Was passiert vor Ort

Eine Stifterin auf Mission für ihre Mission

13464
Handicap Projektreise Kambodscha
Lesezeit: 4 Minuten

Auf der Projektreise nach Kambodscha waren auch einige Stiftungsvertreterinnen und -vertreter sowie auch Stifterinnen und Stifter mit dabei. „Mir geht es darum, zu wissen, was vor Ort passiert und wie unser Geld vor Ort eingesetzt werden könnte“, meinte eine Stiftungsvorständin im Gespräch. Ihr Name ist Karin Schneider, und mit ihr haben wir während der Projektreise ausführlich darüber gesprochen, was für sie relevantes Engagement ausmacht. In Kambodscha war in ihren Augen vor allem in Kampong Cham viel genau davon zu sehen.

Für Karin Schneider, die mit ihrer Werner und Karin Schneider Stiftung bisher vor allem in Afrika aktiv war, gibt es vor allem ein prägendes Thema: die Familienplanung. Immer hat sie den Datenreport der Stiftung Weltbevölkerung unterm Arm, sie weiß also genau wie viele Kinder eine Frau auch in Kambodscha bekommt, wie alt bzw. wie jung eine Bevölkerung ist und wo sich ansetzen lässt, wenn man als Stiftung beispielsweise als Co-Finanzier ein Projekt wie jenes von Handicap International in Kampong Cham unterstützt. Ihr Anliegen ist es, so sie sich eines Tages auch in Kambodscha engagieren wird, bei ihrem Thema anzusetzen, dort also, wo in vielen aufstrebenden Ländern die Dinge hier und da aus dem Ruder laufen. Denn wächst eine Bevölkerung zu schnell, weil die Themen Verhütung oder verantwortungsbewusste Familienplanung allzu sehr außer Acht gelassen werden, dann beschwört das künftig Probleme herauf, die von einer in der Tendenz schwachen Volkswirtschaft oder von einer weniger stabilen Institutionenlandschaft nicht oder nur unzureichend gelöst werden können.

DURCHDACHTE FAMILIENPLANUNG ALS PROBLEMFELD

In Kambodscha ist das Problem der zu vielen Kinder (noch) eher weniger das Problem, soziostrukturell ist das Bild mit 2,7 Geburten pro Frau einigermaßen im Rahmen, dennoch wächst die sehr junge Bevölkerung rasch und soll ausgehend von heute gut 15 Mio. Menschen im Jahr 2050 mehr als 21 Mio. Menschen betragen. Was in Kambodscha ausweislich des Datenreports der Stiftung Weltbevölkerung ins Auge fällt ist die im Vergleich mit anderen asiatischen Ländern immer noch erhöhte Säuglingssterblichkeit. Von 1.000 Neugeborenen sterben statistisch deren 28, in den Nachbarländern Thailand und Vietnam ist die Zahl nicht einmal halb so hoch. Genau das sind Zahlen, die Karin Schneider auf den Plan rufen, die ihr Sorgen machen und wo sie mit ihrer Stiftung einen Beitrag leisten möchte. Vor allem aber geht es ihr darum, den Menschen zu helfen, auch über eine durchdachte Familienplanung ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Genau an diesem Punkt schließt sich der Kreis zum Engagement von Handicap International in Kampong Cham.

ZUKUNFT AUS DEM REHAZENTRUM

Mit dem selbstbestimmten Leben hängen nämlich auch die Lebensperspektiven ganz eng zusammen. Wenn eine Kambodschanerin oder ein Kambodschaner im Rehabilitationszentrum behandelt und dann auch geheilt werden, dann können diese Menschen positiv in die Zukunft blicken. Immer noch sind 80% der Kambodschaner Reisbauern, das Leben auf dem Land ist beschwerlich. Dort wo Unfälle passieren und körperliche Einschränkungen hinzukommen, ist das Leben dann nicht nur beschwerlich, sondern kaum noch menschenwürdig zu meistern. Wir besuchten eine Familie, deren Mutter vom Baum gefallen und in der Folge querschnittsgelähmt war. Ohne die Hilfe der Handicap-Experten aus dem Rehabilitationszentrum wären weder Rollstuhl noch Auffahrrampe zur Toilette gebaut worden. Ein anderer akuter Fall war der eines Mädchens, die mit ihrem Moped gegen einen Strommast geprallt war. Die Verletzungen waren so schwerwiegend, dass eine Amputation eines Beines durchgeführt werden musste, weil die Erstbehandlung mit Kräutern zu einer Infektion führte. Da die Familie dem Medizinsystem misstraute und die Erstbehandlung schiefging, musste dieser schmerzhafte Schritt gemacht werden. Durch die Behandlung im Rehabilitationszentrum in Kampong Cham jedoch konnte dem Mädchen geholfen werden, die Familie damit von einer enormen Last befreit und der Start in eine positiv besetzte Zukunft bereitet werden.

NEUE NORMALITÄT BRAUCHT BILDUNG UND PLANUNG

Solche Geschichten sind es auch, die die Stifterin Karin Schneider beschäftigen. Diese Familie hätte ohne die Hilfe vermutlich wenig bis keine Zukunft für das Mädchen als auch für sich gesehen, jetzt, mit der Prothese, kann das Mädchen ein nahezu freies Leben führen und das Familienleben seinen normalen Gang nehmen. Diese Normalität wünscht sich Karin Schneider für mehr Familien, nur leider sind dafür die Voraussetzung in vielen Ländern, vor allem in Afrika, nicht oder noch nicht gegeben. Es fehlt an Sensibilität und Respekt gegenüber der Frau, es fehlt am Wissen über Verhütung und den Folgen einer ungezügelten Familienplanung – und was das mit den Perspektiven und Lebenschancen aller macht. Für Karin Schneider ganz klar ein Feld, auf dem mehr passieren muss, in Afrika wie in Asien, denn die ersten Auswüchse einer überbevölkerten Stadt lassen sich in Kambodscha hier und da auch bereits erkennen.

ZUSAMMENGEFASST

Wer mit Karin Schneider reist, der erfährt schnell, dass hier eine engagierte Frau und Stifterin neben einem sitzt. Engagement bedeutet für sie, auf Probleme aufmerksam zu machen und dann zu deren Lösung einen Beitrag zu leisten – wohlwissend, dass es eben nur ein Beitrag sein kann. Die Brücke zwischen ihrem Lieblingsthema Familienplanung und dem Engagement von Handicap International konnte sie vor Ort selber schlagen, denn das selbstbestimmte Leben ist jenes hohe Gut, für das Handicap International seit 1982 und sie seit der Gründung ihrer Stiftung vor zehn Jahren kämpfen. Mit Erfolg.

Die Projektreise mit Handicap International nach Kambodscha vom 20.11. bis 30.11.2019 macht mit Siam Reap und Phnom Penh in den beiden wichtigsten Städten des Landes Station. Vor Ort konnte sich Tobias Karow einen umfassenden Eindruck der Projektarbeit von Handicap International in Kambodscha verschaffen.

Vorheriger ArtikelEs geht um Relevanz
Nächster ArtikelEine Woche im Schmelztiegel
Tobias Karow
ist Gründer und Geschäftsführer von stiftungsmarktplatz.eu und im Stiftungswesen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein seit 10 Jahren aktiv. Er ist Herausgeber der FondsFibel für Stiftungen & NPOs, dem führenden Nachschlagewerk für Stiftungsfonds und stiftungsgeeignete Fonds (www.fondsfibel.de), Vorträge hält er vor allem zum Thema ‚Stiftungen und ihr Weg in die digitale Welt‘. Für beide Themen betreibt er den Blog #stiftungenstärken.