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Sind Stiftungen noch zeitgemäß? Mit dieser Frage setzte sich der diesjährige Schweizer Stiftungstag, wie immer organisiert und durchgeführt von profonds, dem Dachverband der Schweizerischen gemeinnützigen Stiftungen, auseinander. Es fielen dabei interessante Begriffe, wie etwa eben jener des Ökosystems, der Professionalisierung, vom Wirkungsmanagement und auch von der Transformation. Der 2022er Schweizer Stiftungstag in Olten diskutierte das, was auf Stiftungen zukommen wird, was den Sektor als Ganzes in Zukunft beschäftigen wird. Das ist mutig, aber es ist richtig. Wir ziehen wieder drei Lehren aus dem Gehörten.
Immer wenn es November wird, weiß man als Stiftungsmensch, dass in der Schweiz bald auch der Schweizer Stiftungstag ansteht. So war es auch in diesem Jahr, und die profonds-Protagonisten Dr. Christoph Degen und Francois Geinoz hatten sich Olten als Austragungsort des diesjährigen Schweizer Stiftungstag herausgesucht. Also trafen sich gefühlt mehr als 300 Teilnehmer im Stadttheater, das nahe am Bahnhof Olten und direkt neben dem Fluss Aare gelegen ist. Das Thema war gut und auf der Höhe der Zeit gewählt, denn in „Ist Stiftung noch zeitgemäß? steckt auch das heute gern genommene „Zeitenwende“ drin. Genau über diese diskutierten die eingeladenen Referentinnen und Referenten intensiv, offen, und auch mit einer gewissen ironischen Distanz.
Lehre Nummer 1: Das Stiftungskapital ist ein Geschenk
Gleich zu Beginn wusste Nicola Forster von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft mit einem Satz aufzuwarten, den es so in Deutschland auf einem Stiftungstag noch selten gegeben hat. Das Stiftungskapital ist ein Geschenk. Stellen Sie sich diesen Satz in Deutschland vor, dass das Stiftungskapital ein Geschenk ist, vermutlich würde dieser Satz einen Aufschrei produzieren. Nicht so in der Schweiz, denn die Begründung für die Geschenke-These schob Nicola Forster sogleich hinterher. Das Stiftungskapital ist ein Geschenk, denn es erlaubt den Stiftungen, die notwendigen Wege, die durchaus auch lang sein können, zu gehen. Das heißt, das Stiftungsvermögen ist keine Last. Es ist ein Ermöglicher für Stiftungen, ihre Rolle in der Gesellschaft bzw. im gesellschaftlichen Diskurs wahrzunehmen.
Ein sehr schöner Gedanke, in den Gesprächen in der Pause durchaus noch vertieft wurde. Ich sprach mit einem Stiftungsvorstand, der mit verriet, dass er es etlichen Kindern ermöglicht, sich abseits von Zuhause zu verwirklichen, in Räumen, zu denen sie sonst gar keinen Zugang hätten. Die Basis dafür sei das Stiftungsvermögen. Es ermögliche genau diese Art von stifterischer Arbeit. Entsprechend sei es seine Verantwortung, das Stiftungsvermögen im Kontext der Zeit anzulegen, also bei der Anlage des Stiftungskapitals mit der Zeit zu gehen. Damit spann er den Faden von Nicola Forster ein Eck weiter. Er zeigte, dass es sich für Stiftungen lohnen kann, keine Angst vor Veränderungen zu haben. Genau das scheint Schweizer Stiftungen aber umzutreiben, diese Angst vor der Veränderung – ganz gleich ob diese eine Evolution oder eine Revolution ist.
Lehre Nummer 2: Was Stiftungen brauchen ist Wirkungsmanagement
Ausgehend davon, dass Stiftungen eine Wirkmasse zur Verfügung haben, ging es dann im Folgenden darum, wie diese wirkt. Es war interessant zu hören, wie von den Stiftungsexperten begründet wurde, dass die reine Wirkungsmessung eigentlich schon ein Auslaufmodell sei . Stiftungen sollten sich stattdessen eher dem Wirkungsmanagement zuwenden. Thomas Vellacott, Chef vom WWF Schweiz, brachte hier ein eindrückliches Beispiel mit, um dies zu verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, in einem Dorf werden Mangroven gepflanzt, aus den verschiedensten Motiven heraus. Es ist dann nicth interessant oder relevant, wie viele Mangroven gepflanzt wurden, sondern wie viele nach 10 Jahren noch da sind und was es gebracht hat, die Mangroven zu pflanzen. Eine Frage kann sein, ob die Dorfgemeinschaft jetzt besser geschützt vor dem Klimawandel als vor der Pflanzung.
Ein schönes Beispiel das zeigt, worin der Unterschied liegt zwischen Wirkungsmessung und Wirkungsmanagement. Wirkungsmanagement würde immer bei der Langfristbetrachtung ansetzen, es wäre zudem eine Aufgabe des Boards der Stiftung, also des Vorstands bzw. der Geschäftsführung. Wirkung ist hierbei keine Erfindung von 2022, aber wenn wir mehr über Wirkung wissen wollen, so Vellacott, dann müssen wir mehr darüber erfahren, was nicht funktioniert hat. Denn genau daraus werden Korrekturen abgeleitet, und Dinge die nicht funktionieren, „die werden einfach weggelassen“. Die Wirkung des Stiftungshandelns ist eben genau nichts Optionales, es ist nicht ‚nice to have‘, Wirkung ist die Legitimation von Stiftungshandeln.
Lehre Nummer 3: Stiftungen dürfen Professionalisierung nicht mit Bürokratie verwechseln
Einen weiteren Satz schreiben wir uns sehr gerne auf. Stiftungen dürfen Professionalisierung nicht mit Bürokratie verwechseln, diese Lehre müssen wir dick unterstreichen. Stattdessen sollten Stiftungen eher einen Rahmen zum Lernen schaffen. In diesem lernen die StiftungsmitarbeiterInnen, aber auch die Stiftung selbst, was für die Zwecksphäre wichtig ist. Alles andere wird in dieser Logik auf das Wesentliche reduziert. In den Maßstäben der Wirtschaft sind immer noch zu viele Non Profit Organisationen zu wenig professionell. Aber lassen sich Unternehmen mit ihren Ressourcen und von Ehrenamtlichen geführte Stiftungen wirklich miteinander vergleichen? Nun ja, eigentlich nicht, aber beim Thema Fundraising hat der Vergleich seine Berechtigung.
Sowohl Retail Fundraising (ein interessantes Wortduo, um das Einwerben kleinteiliger Spenden zu beschreiben) als auch das Gewinnen von Major Donors setzt gewisse professionelle Strukturen voraus. Wollen Stiftungen hier erfolgreich sein, das war deutlich zu hören, dann müssen sie sich hier entsprechend professionell aufstellen – und die eine oder andere Anleihe an unternehmerischen Prinzipien nehmen. Auch hier gilt es dann aber, nicht zuerst bürokratische Strukturen für das Verwalten der Spenden aufzusetzen, sondern für das Einwerben der Spenden. Das Verwalten dergleichen kann automatisiert und vom Aufwand her schmal gehalten werden. Nur sehen Stiftungen das auch so? Es braucht hier ein neues Denken, so ließ es sich in den Panels hören, vielleicht im Sektor als Ganzes sogar ein neues Paradigma.
Zusammengefasst
Das Ökosystem Stiftung muss stärker werden, weil es stärker werden kann. Dafür muss es aber professioneller, und im Kontext dessen wirkungskräftiger werden. So in etwa lesen wir die Essenz des 2022er Schweizer Stiftungstag – und stimmen dem Gesagten, Gehörten und Diskutierten vollumfänglich zu. Dass Professionalisierung eben nicht nur bedeutet, Stiftungssoftware einzusetzen, und dass Wirkung nicht nur heißt, Fortschritte zu messen, das wurde sehr schön herausgearbeitet. Alles in allem nehmen wir wieder etliche Anregungen für die deutsche Stiftungspraxis mit nach Hause. Vor allem aber die Erkenntnis, dass das Modell Stiftung definitiv noch zeitgemäß ist. Es muss eben nur mit der Zeit gehen.