Die optimale Aktienquote im Stiftungsvermögen

Corona-Krise aktuell: Wie Stiftungen auf der Aktienseite jetzt agieren sollten

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Auf der Suche nach der richtigen Aktienquote
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Zur Börse gibt es viele schlaue Sätze, aber auch viele dämliche oder sagen wir: einfallslose Äußerungen, speziell in Krisen-Zeiten. Zur letzteren Kategorie zählt beispielsweise „Ich hab’s ja gewusst, mit Aktien kann man nur verlieren“, aber auch „Aktien sind einfach nur spekulativ, und wir sind keine Spekulanten“ steht in der Hitliste relativ weit oben. Diesen Satz weitergedacht hieße allerdings, dass man – im Gegensatz zu den auf kurzfristige Kursgewinne ausgelegten Spekulanten – zu den eher langfristig agierenden Investoren am Markt gehört, also zu den „Good Guys“, und exakt das sollte der Habitus einer Stiftung am Aktienmarkt ja auch sein. Da spielt dann Quote schon fast keine Rolle mehr.

Schon als ich 1990, kurz nachdem Saddam Hussein in Kuwait einmarschierte, meine erste Aktie kaufte, hatte ich meine erste Lektion gelernt. Ich war 13 Jahre alt, und eigentlich ist das kein Alter für Aktionäre. Aber ich wollte das unbedingt, und Siemens erschien mir – aus welchen Gründen auch immer – interessant zu sein. Kurz nach dem Kauf sackte die Aktie der Erinnerung nach ab, aber irgendwann fingen die Kurse wieder an zu steigen. Das „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“ kannte ich damals noch nicht, aber es blieb hängen, dass man dann günstig einkauft, wenn die Stimmung an den Märkten und bei den Marktteilnehmern gerade nicht so dolle ist. Warum schreibe ich das hier, warum blicke ich so weit zurück? Weil diese Erfahrung eine war, die mich mein Börsianerleben lang begleitete und mich bis heute prägt. Kaum ist es „crashig“ an den Märkten, kaum werden Aktien wieder mal waschkörbeweise verkauft, bin ich hellwach, es ist wie ein Reflex. Ich möchte Aktien kaufen, stehe früher auf, gehe mit dem Wallstreet-Spätbericht ins Bett.

CORONA-CRASH ALS WACHRÜTTLER

Denn in der Regel sind Crashs, und damit wären wir in der Neuzeit angekommen, gute Kaufgelegenheiten.Weil das Leben nach dem Crash ja doch weitergeht, und der Mensch eben so talentiert ist, dass es besser weitergeht als vorher. Die 90er-Erfahrung war mein Aha-Moment, und vielleicht ist dieser Corona-Crash, so wird er vermutlich in die Historie eingehen, das Aha-Moment für Stiftungen. Denn wo stehen aktuell viele Stiftungen? Sie wollen oder wollten die Aktienquoten erhöhen, just in dem Moment, als auf der Anleiheseite die Dürre so richtig sichtbar wurde, und zwar auf absehbare Zeit, so man selbst nur mit AAA-Bundesanleihen arbeitete. Oder sie wollten überhaupt zum ersten Mal Aktien kaufen, entweder direkt oder über Fonds, einfach weil sie gehört und gelesen hatten, dass dies jetzt das Mittel der Wahl sei. Dem Vernehmen nach meinen viele Stiftungen immer noch, mit einer konservativen Anlagepolitik am besten zu fahren, aber sie übersetzen konservativ nur in die Kategorie Anleihe, nicht in die Kategorie Aktie oder die Kategorie Immobilie. Oder sagen wir: Zu wenige übersetzen es so.

STIFTUNGS-DNA PRÄDESTINIERT STIFTUNGEN ZUM AKTIENANLEGER

Konservativ heißt übergeordnet aber vor allem, ein ausbalanciertes Portfolio aufzubauen, beispielsweise von Anleihe- und Aktienbausteinen, die dann in Kombination gut miteinander harmonieren, vor allem wenn es an den Märkten zugeht wie derzeit, im März 2020. Mich persönlich erinnert der Ausverkauf an jenen im März 2003, als die Anleger nach drei Jahren Baisse kapitulierten. Der Unterschied ist aber, dass damals eben jene drei Jahre Baisse hinter den Börsianern lagen, heute sind es kaum vier Wochen, in denen sich die Welt geändert hat. Und in diese geänderte Welt hinein sollen Stiftungen nun Aktien kaufen? Sie, die sie konservativ, ertragreich und sicher anlegen sollen, sollen in diesen Crash hinein Aktien kaufen? Die Antwort ist kein Vielleicht oder Jein, sondern ein klares Ja.

Nicht nur, weil Stiftungen ob ihrer Ewigkeits-DNA als Langfristanleger prädestiniert sind, sondern weil sie angesichts des auf Jahre hinaus absehbaren Niedrigzinses Aktien brauchen, um die Basis ihrer ordentlichen Erträge zu stärken. Denn Dividenden werden jetzt vielleicht hier und da ausfallen, und damit bezogen auf ein Aktienportfolio im Schnitt vielleicht etwas zurückgehen, aber langfristig sind Dividenden ein zuverlässiger Eckpfeiler in jedem Portfolio einer Stiftung. Das, was sich Stiftungen jetzt an Aktien kaufen, wird zudem eine hübsche stille Reserve ausbilden, durch die Kursgewinne, die von jetzt auf fünf oder zehn Jahre gesehen kaum mehr vermeidbar erscheinen. Die Antwort also, ob Stiftungen Aktien kaufen sollten in diesen Crash hinein, kann nur ein klares Ja sein.

DIE PRIVATANLEGER-REGEL FÜR DIE AKTIENQUOTE HILFT STIFTUNGEN WENIG

Wie hoch Stiftungen Aktien gewichten sollten, und wie sie in die Umsetzung gehen sollten, steht aber auf einem anderen Blatt. Bleiben wir aber bei der Höhe der Aktienquote. Eine Regel für Privatanleger besagt, dass 100 minus Lebensalter die optimale Aktienquote ausdrückt. Bin ich also 42, darf meine Aktienquote bei 58% liegen. Aber wie beziffere ich die Ewigkeit bei einer auf Ewigkeit errichteten Stiftung, mit 1.000? Das klappt nicht, es braucht hier einen anderen Kompass. Eine Analyse des US-Investmenthauses Vanguard bringt eine weitere Betrachtung ins Spiel. Je nachdem, wie hoch der Aktienanteil ist, variieren Ertrag und möglicher zwischenzeitlicher Verlust.

Machen wir ein Beispiel. Kann eine Stiftung maximal 20% Abschlag auf Ebene ihres Portfolios tolerieren, dann liegt ihre Aktienquote bei etwa 40%. Hat sie sich eine 10%ige Verlusttoleranz verordnet, dann liegt die Aktienquote bei 20%. Die Hälfte des Stiftungsvermögen in Aktien zu investieren würde der Studie zufolge bedeuten, mit zwischenzeitlichen Abschlägen von 22% „klarkommen“ zu müssen. Dafür wäre bei dieser Quote der Ertrag wertentwicklungsseitig am höchsten, und die Ausschüttung wäre hier noch nicht einmal berücksichtigt. Werden die Zahlen für Kupons und Dividenden mit einbezogen, käme aber vermutlich exakt jener 50%ige Aktienanteil für die Realität des Jahres 2020 (und vermutlich des anstehenden Jahrzehnts) in Betracht. Aber Achtung: Die sich aus diesen Modellrechnungen vielleicht ergebende Schlussfolgerung, dass die Aktienquote immer doppelt so hoch wie der maximal verkraftbare Verlust sein könne, würde deutlich zu kurz greifen. Diese Frage gilt es stets sorgfältig auf Ebene des Gesamtportfolios abzuwägen.

JEDE BÖRSENKRISE WAR VORÜBERGEHEND

Wenn ich aus meiner Erfahrung am Aktienmarkt eines weiß, dann das Kursabschwünge stets vorübergehender Natur waren. Selbst die Baisse zwischen 2000 und 2003 oder der Abschwung 2008/2009 gingen rasch vorüber –natürlich auch dem konzertierten Eingreifen von Geld- und Fiskalpolitik geschuldet. Man kann oder muss das nicht gut finden, aber es ist die Realität von heute und dem nahen Morgen. Vorübergehend waren im Übrigen auch die Asienkrise 1997, die Russlandkrise 1998, der Zusammenbruch von LTCM im Jahr 1999, die Auswirkungen des Fukushima-Gaus 2011 oder die Weihnachtsdelle von 2018. Es hat sich bewährt, die Aktienquoten in diesen Phasen aufrecht zu erhalten, vielleicht hier und da abzusichern oder an den schwachen Tagen etwas Material hinzuzunehmen – aber sich gänzlich von der Aktie fern zu halten, das war als strategischer Ansatz definitiv falsch.

HOMÖOPATHISCHE AKTIENQUOTEN LÖSEN DAS PROBLEM DER STIFTUNGEN NICHT

Eine weitere Anregung zur Aktienquote könnte eine Meldung sein, die ich neulich von einer Versicherung las. Dort hieß es, man sei mit einer Aktienquote von 4,5% ins Jahr gestartet und habe jetzt abgesichert. Gut, das ist konservativ und eine Versicherung darf keine sehr viel höheren Quoten ohne zusätzliches Eigenkapital „fahren“, aber rechnen wir es doch mal durch, verbunden mit dem Hinweis, dass Stiftungen an derlei Restriktionen nicht gebunden sind. Sagen wir 5% Aktienquote und 95% Anleihequote, auf der Anleiheseite lässt sich ein Kupon von im Schnitt 1,5% vereinnahmen, auf der Aktienseite eine Dividendenrendite von 3%. Fallen die Aktien jetzt um 20%, tangiert das das Gesamtportfolio nur mit einem einprozentigen Abschlag. Das ist in meinen Augen verschmerzbar. Zugegebenermaßen wissen wir nicht, wie stark etwa Unternehmensanleihen auf der Anleiheseite leiden, so diese im Portfolio sind – aber die Verletzlichkeit des Gesamtportfolios, und darum geht es Stiftungen ja auch, ist bei einer 5%igen Aktienquote extrem gering. Entsprechend ließe sich der Aktienanteil nach oben fahren, wie bei einem Schieberegler, bis die Aktienquote erreicht ist, bei der eine Stiftung sich immer noch wohlfühlt, wenn es an den Märkten mal knallt.

Stiftungen sollten meiner Meinung nach immer ein Stressszenario mit minus 30% einkalkulieren und überlegen, ob sie das als Stiftung und als Stiftungsgremium aushalten. Diese 30% klingen viel, auf der Aktienseite ist es ein Corona-Crash binnen vier Wochen. Würden 30% als Abschlag auf der Aktienseite angenommen, würde sich das auf das Versicherungsportfolio mit 1,5% auswirken. Ausgehend davon schieben wir nun den Aktienanteil nach oben. Bei 20%igen Aktienanteil und einem Corona-Stresstest von minus 30% läge der Schmerz auf Portfolio-Ebene bei der Stiftung bei -6%. Die Frage, die dann die richtige ist, lautet: Ist das verschmerzbar? Kann ich mit diesen Verlusten umgehen? Wenn ja, dann ist 20% Aktienanteil für die Konstellation Ihrer Stiftung der passende. Kann eine Stiftung sogar noch mehr „aushalten“, kann sie noch höhere Aktienanteile fahren. Homöopathische Dosen jedoch halten zwar den Schmerz auf extrem niedrigem Niveau, führen aber in den Realitäten von heute auch dazu, dass das Niveau beim ordentlichen Ertrag vermutlich nicht mehr auskömmlich sein wird.

ZUSAMMENGEFASST

Die passende Aktienquote für eine Stiftung herauszufinden, ist sicherlich keine einfache Aufgabe. Einige Näherungen helfen aber dabei, und einige Zahlenspiele sowieso. Fakt ist, dass Stiftungsvermögen eine Aktienquote brauchen, zusammengestellt aus verschiedenen Ansätzen, um der neuen Realität Herr zu werden. Diese beinhaltet absehbar nullnahe Zinsen, schwarze und weiße Schwäne und säkuläre Rahmenbedingungen, die sich auf der Aktienseite stärker niederschlagen werden und können als auf der Rentenseite. Einen Anfang zu machen, das ist sicherlich jetzt erste Stiftungspflicht, aber da mussten andere Stiftungen auch schon durch. Wichtig ist, diesen Anfang entlang des ganz individuellen Anlageziels der Stiftung vorzunehmen, eher Zeit auf das Formulieren dieses Ziels zu verwenden als mit der Diskussion von einzelnen Aktien. Das können Fondshäuser eh besser als Sie. Nur eines würde ich nicht machen: Mir Olaf Scholz mit seinem Girokonto-Ansatz zum Vorbild zu nehmen. Das führt Stiftungen nicht ans Ziel.