#vtfds2021 – die Nachlese: Braucht Stiftungsvermögen eine Agenda 2030? Angesichts dessen was im Jahr 2020 an den Kapitalmärkten passiert (Stichwort: Corona-Crash) und was sich seit Jahren durch die Stiftungsportfolios frisst (Stichwort: Nullzins) kann es durchaus Zeit sein, für das Stiftungsvermögen eine Inventur anzustellen, in deren Folge dann so mancher Stein umgedreht und so manch neuer Baustein ins Stiftungsportfolio wandert. Wir diskutierten dies beim zweiten Virtuellen Tag für das Stiftungsvermögen mit vier Stiftungsprofis.
Auf die Frage, ob eine Aufteilung des Stiftungsvermögens zu 70% in Rentenpapieren und zu 30% in Aktien überhaupt noch zeitgemäß ist, wusste Hans-Dieter Meisberger, Stiftungsexperte der DZ Privatbank aus der Praxis Eindeutiges zu berichten: „70 zu 30 ist in der Praxis seit Jahren gesehen, aber viele Stiftungen fragen mittlerweile selbst, ob das noch zeitgemäß ist.“ Um zu ergänzen: „Ob so eine Aufteilung bis 2030 wirklich trägt, muss sich zeigen, ich rate dazu, 70 zu 30 hinter sich zu lassen und als Stiftung eher in der Kategorie verantwortungsbewusstes Investieren zu denken.“ Wichtig ist für ihn hierbei, ob es sich um eine Ewigkeitsstiftung oder etwa eine Verbrauchsstiftung handelt, denn das Wesen einer Stiftung beeinflusst natürlich die Quoten einzelner Anlageklassen.
ANDREAS FIEDLER: STIFTUNGEN SOLLTEN AUS DEM HIER UND JETZT LEHREN NACH VORNE ABLEITEN
Für Andreas Fiedler von der EB-SIM indes ist klar, dass Stiftungen „eher in längeren Zeiträumen denken sollten. Lieber schaue ich mir das Hier und Jetzt an den Kapitalmärkten an und leite dann eine Lehre nach vorne ab“, gab er Stiftungen an Hinweis mit auf den Weg, sich eben beispielsweise von der Kalenderjahresdenke zu verabschieden. Oder eben auch von der Aversion vor der Aktie. Fiedler weiter: „Natürlich hat sich im März 2020 mit dem Corona-Crash ein hohes Stressmomentum aufgebaut, und das spiegeln uns auch Stiftungen, mit denen wir zusammenarbeiten. Aber gleichzeitig war diese Stressphase eine Chance, eine Bestandaufnahme zu machen und zu fragen, wo stehen wir denn mit Blick beispielsweise auf 2030.“
VIDEOTIPP: Den kompletten Stream des zweiten Virtuellen Tags für das Stiftungsvermögen im RE-LIVE sowie die Mediathek zum #vtfds2021 finden Sie auf www.vtfds.de.
STIFTUNGEN SOLLTEN OFFEN BLEIBEN
Dass Stiftungen langfristig denken sollten und müssen, diesen Eckpfeiler warf Arndt Funken von Aquila Capital in die Runde, um zu präzisieren: „Stiftungen sollten bezüglich der Kapitalanlage vor allem offen bleiben und schauen, wohin die Reise geht.“ Dieses Offenbleiben – oder vielleicht auch sich öffnen – lässt sich natürlich dahingehend interpretieren, die Asset Allocation einer Stiftung nicht zu eng zu fassen und das Stiftungsvermögen breiter zu diversifizieren. Wenn das Szenario Stiftungsvermögen 2030 eines ist, das sich nicht richtig greifen lässt, dann steht ein Stiftungsvermögen auf dem Weg dorthin auf mehreren Beinen vermutlich sicherer. Eines dieser Beine könnten Infrastrukturanlagen sein, zu denen Arndt Funken etwas Erklärwerk lieferte.
UNLISTED INFRASTRUCTURE LIEFERT DEN GEWÜNSCHTEN DIVERSIFIKATIONSEFFEKT
„Infrastruktur umfasst sämtliche Strukturen bzw. alles was man benötigt, um eine Gesellschaft, eine Volkswirtschaft am Laufen zu halten. Das sind Straßen, Schienen, Kraftwerke, Schulen, Kindergärten, und vieles mehr. Stiftungen finden hier einen Zugang über ‚listed infrastructure‘, also börsennotierte Infrastrukturaktien, oder ‚unlisted infrastructure‘.“ Für Arndt Funken bietet letztere zwei Aspekte von dem, was sich Stiftungen für ihr Stiftungsvermögen wünschen. „Einmal liefert unlisted infrastructure den gewünschten Diversifikationseffekt, und dazu in der Regel auch höhere ordentliche Erträge. Wenn ein Windpark operativ ist, wird Strom produziert und verkauft, daraus resultiert der ordentliche Ertrag.“ Eine klare Meinung hatte Arndt Funken noch zum Thema Bitcoin: „Würden Sie mit dem Stiftungsvermögen ins Casino gehen?“
WIE SOLL STIFTUNGSVERMÖGEN IN EINER 2-GRAD-WELT ANGELEGT WERDEN?
Genau solche Bausteine braucht es im Stiftungsvermögen 2030, denn der ordentliche Ertrag wird im Stiftungsvermögen künftig nur sprudeln, wenn er aus verschiedenen Quellen stammt, sind sich die vier Stiftungsexperten einig gewesen. Die Diskussion förderte aber noch einen Aspekt zu Tage, und hier nahm Matthias Kopp vom WWF das Zepter in die Hand. Stiftungen können sich demgemäß auch eine Frage stellen, wie sich das Anlegen des Stiftungsvermögens in der 1,5- oder 2-Grad-Welt verändern sollte, in einer Welt also, die es schafft, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf 1,5 bzw. 2 Grad begrenzt. Das wiederum öffnet den Horizont noch einmal ganz anders, weil Stiftungsvermögen hier nicht nur vom ordentlichen Ertrag, sondern auch von einem anderen Ziel her gedacht wird.
SZENARIO-BASIERTE FRAGEN MÜSSEN DISKUTIERT WERDEN
Matthias Kopp gab hier ein paar Einblicke, wie der WWF derlei diskutiert, und damit Stiftungen eine Idee, wie sie es vielleicht auch machen könnten: „Der WWF hat einen Finanzausschuss, und in diesem Rahmen finden Diskussionen über die Kapitalanlage statt. Hier diskutieren wir dann auch, wie wir die inhaltlichen Anforderungen dann auch in Investmentkriterien übersetzen. Wenn ich jetzt an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erinnere, dann befinden wir uns in einem extrem umfassenden Strukturwandel, und die Frage ist, wie sich dieser im Stiftungsvermögen abbilden wird und abbilden soll. Zukunftsgerichtete Fragen, Szenario-basierte Fragen, das muss diskutiert werden, und wir haben jüngst im Rahmen eines Beauty Contests Asset Manager ausgewählt, die hier entsprechende Antworten haben liefern können.“
PODCAST-TIPP: In einem FreitagsPodcast SPEZIAL haben wir uns kurz vor dem zweiten Virtuellen Tag für das Stiftungsvermögen ein paar einführende Gedanken rund um Stiftungsvermögen 2030 gemacht, und auch dazu, welche Weichen heute von Stiftungen gestellt werden sollten.
STIFTUNGSVERMÖGEN VON DER POSITIVSEITE HER DENKEN
Andreas Fiedler ergänzte hier, dass dieses „1,5-Grad-Ziel eines ist, das man messen kann, entsprechend braucht es ganz konkrete Überlegungen, dies auch zu erreichen.“ Wichtig ist für ihn dabei, das Ganze von der Positivseite her zu denken, also aus der Perspektive der Möglichkeiten heraus: „Eine Positivliste führt auf, was ins Mandat hineingehört. Und Nachhaltigkeit gehört hier rein. Nachhaltigkeit ist zeitgemäß, ist nach vorne gerichtet richtig und trägt zu einem guten Risiko-Rendite-Verhältnis eines Stiftungsvermögens bei.“ Erst recht mit Blick auf 2030 und darüber hinaus, dieser Gedanke kam einem bei diesen Ausführungen sofort. Allerdings ist Stiftung eben auch nicht gleich Stiftung, und darauf wies Hans-Dieter Meisberger noch einmal eindringlich hin.
HANS-DIETER MEISBERGER: DIE ANLAGERICHTLINIE IST DAS ERSTE MUSS
„Wir stellen in den Gesprächen immer wieder fest, dass Anlagerichtlinien fehlen, das heißt die Herangehensweisen daran, wie das Stiftungsvermögen strukturiert wird, variieren immer noch sehr stark.“ Hans-Dieter Meisberger wies damit auf einen wichtigen Punkt hin, dass Stiftungen eine Anlagerichtlinie als erstes MUSS ansehen sollten, als Basis, auf der dann das Stiftungsvermögen allokiert werden kann. „Außerdem müssen wir darauf schauen, was es für ein Kapitalstock der Stiftung ist. Ist es einer für die Ewigkeit oder ist es ein Kapitalstock in den Verbrauch hinein, und da kann ich dann ansetzen.“, um zu ergänzen, dass die Frage des Knowhows aus Sicht der Stiftungsverantwortlichen sehr klar beantwortet werden muss. „Die Stiftungslandschaft ist auch in diesem Punkt sehr heterogen.“
POOLING VON STIFTUNGSVERMÖGEN? JA!
Was er damit natürlich zum Ausbruch brachte ist der Abgleich mit dem Pflichtenkatalog und der Möglichkeit, diesen als Stiftungsvorstand zu erfüllen in der Lage zu sein. Hier zu reflektieren, gehört hier genauso dazu, und dann auch das Denken ggf. in neuen Möglichkeiten und Wegen, auch in Richtung 2030. Wir fragten, ob das Pooling von Stiftungsvermögen ein zeitgemäßer Weg für Stiftungen sein kann, und die Experten waren sich einig: Ja. Andreas Fiedler (der als Beispiel den Stiftungsfonds ESG Global anführte mit der Heinz Sielmann Stiftung als Initiator) dazu: „Stiftungen können durchaus Fondsprodukte initiieren, ja, das ist möglich, und sie sollten es tun.“ Hans-Dieter Meisberger brachte noch einen Aspekt ins Spiel, das proaktive Investieren. „Stiftungen sollten sich Gewahr sein, mit welchen Werten sie unterwegs sind. Proaktives Investieren, also Impact Investing, kann hier eine Möglichkeit sein, dies noch zielgerichteter in eine Anlage zu übersetzen.“
STIFTUNGEN ALS SINNVESTOREN
Aber der Weisheit letzter Schluss ist auch Impact Investing im Stiftungsvermögen nicht, denn Sinnvestor, wie Hans-Dieter Meisberger Stiftungen auch bezeichnet, wird man nicht dadurch, dass man alles auf eine Karte setzt, sondern dass eine Haltung zu bestimmten Themen mit der Kapitalanlage verschmolzen wird und dann für die einzelnen Bausteine dieses Konzepts die Umsetzung geprüft wird. So angegangen, wird Impact Investing oder auch Mission Related Investing für das Stiftungsvermögen mit Blick auf 2030 zum Baustein einer Asset Allocation, und gibt dem Stiftungsvermögen damit auch ein Entwicklungsmomentum mit auf den Weg. Nichts ist schlimmer als Quoten und Anteile im Stiftungsvermögen als sakrosankt anzusehen, Stiftungsvermögen muss atmen, insbesondere in Zeiten rekordniedriger Zinsen.
ZUSAMMENGEFASST
Stiftungsvermögen 2030 ist ein etwas kryptischer Begriff, aber es dürfte eine Regel geben, die Andreas Fiedler allen Stiftungen noch mit auf den Weg gab: „Mit Blick auf 2030 müssen Stiftungen die Diversifikation ihres Stiftungsvermögens sicherstellen. Stiftungsverantwortliche sind aufgefordert, sich intensiv mit einer breiten Diversifikation mit zum Teil auch unkorrelierter Anlageklassen zu beschäftigen. Stiftungsvermögen muss ausgerichtet werden an dem was vor uns liegt, und das ist heute auch kein Widerspruch mehr“. Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen, außer: Auch Stiftungsvermögen muss mit der Zeit gehen, sonst geht es mit der Zeit.