Der NGO-Komplex macht es sich an manchen Stellen zu leicht

Die Leipziger Botschaft diskutiert bei #sokoms25 darüber, ob Stiftungen sich verändern können

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#sokoms25 Leipziger Botschaft
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Die Leipziger Botschaft im Rahmen von #sokoms25 nahm sich den NGO-Komplex in Deutschland „zur Brust“. Der Analyse am Runden Tisch nach haben Stiftungen und Co. schon Probleme und Problemchen hier und da, sie sind zu wenig sichtbar mit ihrem Gelingen und jetzt auch noch zusätzlich aus dem politischen Diskurs herausgefordert. Jedoch benennen die Protagonisten der Leipziger Botschaft klar und deutlich jene Baustellen, an die Stiftungen und Vereine ranmüssen. Und zwar schnell. Pack ma’s.

#sokoms25: Was ist es, was den NGO-Komplex am meisten umtreibt, umtreiben sollte. Ist an den Problemen im Sektor was dran? Hat der Sektor die Fähigkeit verloren, sich zu verändern?
Dr. Philipp Hölscher:
An den Problemen rund um den NGO-Komplex ist schon was dran, die nachfolgenden Generationen befassen sich zudem mit anderen Themen als die Gebergenerationen früher. Viele vermögende Menschen, die heute geben möchten, sagen oftmals, dass sie keine Stiftung mehr brauchen. Das Modell Stiftung als das eine Gebemodell hat es einfach schwer derzeit, aus unterschiedlichen Gründen heraus.

Die Diskutanten der Leipziger Botschaft bei #sokoms25
Joahir Osman, Beisheim Stiftung
Steff Neukam, Meistro Stiftung
Ulrike Hattendorff, Aventis Foundation
Dr. Philipp Hölscher
Hans-Jürgen Greve, Stiftung Neuer Raum
Kathrin Succow, stiftungsmarktplatz.eu (Moderation)

Ulrike Hattendorff: Also zwei Anmerkungen dazu. Es gibt wirklich viele Stiftungen, die formal alle Bedingungen erfüllen, die aber statisch Geld hierhin oder dahin geben. Hier wird das Vermögen verwaltet, diese Verwaltung wird bezahlt, und der Rest des Ertrags geht an die Projekte. Das ist Realität im Stiftungssektor, ja. Aber ich sehe auch Stiftungen mit dem klaren Willen, sich zu verändern, beispielsweise hat die Bosch-Stiftung mal neu ge- und erfunden. Vor einem Jahr wurden alle Förderungen gestrichen, bis auf das Krankenhaus, aber die Stiftung hat gesagt, sie wolle einmal alles hinterfragen und auf den Prüfstein stellen. Das geht schon, und ja, auch die Großen sagen mal Stopp zum ‚Weiter so‘.
Joahir Osman: Das kann ich nur bestätigen. Es gibt schon einige Stiftungen, die zeigen, dass sie Veränderung können. Die Crespo Foundation zum Beispiel hat sich kontinuierlich verändert und ist heute eine fördernde und eine operativ tätige Stiftung.  Und auch wir bei der Beisheim Stiftung haben neben klassischen Förderungen immer mehr grosse eigene Projekte. Wir brauchen aber insgesamt mehr Mut zur Veränderung und zur Kooperation.
Hans-Jürgen Greve: Was wir merken ist, dass die Stiftungslandschaft ein Stück weit unternehmerischer wird, wir sprechen viel mit Machern, die einfach machen und mir eben nicht erklären, was mit der Stiftung nicht geht. Machen wiederum heißt auch, Dinge mal anders zu machen, sich neu zu erfinden, und von diesem Spirit braucht es in der Stiftungslandschaft mehr.

Florian Hinze (phineo) blickt kritisch auf die Veränderungsbereitschaft des deutschen Stiftungssektors: „Etliche kleine Stiftungen können sich nicht verändern, viele große Stiftungen wollen sich nicht verändern.“

#sokoms25: Also hier stimmt dann die Beobachtung, dass da im Sektor zu wenig passiert? Und dass er insgesamt zu wenig transparent ist?
Joahir Osman: Beim Thema Transparenz tut sich schon einiges.. Das Transparenzregister ist hier ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Natürlich bedeutet ein Register erstmal Arbeit, aber es bringt den Sektor auch in ein positives Licht. Für mich bedeutet mehr Transparenz auch mehr Sichtbarkeit – davon brauchen wir noch mehr.
Steff Neukam: Also ich bin beim Blick auf den Stiftungssektor schon ein bisschen baff. Für mich sollte der Stiftungssektor für Innovationen stehen. Wir, also wir Stiftungen, wir sind doch die Enabler, die mit Projekten vorangehen, die gesellschaftliches Fortkommen pushen. Stiftungen müssen da einfach mal raus aus dem Antiquariat, müssen das nach draußen tragen. Bei der Diskussion um das neue Geben kommt mir zudem der Spaß zu kurz. Wenn ich heute dies oder das über Stiftungen höre, die dann im Antiquariat sehe, dann vergeht mir die Freude an dem Modell Stiftung. Der Grundsatz muss sein, dass wenn ich Vermögen habe muss es Spaß machen, dieses zu teilen. Wir, die Stiftungen und Vereine, die es bereits gibt, wir müssen diesen spaß vermitteln.

#sokoms25: Also fehlt der Stiftungslandschaft, dem NGO-Komplex, die Fähigkeit, für das eigene Tun zu begeistern? Ist diese abhandengekommen?
Joahir Osman: Auf den Gedanken kann man kommen, weswegen wir bei der Beisheim-Stiftung den Spiess mal umgedreht haben. Früher haben wir auf Anträge gewartet, und dann wurden die abgearbeitet. Wir haben unsere Arbeitsweise weiterentwickelt: Neben der klassischen Förderung gehen wir heute gezielt auf Organisationen zu, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Diese können es sich oftmals nicht leisten, Programme für mentale Gesundheit in Anspruch zu nehmen. Wir gehen stärker raus ins Feld und machen vor Ort konkrete Angebote. Viele sind  überrascht, dass wir zu ihnen kommen, aber für mich ist das moderne, gelebte und lebendige Stiftungspraxis und Teil unserer internen Weiterentwicklung.

#sokoms25:  Fehlen uns Visionen sektorübergreifend? Vielleicht auch die Visionäre?
Ulrike Hattendorff: Es geht ja nicht darum, dass wir uns regelmäßig auf die Schultern klopfen und dass uns applaudiert wird, sondern dass wir andere befähigen, loslegen zu können. Solange jede Stiftung ihren eigenen kleinen Tempel bauen möchte, sind wir meines Erachtens auf dem falschen Weg. Wir Stiftungen können mit unseren Möglichkeiten beispielsweise Risikokapitalgeber sein, darüber Dinge anstoßen und in Bewegung bringen.

Ulrike Hattendorff nimmt Stiftungen in Deutschland in die Pflicht: „Solange jede Stiftung ihren eigenen kleinen Tempel bauen möchte, sind wir meines Erachtens auf dem falschen Weg.

Auch Florian Hinze (phineo) diskutierte in der Leipziger Botschaft mit, seine drei Thesen zur Stiftungskommunikation laut wie folgt:

Kommunikation sollte Kern des Stiftungsauftrags sein. Stiftungen können nur dann gesellschaftliche Wirkung entfalten, wenn Ziele, Aktivitäten und Ergebnisse verständlich und kontinuierlich kommuniziert werden. Kommunikation ist damit nicht Beiwerk, sondern integraler Bestandteil der Zweckverwirklichung. Die Kommunikationsziele sollten Stiftungen explizit aus dem Stiftungszweck ableiten und entsprechende Ressourcen langfristig fest verankern.

Haltung zeigen! Stiftungen stehen unter Erwartungsdruck, in gesellschaftlichen Debatten Position zu beziehen, zu Demokratie, Vielfalt, Nachhaltigkeit, digitalem Wandel, whatever. „Neutralität“ wird eher als Sprachlosigkeit gelesen; gefragt sind begründete, zur Satzung passende Haltungen.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit entstehen durch Transparenz. In einer von Desinformation geprägten Öffentlichkeit wird „Vertrauenskommunikation“ zur wichtigen Aufgabe. Dazu gehören nachvollziehbare Entscheidungen, offen kommunizierte Förderschwerpunkte und -Kriterien sowie Informationen über Vermögen, Erträge und Verwaltungskosten. Entscheidend ist dabei, nicht nur Aktivitäten aufzählen, sondern Entscheidungen zu erklären, Lernprozesse sichtbar zu machen, erreichte und nicht erreichte Wirkungen zu berichten.

#sokoms25: Müssen wir Stiftungen mehr motivieren, die eigene vermeintliche Kleinheit zu überwinden? Was in kleinen Runden entsteht, kann ja bekanntlich ganz groß werden.
Dr. Philipp Hölscher: Vor 10, 15 Jahren hat jede Stiftung für sich ihr Silo gebaut, von dort aus hat sie agiert. Meiner Wahrnehmung nach verändert sich das, viele große und größere Stiftungen machen Dinge zusammen, ja sie unternehmen Dinge zusammen. 
Steff Neukam: Wir machen kein Projekt ohne mindestens eine andere Stiftung. Wir haben uns für ein Kalenderjahr eine bestimmte Zahl von Kooperationen vorgenommen. Natürlich können wir immer alles allein machen, unsere Projekte allein angehen und umsetzen, aber der Hebel nach draußen aus Kooperationen heraus ist weitaus größer. Übrigens auch die kommunikative Strahlkraft betreffend. Denn bei zwei Netzwerken, die sich zusammentun, ist die Summe aus eins und eins niemals zwei, sondern mindestens drei. Und jede Stiftung hat ihr Netzwerk, weshalb sich jede Stiftung diesen Effekt letztendlich auch zu Nutze machen kann.
Joahir Osman: Kooperationen müssen wir Stiftungen neu denken. Mit dem ZEIT-Verlag zum Beispiel ist eine Kooperation mit uns entstanden, aus der der ZEIT Campus Mental Health Ratgeber für Studierende hervorgegangen ist – eine inzwischen mehrfach prämierte Publikation. Wir sind trotz Anfangsschwierigkeiten konsequent und gemeinsam drangeblieben und haben unserer fachlichen Intuition vertraut. Der Ratgeber wurde in sechsstelliger Auflage gedruckt und wurde uns förmlich aus den Händen gerissen. Mein Learning, das ich Stiftungen gerne mit auf den Weg gebe: Hört auf Eure Inspiration, und gebt nicht zu schnell auf.

Steff Neukam kennt den Schlüssel für erfolgreiches Stiftungshandeln im Hier und Jetzt und im Morgen: „Bei zwei Netzwerken, die sich zusammentun, ist die Summe aus eins und eins niemals zwei, sondern mindestens drei. Und jede Stiftung hat ihr Netzwerk, weshalb sich jede Stiftung diesen Effekt letztendlich auch zu Nutze machen kann.“

#sokoms25: Braucht es genu solche Vorbilder, werden die Geschichten des Gelingens ausreichend oft erzählt?
Hans-Jürgen Greve: Mir fällt spontan Hilmar Hoffmann ein, der für die Kulturszene in Deutschland extrem viel gemacht hat. Dank ihm gibt es in vielen Museen vergünstigten Eintritt, dank ihm gab und gibt es Jugendclubs. Sein Anliegen, öffentliche Räume zu bespielen, war uns bei der Stiftung Neuer Raum auch ein Vorbild. Wir stellen ja Bücherschränke im öffentlichen Raum auf, wir reden über kulturelle Bildung, wir möchten, dass jeder die Kultur in sich selber entdeckt. Bücherschränke sind Anlaufstellen, kulturelle Austauschpunkte, und mit diesem Ansinnen sind wir schon auch ein Vorbild. Vor allem sind wir so eine Geschichte des Gelingens, dieser Begriff gefällt mir.
Ulrike Hattendorff: Wir müssen noch viel offener werden und uns gegenseitig einladen. In Frankfurt hatten wir das Projekt Stadt, Land, Buch binnen Stunden finanziert, das waren ein paar Anrufe und schon stand die Finanzierung. Das ist so eine Geschichte des Gelingens. Bei diesen Vorbildern geht es um Vertrauen, auch unter den Stiftungsvorständen. Insgesamt merken wir alle, dass wir mehr Sichtbarkeit brauchen, dass wir unsere Haltung verändern müssen.

Joahir Osman schreibt ein paar einprägsame Worte ins Hausaufgabenheft von Stiftungen: „Wir alle müssen stärker Feldarbeit leisten, wir müssen näher ran an die Menschen.“

Joahir Osman: Also mich kannst Du jederzeit anrufen.
Steff Neukam: In Zeiten, wo die Budgets sinken, besteht eine Riesenchance. Jetzt ist die Zeit, zu disruptieren, anders zu kommunizieren, anders nach draußen zu treten und Projekte besser als bisher zu machen.
Kathrin Hartkopf: Machen wir uns doch mal ehrlich. Ich bin froh, dass wir diesen Druck haben. Wir sehen nicht nur in 80% der Stiftungen eine Unterfinanzierung, wir sehen auch zu wenig Kooperationen und zu oft dieses typisch deutsche „Unsere Lösung ist die beste“. Wer bietet künftig alles beispielsweise einen Giving Fund an? Das ist doch Quatsch, stattdessen sollten wir das Knowhow hier bündeln und das Vehikel der breiten Stiftungslandschaft zugänglich machen. Hat jeder seine eigene Lösung, gibt es jede Menge Overhead, uns das killt letztlich die Wirkmasse.
Joahir Osman: Wir alle müssen als Stiftungen stärker ins Feld gehen und näher an den Menschen arbeiten. Als Stiftung können wir vor Ort mit gezielten Mikroförderungen  Angebote unterbreiten, die Strukturen stärken und Menschen unmittelbar unterstützen. Ich war jüngst im Osten Deutschlands unterwegs und in Rostock konnten wir pragmatisch und kurzfristig unterstützen, um Gebärdensprache zu ermöglichen und ein inklusives Angebot umzusetzen.

#sokoms25: Ein tolles Beispiel, dem mehr Stiftungen folgen sollten. Denn sofort sehen die Menschen, was Positives aus diesem NGO-Komplex herauswachsen kann, sofort sehen die Menschen, dass Zivilgesellschaft etwas Zusammengehörigkeits-stiftendes in sich trägt. Und sofort erübrigen sich Diskurse, ob die Stiftungslandschaft Sektor oder Sumpf ist. Sie steht für gesellschaftliches Gelingen. Ein DANK an die Runde.