl-Intrinsiker.
Selten haben ich so viele kleine Gespräche, ob an Bushaltestellen oder an Seeufern, über den Sinn des Gemeinwohlwirken geführt, selten habe ich so klar vor Augen geführt bekommen, warum Stiftungen so wichtig sind für das Gemeinwohl. Warum wir alle mehr tun sollten und müssten, um die Stiftungslandschaft hierzulande nicht als selbstverständlich anzusehen. Gemeinwohl ist nichts, was wir alle geschenkt bekommen, Gemeinwohl braucht Gemeinsinn (auch so ein Satz der bei mir hängen geblieben ist) Begeisterung für den Glauben an das Gelingen. Und manchmal braucht Gemeinwohl eben auch Genuss, denn, so wurde es mehrfach betont als Motto der Europäischen Stiftungsweingüter, Gemeinwohl und Genuss ergänzen einander. Dem schließe ich mich an und freue mich bereits auf das nächste Jahrestreffen der Europäischen Stiftungsweingüter im kommenden Jahr im schönen Würzburg.