Stiftungsvermögen und das Rollski-Paradigma

#VTFDS2020 aktuell: Eine kleine Ableitung, wie Stiftungen in eine zeitgemäße Anlagepolitik finden könnten

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Die Rollskistrategie
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Zugegeben, es mag sich komisch anhören und noch komischer aussehen, wenn ein gebürtiger Sachse und gelernter Bayer am Phoenixsee in Dortmund auf Rollskiern seine Runden dreht – und dabei nicht immer eine glückliche Figur abgibt. Gleichzeitig ist das Erlernen des Rollskifahrens aber eine interessante Erfahrung, aus der sich viel lernen lässt, auch für das Verwalten des Stiftungsvermögens. Das mag jetzt etwas weit hergeholt klingen, aber wer sich dem Rollskifahren nähert, wird verstehen, was ich hier meine. Versuchen wir es also, los geht’s mit dem Anschnallen.

In manchen Stiftungen mag gar nicht über das Stiftungsvermögen diskutiert werden, in vielen dagegen schon. Die Diskussion dürfte sich entlang des Dreigestirns Anlagerichtlinie, Anlageziel und Anlagepolitik entspinnen, und mancherorts wird es sich falsch anfühlen, der Hausbank sagen zu müssen, dass das was bisher gemacht wurde einfach nicht mehr reicht, allen Bekundungen zum Trotz. Und dieses falsch anfühlen ist auch etwas, das ich beim ersten Ausritt auf meinen Rollskiern erlebt habe. Ich kannte Skating vom Rollerbladen her, also den Schlittschuhschritt, als versierter Skifahrer hat man den einfach im Grundrepertoire abrufbar. Auf den Rollskiern jedoch fühlte sich jeder Schlittschuhschritt falsch an, weil es nicht nach vorne ging, ich total unsicher auf den Rollskiern agierte und einfach nicht ins Gleichgewicht fand. Die ersten Ausfahrten ließen mich zweifeln, ob die Entscheidung, mit Rollskiern an meiner körperlichen Fitness zu arbeiten, richtig war. Das Ziel, auf Rollski versiert zu werden und dem Bauchröllchen den Kampf anzusagen, war klar definiert.

ANSCHNALLEN, BITTE!

Aber schon das Anschnallen machte mir Probleme, denn ich kam nicht richtig runter und überspannte die Schultermuskulatur bei dem Versuch, in die Bindung der Rollski zu kommen. So oder so ähnlich muss es sich für Stiftungen anfühlen, wenn sie ihre aktuelle Vermögensallokation überprüfen und sich dann mit der Hausbank in Verbindung setzen, ob denn dieser geringe ordentliche Ertrag überhaupt sei könne. Man fremdelt mit dieser Information so wie ich anfangs beim Einsteigen in die Rollski fremdelte, und die ersten Schritte mit den Rollskiern waren ein Herumgeeiere, so wie Stiftungen sicherlich nicht so genau wissen, wie sie das Bisherige richtigerweise in Frage stellen und eben einen Weg in eine zeitgemäße Verwaltung ihres Stiftungsvermögens finden. Aber, und das gehört auch zur Geschichte, mit dem Anschnallen ist es bei Rollskiern nicht getan, man muss diese Teile auch noch gut und gekonnt bewegen – so wie ich mich als Stiftung gekonnt auf den Weg machen muss, mein Stiftungsvermögen neu zu organisieren. So wie ich zudem beim Rollskifahren gute Stöcke brauche, um mich sauber abdrücken zu können, und auch passende Handschuhe, die keine Reibeflächen in den Händen hinterlassen, brauchen Stiftungen als Präparation für die aktuelle Gemengelage mehr denn je eine Anlagerichtlinie.

WAS IST FÜR DAS STIFTUNGSVERMÖGE HEUTE ZEITGEMÄSS?

Die Anlagerichtlinie ist heute dann zeitgemäß, wenn sie nicht fixe Quoten vorsieht sondern Korridore, in denen sich die Gewichtungen einzelner Anlageklassen bewegen können, und zu diesem Strauß an Anlageklassen können neben Aktien und Anleihen auch REITs, Immobilien und Mikrofinanz dazu gehören, nur um einmal drei zu nennen. Ein Kriterienraster für die Auswahl der Anlageklassen sollte auch aufgenommen werden. Auf Rollskiern gibt es solche Momente auch, in denen ein Rahmen die Richtung vorgibt. Ich habe mir immer vorgenommen, dass ich einen nicht allzu entfernt gelegenen Berg eines Tages mit den Rollskiern bewältigen werde, hatte mir dafür einen Plan zurecht gelegt, wie ich anfahre, wie ich in den Berg hineinfahre und die ersten Rampen nehme und wie ich mir dann den weiteren Aufstieg einteile. Mittlerweile kann ich an besagtem Berg das Tempo variieren, ich merke schnell, ob es sich gut anfühlt an dem jeweiligen Tag oder nicht. Ich habe Routine bekommen für diese recht anspruchsvolle Situation, die mich aber ausfüllt, weil sie mich körperlich so richtig fordert.

DURCHHALTEN UND DOSIEREN

Zum Rollskifahren gehört aber auch das Zusammenpuzzeln der passenden Strecke – und das Durchhalten, wenn es mal wehtut. Es gibt Tage, an denen ist der Körper einfach müde, jedem Stockstich fehlt der Punch, die Beine sind schwer und reagieren nicht auf den Schneller-und-Kraftvoller-Impuls aus dem Kopf. Es braucht dann dieses Durchhalten, dieses Dosieren, denn das Rollskifahren mir guttut, daran zweifle ich keinen Moment – genauso wie eine gute Anlagepolitik einer Stiftung nicht durch einen zwischenzeitlichen Durchhänger plötzlich zu einer schlechten wird. Sie war gut und sie wird gut bleiben, vielleicht akzentuiert um Details, die ich zu meinem Stiftungsvermögen oder zu den von mir ausgewählten Anlageprodukten im Zuge der Delle gelernt habe. Im Großen und Ganzen aber passt die Anlagepolitik, so wie Rollskifahren für mich als Ausgleichssport einfach perfekt passt. Das Durchhalten kommt auch immer dann zum Tragen, wenn ich einen neuen Streckenteil ausprobiere, von dem ich dann hinterher sage, dass es das nicht gebracht hat. Das gehört dazu, aber am übergeordneten Ganzen ändert solch ein Abenteuer nichts.

STIFTUNGSVERMÖGEN BRAUCHT HANDWERKLICH GUTE ANLAGEINSTRUMENTE

Natürlich braucht es auch, und daran lasse ich keinen Zweifel, das passende Material. Ohne gute Rollski, ohne gute Handschuhe und vor allem ohne gute Stöcke macht das Rollskifahren keinen Spaß. Vor allem gute Stöcke braucht es, denn die meiste Arbeit wird über den Oberkörper verrichtet, und kann dieser die Kraft nicht optimal über den Stock abgeben und darüber dann den Schwung erzeugen, der die Beine ins Arbeiten bringt, dann ist Rollskifahren schnell eine Angelegenheit, die schmerzt. Anfangs waren meine Stöcke 15cm zu kurz, die Spitzen zu schwach, brachen sofort ab, nach den ersten 5 Kilometern. Das passte nicht, da konnte ich Strecke und das Dosieren der Kräfte noch so gut abgeschätzt und geplant haben, es brach sich an diesen beiden dünnen Stückchen Stock. Übersetzt auf das Stiftungsvermögen heißt dies: Es braucht auch gute Anlageinstrumente, die die gewählte Anlagepolitik handwerklich hochstehend mit Inhalt und Leben füllen. Passen die Instrumente nicht, passt das Ergebnis sicher auch nicht.

STIFTUNGSGEEIGNETE FONDS MIT KRITERIEN GREIFEN

Stiftungen sollten die Anlageinstrumente, etwa Fonds, so auswählen wie ich meine Rollski-Stöcke. Für mich war wichtig, dass der Griff keine Reibeflächen erzeugt, dass der Stock sich nicht verwindet, dass sich beim Stock die Spitzen tauschen lassen und dass keinen Plastikgriff bekomme, sondern einen aus Kork. Kriterien also, die ich bzw. der Verkäufer abarbeiten konnten. Bisher liefert der Stock, wenngleich eine Spitze sofort brach, weshalb wir hier auf Titanspitzen umsteigen mussten. Bei einem Fonds, egal ob Stiftungsfonds oder stiftungsgeeigneter Fonds, so vorzugehen, sich also überprüfbare Kriterien zu erarbeiten und diese mit einem Sparringspartner auf Seiten des Fondsanbieters durchzuprüfen, diese Vorgehensweise wird das Universum recht schnell so eindampfen, dass eine Stiftung die von ihr gewählte Anlagepolitik in geeignete Fonds übersetzen kann. Ob es dann noch eine Sichere-Hafen-Strategie braucht, darüber ist zu streiten. Ich kann jeden verstehen, der mir sagt, dass es solch einen Sicheren-Hafen-Plan nicht braucht. Für ‚nach dem Crash‘ taugt ein solcher ja wenig bis gar nix.

SCHONER SCHONEN KNOCHEN UND NERVEN

Apropos Crash. Auch so etwas passiert beim Rollskifahren, etwa wenn es nass ist. Zwar lassen sich die Rollski immer noch gut bewegen, aber sobald der Untergrund glitschig wird, wie etwa auf einer Brücke, dort zieht es einem plötzlich die Füße weg, sobald Druck auf einem der beiden Rollski ausgeübt wird. Was es dann braucht sind Ellbogen-, Handgelenks- und Knieschoner, die das Schlimmste verhindern. Eines ist solch ein Crash dann: ehrlich und schonungslos. Er weist auf die Schwächen in der Lauftechnik hin, denn echten Cracks passiert so etwas nicht. Wie auch bei Fonds, wo ein Crash keinerlei Ausreden zulässt. Zieht ein Marktsturm auf und es regnet ins Depot hinein, wie es so schön heißt, dann wird deutlich, wo die Allokation ihre Stärken und Schwächen hat, ob die Portfolioidee funktioniert. Wenn es regnet zeigt sich eben auch, ob der Regenschirm aufgeht und ob er, wenn er offen ist, den Regen auch wirklich abhält. Ein Fondsportfolio wird sicherlich niemals perfekt sein, aber gutes Fondshandwerk zu mischen und mit einem langfristigen Anlagehorizont zu agieren, das war auch noch niemals verkehrt.

DAS ROLLSKI-PARADIGMA FÜR DAS STIFTUNGSVERMÖGEN AUF EINEN BLICK

  1. Die Vorbereitung = Anlagerichlinie: ohne eine gute Vorbereitung ist beim Rollskifahren alles nichts, ebenso wie eine Anlagerichtlinie heute von jeder Stiftung aufgesetzt werden sollte. Zur Vorbereitung gehört auch das Herantasten, an Strecken, Begebenheiten, Puls, genauso wie bei einer Stiftung das Herantasten an eine für sie exakt passende Anlagerichtlinie dazu gehört oder dazu gehören sollte.
  2. Die richtigen Strecken = Anlageziel: Wenn ich losrolle mit meinen Rollski, dann nicht raus aus dem Keller rauf auf die Piste, sondern mit einem Ziel. Ich möchte dann drei Runden um den Hochofen drehen, fünf Anstiege meistern und den großen Berg einmal normal und einmal mit Tempo hochruscheln. Dazu braucht es die entsprechende Strecke, genauso wie es das passende Anlageziel für das Stiftungsvermögen braucht. Als Anlageziel einfach nur zu sagen, ich brauche 3% pro Jahr, das wäre so als würde beim Rollskilaufen sagen, ich muss schnell auf 700 Kalorien Energieverbrauch kommen. Brächte mir gar nichts, genauso wie es einer Stiftung nichts bringt, ein unausgegorenes Anlageziel.
  3. Das Dosieren der Kräfte und der Distanzen = Anlagepolitik: Keine Anlagepolitik ist perfekt, aber jede Anlagepolitik hat ihre Berechtigung. Kennt die Stiftung ihre Ziele und ihren Rahmen genau, kann sich die Anlagepolitik entsprechend granular ausrichten – und danach Instrumente auswählen. Hierzu gehört auch die Frage des Selbermachens oder Delegierens, wobei wir uns klar für das Delegieren entscheiden würden.
  4. Der passende Stock, die passenden Schuhe, die passenden Rollski = Anlageinstrumente: Ohne das passende Equipment macht Rollskifahren weder Spaß noch Sinn weil es mehr Krampf und Kampf mit sich selbst ist. Wählen Stiftungen Fonds, ganz gleich ob Stiftungsfonds oder stiftungsgeeigneter Fonds, müssen diese in ihr Kriterienraster passen und das Erreichen des Anlageziels befördern. Passt die Fondszusammenstellung nicht, werden also beispielsweise fünf gleich aufgestellte Fonds gekauft, wird es schwer, das Anlageziel zu erreichen.
  5. Durchhalten, auch wenn’s wehtut = Diszipliniert die Anlagepolitik umsetzen: Eine einmal gewählte Anlagepolitik im Grundsatz durchhalten erst einmal nur in Details oder Nuancen nachjustieren.
  6. Ellbogenschoner, Knöchelstabilisierende Socken, Handschuhe = Bandagen zulegen „für wenn es mal knallt“: Wenn es mich beim Rollskifahren einmal lang legt, was auf nasser Fahrbahn schon mal passiert, dann schützen mich die Schoner vor gröberen Verletzungen. Aber, und das ist das Entscheidende, ich kann sofort weitermachen und meine Strecke wie geplant abfahren.


HINWEIS: Die Anlagepolitik einer Stiftung wird auch beim Virtuellen Tag für das Stiftungsvermögen am 24.6.2020 thematisiert, die Referenten, die sich dieses Schwerpunkts in der Diskussion um 15 Uhr auch annehmen sind Hans-Dieter Meisberger (DZ Privatbank), Florian Becker-Gitschel (Stiftung Zoologische Gesellschaft) und Dieter Lehmann (Volkswagen-Stiftung). Weitere Infos finden Sie unter www.vtfds2020.de

ZUSAMMENGEFASST

Will Stiftungsvermögen heute angelegt werden, braucht es nicht einfach fünf Fonds und damit hat es sich, nein, es braucht etwas mehr. Anlageziel, Anlagerichtlinie, Anlagepolitik und Anlageinstrumente sollten Bausteine der Verwaltung des Stiftungsvermögens sein, weil es auf die komplexen Anforderungen des Kapitalmarktes eben keine einfachen Lösungen mehr gibt bzw. geben wird. Warum ich das ganze Rollski-Paradigma nenne? Weil für das Rollskifahren auch viele Überlegungen notwendig sind, damit es Spaß macht, einen Effekt hat und zum Ziel führt. Das musste ich zwar anfangs auf meinen ersten wackeligen Ausfahrten auch lernen, aber gelohnt hat es sich per heute allemal.