Demokratie gibt’s nicht geschenkt

Eine Buchrezension zu „Demokratie in Bedrängnis: Warum wir jetzt gefragt sind“

4827
Demokratie in Bedrängnis
Lesezeit: 4 Minuten

Demokratie, demokratische Werte, ein demokratisches politisches System. Rund um diesen Themenkontext spannt die Deutsche Nationalstiftung ihren Bericht zur Lage der Nation und legt damit natürlich auch den Finger ein Stück weit in eine Wunde. Eine Wunde, die alle Menschen, die in Demokratien leben betrifft. Nehmen wir die Demokratie als etwas Gegebenes hin, oder sind wir bereit, uns Demokratie immer wieder aufs Neue zu erarbeiten, zu verdienen, zu erkämpfen? Wir haben uns Band 2 der Berichte bei Kaffee und Gebäck einmal zu Gemüte geführt.

Schon wer „Demokratie in Bedrängnis“ in Händen hält merkt sofort, dass hier keine leichte Kost auf den Leser wartet. Das 208-seitige Buch wird von einem schweren Kartoneinband gefasst, dieser ist hart, kantig, und will mit Nachdruck durchblättert werden. Zum Blättern aber kommen Leser kaum, denn schon das Vorwort von Thomas Mirow, dem Vorstandsvorsitzendes der Deutschen Nationalstiftung und Herausgeber des Buches, packt einen sofort. Er spricht dort von Zweifeln, Zweifeln die Demokratie und unser hiesiges System betreffend, um den Platz, den unsere Demokratie im weltweiten Konkurrenzkampf der Systeme künftig einnehmen wird. Das Wort Klimakrise fällt, aber er stellt auch die Frage nach dem „Was können wir tun“, was also jeder Einzelne für einen Beitrag rund um demokratische Errungenschaften leisten kann. Zwischen den Zeilen weht hier Kennedy durch die Einleitung.

Fragen, die die Politik beantworten muss

Die acht Aufsätze dann greifen ganz unterschiedliche Aspekte rund um die Demokratie auf, und es ist spannend zu sehen, wer die Autoren der einzelnen Beiträge sind. Wir lesen unter anderem von Dennis Snower über die gesellschaftliche Neuordnung, die die Demokratie braucht, wir lesen von Ines Geipel von Demokratie unter das Last von Gedächtnislücken, und von der chinesischen Technologiemanagerin Xiaoqun Clever, dass eine moderne Demokratie (unbedingt) auch Digitalisierung braucht. Schon allein der Mix an Denk- und Argumentationsrichtungen vermittelt den Eindruck, dass hier nicht n‘ bisschen Säuseliges zur Demokratie beigetragen wird, sondern dass die Fragen aufgeworfen werden, die Politik wie Gesellschaft schnell werden beantworten müssen. Es sind die harten Fragen rund um unsere Demokratie bzw. die demokratischen Errungenschaften.

Das Vertrauen schwindet, kommt es wieder?

Aber, wie es im Leben so ist, die harten Fragen sind auch die richtigen Fragen, und in den einzelnen Aufsätzen werden genau diese gestellt. Xiaogun Clever zum Beispiel stellt die Frage, ob die Demokratie bzw. das gewählte politische System noch das Vertrauen bzw. ausreichend Vertrauen der Menschen genießen. Sie zitiert eine Umfrage unter mehr als 600 nach 1990 geborenen jungen Führungskräften aus 84 Ländern. Nur deren 15% glauben, dass die politische Klasse heute, speziell in der Corona-Pandemie die richtigen Entscheidungen treffen. Auch haben Politiker den stärksten Vertrauensverlust in den letzten 18 Monaten erlebt. Wie aber, und genau das ist die Frage, baut sich nun dieses Vertrauen wieder auf? Für Xiaoqun Clever kommt hier die Digitalisierung ins Spiel.

Welche Qualitäten auch in der Politik gefragt sind

Sie schreibt: „In der Wirtschaft steht Digitalisierung für Transparenz, Effizienz, flache Hierarchien, Zuhören, Empathie und Risikobereitschaft, sowie ständiges Lernen…“, und genau das seien die neuen und von den Menschen auch von politischen EntscheidungsträgerInnen gefragten Führungsqualitäten. Ein interessanter Gedanke, denn ganz offensichtlich zeigt die Analyse, dass die Menschen im Kopf und von ihrem Empfinden her schon viel weiter als die Politik sind, und dass sie ganz offensichtlich das Vertrauen in die Politik ein gutes Stück verloren haben, weil sie ihnen (den Menschen) nicht nachfolgt. Die Politik scheut die harten Entscheidungen, scheut langfristige Weichenstellungen, scheut Führung.

Auf der Demokratie drückt etwas…

Ines Geipel erweitert in ihrem Aufsatz diesen Gedankenraum und spricht von der Last von Gedächtnisblockaden, die auf der Demokratie drückt. Sie arbeitet sehr anschaulich die unterschiedlichen politischen Verfasstheiten in Ost- und Westdeutschland heraus, nennt Zahlen, die deutlich zeigen, dass in den ostdeutschen Bundesländern die Offenheit zu einer autoritären Staatsform weitaus höher ist, dass die Zustimmungswerte zur Demokratie in Ostdeutschland signifikant unter jenen in Westdeutschland liegen. Sie nennt die Schröder-Jahres die bleiernden Jahre Ostdeutschlands und verweist darauf, dass sich „kein einziges östliches Bundesland von mehr als der Hälfte der enttarnten Stasi-Zuträger im Öffentlichen Dienst trennte.“ Schauerliche Zahlen, aber eben auch harte Belege, woher auch im administrativen Apparat eine Demokratie-Skepsis kommen kann.

Funktioniert der Doppelmagnet Europa noch?

Die Aufsätze in „Demokratie in Bedrängnis“ lesen sich allesamt sehr flüssig, sehr fundiert, und es sind die Denkanstöße, die einen selbst bei sich selbst abholen, die das Buch zu einer zwar etwas anspruchsvolleren aber eben doch auch anregenden Lektüre machen – gerne auch mal über die Weihnachtsfeiertage verschlungen. Es sind dabei auch die Denkanstöße und die Demokratie als Wertegemeinschaft und der Bezug zu Europa, die einen darüber grübeln lassen, ob Europa mit seinem Überbau im Politischen wirklich auf dem richtigen Weg ist und auch in Zukunft seine Strahlkraft als Hort von Vielfalt und Freiheit innehaben kann – und wird. Hier hat die Aufsatzammlung seine stärksten Momente, wenn Bilder genutzt wie etwa das des Doppelmagnets (Westen plus Demokratie), der seine Anziehungskraft verloren hat.

Zusammengefasst

„Demokratie in Bedrängnis: Warum wir jetzt gefragt sind“, stellt einerseits die richtigen Analysen an und dazu auch die richtigen Fragen. Die gebrachten Beispiele rütteln auf, was ich persönlich sehr schön fand waren die verschiedenen Sichtweisen auf die Demokratie bzw. die demokratischen Errungenschaften, die das Buch liefert. Hier wird deutlich, dass Demokratie eben nicht ein Gott gegebenes Recht ist, sondern etwas, für das sich jeder einsetzen sollte und für das jeder für sich auf seine Weise kämpfen muss. Beantwortet „Demokratie in Bedrängnis“ also die Frage, was also geschehen muss? Ein ganz klares Ja, und Thomas Mirow von der Deutschen Nationalstiftung bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „… Die Vitalität unserer Demokratie muss immer wieder neu gestärkt werden: mit frischen und tauglichen Ideen (das ist der Aufruf an die Politik, Anm.d.Red.) und mit aktivem bürgerschaftlichen Engagement (das ist der Aufruf an jeden Einzelnen, Anm.d.Red.). Davon handelt dieser Band.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.