Stellen Sie sich folgendes vor. Eine Gruppe junger Computerspieler trifft sich eines Nachmittags, um ein Rollenspiel im Internet zu spielen. Die Gruppe besteht aus vier deutschen Jugendlichen, und via Netz sind 100 weitere in 40 anderen Ländern „zugeschaltet“, früher hätte an dieser Stelle der Gruß hier den angeschlossenen Funkhäusern gegolten. Aus dieser Spielaktivität heraus entsteht ein Spendenpool, der Stiftungen zur Verfügung gestellt werden könnte. Die Frage lautet nun: Ist es redlich, dieses Geld als Stiftung anzunehmen? Eine Abwägung.
Bleiben wir noch kurz bei unserem Szenario. Die Jugendlichen also legen los, spielen ihr Spiel, erklimmen Level und Level, und es handelt sich bei dem Spiel nicht um eines dieser Ballerspiele. Mit jedem neuen Level sind 5 Euro fällig, die auf einem virtuellen Konto gesammelt werden. Einem Spendenkonto. Und die Jugendlichen sind fleißig, sie sind echter Könner bei dem Spiel, und es sammelt sich ein richtiges Sümmchen an auf diesem Konto. Stiftungen fragen immer häufiger, wie sie 10.000 EUR für dieses oder jenes im Fundraisingverfahren einsammeln könnten, bei Computerspiel-Aktionen braucht es dafür kaum mehr als einen Nachmittag.
10.000 EUR AN EINEM NACHMITTAG
Eine tolle Sache, zumal für die Spieler die Spende keinen immensen Aufwand bedeutet, es ist heute sogar so, dass junge Menschen geberfreudiger sind als viele ältere Menschen. Es ist ihnen selbstverständlich, etwas zu geben, beziehungsweise – und was wird es dann zur stiftungsrelevanten Frage – ihre Zeit für eine gute Sache aufzuwenden. In einem Fall jedoch sammelten die Jugendlichen an einem Nachmittag nicht nur 10.000 Euro sondern Zehntausende Euro, nur bei Stiftungen als Spende unterbringen konnten sie das Geld nicht. Es scheint Vorbehalte gegen diese Art des Spendens zu geben, zumindest hierzulande.
Zeit also, sich das Ganze mal in einer Für und Wider-Abwägung anzuschauen. Was spricht gegen eine Spende von relevanter Größe, die aus einer Computerspielaktivität entstanden ist. Erst einmal, und das dürfte für eine Stiftung das gewichtigste und auch tatsächliche Risiko sein, das Reputationsrisiko. Stammt eine Spende aus der Spielaktivität eines dieser Ballerspiele, oder eines Spiels in dem problematische Rollenbilder transportiert werden, dann könnte die Spenden- oder Fundraisingstrategie der Stiftung als beliebig oder nicht wertegebunden interpretiert werden. Eine Stiftung könnte Angst davor haben, dass ihr nachgesagt wird, dass sie Geld aus jeder Quelle nimmt und die Herkunft nicht hinterfragt. Ob es sich um junge Menschen handelt, die eigentlich etwas Gutes im Sinn hatten, steht dabei hintenan. Tatsächlich können Spiele mit gewaltverherrlichender Aktivität problematisch gesehen werden, selbst wenn ihnen ein edukatives Element mitgegeben wurde.
WIDER DER TRANSPARENZ?
Gewaltverherrlichendes darf aus ethischen Erwägungen heraus eigentlich nicht Ausgangspunkt für eine Spendenaktivität sein, aus der dann wiederum Spielräume für gemeinnützige Zwecke entstehen. Diese Wirkungskette ist kaum zu vermitteln, weder nach innen wie nach außen, eine Stiftung dürfte hier schnell unter Druck geraten, sich zu rechtfertigen. Gegen Spenden aus Computerspielaktivitäten spricht auch, dass die Spende hier immer einer relativ anonymen Masse entspringt, und dies dem zunehmenden Wunsch und Willen nach Transparenz im Dritten Sektor praktisch direkt entgegensteht. Auch dies darf nicht unterschätzt werden. Nicht zuletzt kann eine Spende aus Computerspielaktivität dazu führen, dass ich meine bisherigen Spender „vergraule“, weil diese sich genau durch diese Aktivität nicht mehr angesprochen fühlen. Halte ich mich als Stiftung aber bedeckt, erzähle also nichts dazu, wirkt das letzten Endes auch angestrengt und ist sicherlich eine Herausforderung für die mit anderen Stakeholdern gewachsenen Vertrauensbeziehungen.
OUT OF THE BOX-SPENDEN
Eine schwieriges Geflecht also, in dem sich eine Stiftung bewegt, so sie Spenden aus Computerspielaktivitäten annimmt. Andererseits gibt es auch gute Gründe, die dafür sprechen, sich solchen Spenden nicht zu verweigern. Der gewichtigste Grund ist: Spenden aus Computerspielaktivitäten sind Spenden „out-of-the-box“, wie es heute so schön heißt. Diese Spenden entstammen einer Klientel, mit der Stiftungen bisher kaum „gearbeitet“ haben und die ein paar zehntausend Euro in so einer kurzen Zeit einsammeln, wie es sich Stiftungen in der Regel nicht vorstellen können.
Eine Fundraising-Strategie aufzubauen, einen Fundraiser zu finden und dann auch Fundraising zu machen, für ein paar zehntausend Euro. Dieser Prozess braucht Zeit, gerechnet in Zeiteinheiten der Fertigstellung des Berliner Flughafens also in etwa 0,4 BER. Bis Stiftungen hier zu Potte kommen, haben die Computerspieler schon etliche Kampagnen erfolgreich gefahren. Das Ganze hat also eine Geschwindigkeit, die für viele Stiftungen und deren Verantwortliche eine Herausforderung sein dürfte.
ZUGANG ZU NEUEN NETZWERKEN
Dazu erschließen sich Stiftungen Zielgruppen, die sie bisher nicht hatten. Nicht nur bei den Spendern, sondern vielleicht bei künftigen Vorständen oder Geschäftsführern. Stiftungen werden beim Thema Nachwuchs ja künftig Bedarf haben, mehr noch als heute, weil die Aufgabenfülle wächst, aber der Zugang zu den ‚Young Potentials‘ der nächsten und übernächsten Generation ist nicht gerade leicht. Computerspielaktionen könnten hier eine Brücke bauen. Dieser Aspekt ließe sich auch noch weiterdenken. Stiftungen finden international Anschluss, denn die Computerspielszene ist international vernetzt und aufgestellt. Stiftungen erschließen sich diese Szene über Aktionen teilweise, gewinnen aber in jedem Fall Zugang zu neuen Netzwerken, auf die sie sonst nie gekommen wären und zu denen sie niemals einen Zugang bekommen hätten. Gehen Sie mal auf eine Spielemesse und Sie wissen was ich hier meine.
Nicht zuletzt könnten aus den Spenden bzw. Zuwendungen seitens der Computerspielgruppen auch Austausche entstehen, die die tägliche Stiftungsarbeit wiederum befruchten könnten. Stiftungen suchen ja nach Wegen in die digitale Neuzeit, nach ihrem Platz in einer digitalisierten Welt, sich hier mit den ‚digitale natives‘ zu verbandeln, kann da definitiv nicht von Nachteil sein. Denn Ideen sind etwas, was aus dem Spielerischen heraus immer geboren wird, Spiele regen die Kreativität an, vielleicht auch die einer Organisation. Schließlich könnten Stiftungen über einen solchen Spenderzirkel zeigen, dass sie innovativ sein können, dass sie nicht nur über Digitalisierung und deren Treiber sprechen, sondern Teil des Ganzen sind. Im Umkehrschluss macht das Stiftungen ja dann vielleicht für noch weitere Teile der Gesellschaft interessanter, wodurch sich die Schlagkraft der einzelnen Stiftung sukzessive steigern ließe.
ZUSAMMENGEFASST
Zugegeben, der letzte Gedanke entstammt einem idealistischen Gehirn, der Praktiker in mir sagt das Stiftungen mehr gewinnen als verlieren können, wenn sie Bande in die Computerspielszene knüpfen. Ob das Ganze bei jeder Stiftung funktioniert, lässt sich kaum sagen, aber dass derlei vielleicht an klare Regeln geknüpft sein muss, das schon eher. Bestimmte Kategorien von Computerspielen auszuschließen kann hier eine Möglichkeit sein, das Thema Reputation von vorn herein zu berücksichtigen. Spenden aus Computerspielnachmittagen von vorn herein jedoch abzulehnen, das dürfte sich als Fehler herausstellen, denn Engagement entfalten sich dann eben abseits der bestehenden Stiftungen. Wollen Stiftungen für diese jungen Menschen als Sparringspartner und relevanter Player wahrgenommen werden, müssen sie sich offen zeigen, und hier und da ein wenig öffnen, sonst bleiben Out-of-the-Box-Spenden für viele Stiftungen ein closed shop.