Als ich mich von Dr. Christoph Degen verabschiedete, dem Chef und sicherlich auch das Gesicht von profonds, dem Schweizer Dachverband für gemeinnützige Stiftungen, sagte ich ihm, dass ich seine Ausführungen zu den letzten 30 Jahren Verbandsarbeit richtig spannend fand. Denn Eines haben ich auf dem Schweizer Stiftungstag gelernt: Lobbyarbeit, etwa für gemeinnützige Stiftungen bzw. deren Belange, fängt irgendwann an, aber sie hört nie auf. Dr. Christoph Degen und seine Mitstreiter sind seit mehr als 30 Jahren Lobbyisten für Stiftungen, für NPOen, für die gemeinnützige gute Sache, aber fertig sind sie noch lange nicht. Sie sind nach wie vor auf einer Mission.
Schon die Geschichte von Dr. Christoph Degen rund um den Stiftungstag 1991 zeigte, dass hier einer für die Sache brannte und brennt. Er schilderte die Ereignisse rund um den 19. September detailliert, denn in der Nacht vor dem Schweizer Stiftungstag kam seine erste Tochter zur Welt, mit 9 Tagen Verspätung. Der profonds-Chef verbrachte die halbe Nacht im Krankenhaus, fuhr nach Hause, schlief zwei Stunden, stand um 6 Uhr auf und düste nach Bern, um pünktlich beim Stiftungstag zu sein, wo der Jungvater mit einem riesigen Blumenstrauß empfangen wurde. Hier wurde die Stiftungstagsgeschichte zur Lebensgeschichte.
LEHRE NUMMER 1: STIFTUNGSARBEIT IST LOBBYARBEIT
Zu den Stiftungstagsgeschichten gehört aber auch das fortwährende Lobbyieren. Das wäre auch die erste und nachhallendste Lehre vom diesjährigen Schweizer Stiftungstag, dass die Lobbyarbeit für die Anliegen von Stiftungen bzw. den Stiftungssektor nicht enden, ja sogar ausgeweitet, verstärkt werden müsste. In der Eingangsdiskussion unter anderem mit dem Chef des CEPS in Basel, Prof. Georg von Schnurbein, wurde der Lobbyarbeit das Feld bereitet. Lobbyarbeit sei per se nichts Schlechtes, im Gegenteil, Stiftungen brauchen Lobbyarbeit, auch wenn sie bereits viel Gutes tun. Moderne Stiftungsarbeit ist auch Lobbyarbeit, nicht zuletzt da es im politischen Apparat – und das kennen wir aus Deutschland – VertreterInnen gibt, die sich durch eine erwachsenere Zivilgesellschaft angegriffen fühlen.
WAS MACHT EINE REIFERE ZIVILGESELLSCHAFT MIT DER POLITIK?
Das war und ist eine richtig spannende Frage. Fühlt sich die Politik durch einen reiferen zivilgesellschaftlicheren Betrieb angegriffen? Will die Politik NPOen, NGOen und Stiftungen darauf reagierend wieder in die Schranken weisen? Andererseits sitzen Politiker nur zu gern in Stiftungsgremien, sonnen sich im Glanz der Stiftungen und machen sich deren Reputation zu eigen. Die Frage scheint aber auch den Schweizerischen Stiftungssektor umzutreiben, und eine Antwort auf diese Frage könnte Transparenz sein, mit Klischees ausräumen und sich den kritischen Aspekten der Stiftungsarbeit stellen. Das Motto für die kommende Jahre, und das hoben die Referenten an vielen Stellen hervor, könnte im Schweizer Stiftungswesen „Werdet sichtbar!“ sein – vor allem um Missverständnisse auszuräumen.
LEHRE NUMMER 2: STIFTUNGSARBEIT IST BEZIEHUNGSARBEIT
Das Tun von Stiftungen muss viel sichtbarer werden, Stiftungsarbeit wird auch Beziehungsarbeit sein müssen, womit wir schon bei Lehre Nummer 2 des 2021er Schweizer Stiftungstag angelangt wären. Der Stiftungssektor sollte sich besser vernetzen, er sollte sich untereinander viel tiefgreifender austauschen und sich noch deutlicher davon absetzen, wo er herkommt. Der Blick zurück auf 30 Jahre profonds zeigte auch, wie der Stiftungssektor früher agierte. Die Stiftungsarbeit war immer schon gut, vor 30 Jahren wie heute wie in Zukunft, aber damals war die „Szene“ kaum organisiert, es gab wenige Strukturen, es gab kaum Beratung rund um Zukunftsthemen. Genau das ist aber heute anders, nur gilt es das aus Stiftungssicht auch zu nutzen. Nicht zuletzt, weil sich auch das Verhältnis zwischen Geld suchenden und Geld bietenden Organisationen ändert. Auch dieses wird erwachsen.
LEHRE NUMMER 3: STIFTUNGSARBEIT WIRD AUCH DIGITALARBEIT SEIN
Erwachsen im Sinne von Erkennen ist für uns Erkenntnis Nummer 3 vom Schweizer Stiftungstag. An mehreren Stellen hieß es, der Sektor solle sich besser vernetzen, er solle das Stichwort Digitalisierung aufgreifen und ernst nehmen und das, was gerade passiert, als Zeitenwende begreifen – aber eben auch als Chance. Denn Lehre Nummer 1 und Lehre Nummer 2 könnten in Lehre Nummer 3 kulminieren, die letztlich nichts anderes besagen kann, als dass Stiftungsarbeit künftig eben auch Digitalarbeit ist. Damit ist nicht allein das digitale Fundraising gemeint, das viele Stiftungen als Antwort parat haben, wenn sie nach ihrer Digitalstrategie gefragt werden. Digitalisierung bedeutet im Stiftungskontext auch Veränderungen, und zwar grundlegende, genauso wie Transformation.
GUTES GUT TUN, GUTES BESSER TUN
Digitalisierung richtig angegangen, mit kreativer Energie und einer optimistischen Haltung, kann zu einem Quantensprung im Stiftungssektor führen, denn derlei kann Kräfte freisetzen, den Fokus noch stärker auf die Stiftungsarbeit lenken. Francois Geinoz brachte es in seiner Moderation auf den Punkt, als er sagte: Gutes gut tun, Gutes besser tun. Das sei ein Motto, hinter dem sich Stiftungen versammeln können und vielleicht ist das auch der Gradmesser, künftig Projekte mehr miteinander statt nebeneinander zu machen. Entsprechend brachte er noch einmal das Modell der Dachstiftungen ins Spiel, über die Kräfte gebündelt und Projekte mit mehr Schlagkraft aufgesetzt und realisiert werden können.
ZUSAMMENGEFASST
Das 30jährige von profonds war ein äußerst gelungener Stiftungstag, der erstaunlich offen die drängenden Fragen des Schweizer Stiftungssektors diskutierte, die passenden Fragen aufwarf – und rote Fäden spann. Dass Stiftungen mehr Lobbyarbeit brauchen und auch selber machen müssen, war einer davon. Dass sie sich besser vernetzen und viel sichtbarer sein müssen, ein zweiter. Und letztlich müssen sie den Quantensprung in die digitale Welt wagen, um nicht abgehängt zu werden. Schaffen Stiftungen das, dann wird auch der Sektor als Ganzes gewinnen.
Apropos gewinnen. Wir haben unsere Retrospektive mit einer Geschichte begonnen, und wollen sie auch mit einer schließen. Georg von Schnurbein verriet in der Auftaktdiskussion mit Dr. Christoph Degen und Francois Geinoz, dass es im Sommer ein Fußballspiel gab. Es spielten nicht der FC Basel gegen den FC Bayern München gegeneinander, sondern der FC Stiftungssektor gegen den FC Nationalrat. Der FC Stiftungssektor gewann das Kräftemessen mit 3:1.